Lorenz Langenegger: eidgenössischer Autor mit treffend lakonischer Stimme.

Foto: Ruth Erdt

Diese erzählerische Ausgangskonstellation ist inzwischen in der jüngeren deutschsprachigen Literatur hinlänglich bekannt und häufig verwendet. Ein gerade noch junger Mann erhält einen Anruf. Ihm wird mitgeteilt, dass sein Vater gestorben ist – wahlweise auch der Großvater, der ihn einst aufzog –, er kehrt widerstrebend zurück in den Heimatort, den er vor Jahren verlassen hat, um in einer Großstadt zu studieren und anschließend ziellos von Job zu Job zu springen.

Der Erbe, habituell emotional distanziert bis autistisch, muss die Familienvergangenheit aufarbeiten, oder auch die Zeitgeschichte, da er auf dem Speicher oder im Keller einen Kasten findet mit wahlweise SS-Uniform oder einem geheimen Tagebuch. Abgeschmeckt mit einer Prise Holocaust-Splatterhorror, man hat nach dem Geschmacksrezept fast aller Verlagslektorate zusammengebaute Konfektionsware für den Leseparcours zu Klagenfurt.

Nun schlägt man den frisch erschienenen Roman des in Wien und Zürich lebenden Lorenz Langenegger auf. Realisiert, das Buch spielt in Zürich und in Wien. Es setzt ein: mit einem Anruf, der Manuel Keller im Urlaub erreicht. Manuel brachte sein geisteswissenschaftliches Studium nicht zu Ende, wurde "content editor" und Redakteur eines Startups. Vor mehr als einem halben Jahr kündigte er seine Stelle, um ein Buch zu schreiben, woraus nichts wurde. Er erfährt: Sein Vater ist tot, der sich noch einen Tag zuvor frohgemut bei ihm aus dem Spital gemeldet hatte. Sogleich will man diesen Roman zuschlagen, würde er nicht von Langenegger stammen, dem es bereits auf den ersten viereinhalb Seiten gelingt, einen ganz eigenen Ton zu finden.

Erbe vieler Schlüssel

Manuel Keller ist nicht so phlegmatisch-helvetisch wie Jakob Walter, der sympathische Antiheld, den Langenegger, ein im Umgang mehr als sympathischer Autor, in mehreren Romanen auftreten ließ. Er kann, er darf es auch nicht sein als Erbe einer Schlüsselfirma. Die allerdings kurz vor dem Konkurs steht, nur noch ein halbes Dutzend altgedienter Angestellter beschäftigt und deren Hypothekenlast so hoch ist, dass nach erfolgtem Verkauf des Gebäudes wie des privaten Wohnhauses kaum mehr etwas übrig ist.

Mehr als gekonnt schildert Langenegger die inneren Konflikte Manuels, die Zerrissenheit, die Empathie, die im Gegensatz steht zu seinem jüngeren Bruder, als Mediziner gerade auf akademischer Karriereüberholspur und werdender Vater. Die melancholische Antriebslosigkeit, da Manuel der seelisch-motorische Antrieb fehlt, den großen Traum, kreativ zu werden, in die Praxis umzusetzen.

Mit leichter Hand

Was Langenegger ebenso mit leichter Hand gelingt: diese eher kleine Geschichte überraschend groß, weil global zu machen. Denn Manuel bleibt auf drei Tonnen Rohmaterial sitzen. Für die sich ein chinesischer Geschäftsmann interessiert. Was zu einem semi-abenteuerlichen Treffen in Daressalam, der Hauptstadt von Tansania, führt. Und, nach Verkaufsabschluss, zu Manuels Einladung nach London, um auf einer Messe physisch das Renommee des Keller'schen Bohrmuldenschlüssel-Patents zu vertreten.

Was man jetzt noch tun kann besitzt ein französisches "air". Atmosphärisch erinnert diese lakonische Prosa, deren Melodie Langenegger lang und klar geschliffen hat, an die ganz frühe Nouvelle Vague und deren inspirierte Filme über Lebenslust und Tragik, an Éric Rohmers Le Signe du Lion (Im Zeichen des Löwen) etwa. Das Schwebende, das Irisierende, das Leichte: in diesem einen Moment der Schönheit, in der Leben Kunst wird. (Alexander Kluy, 22.8.2020)