Im Vorfeld des ukrainischen Unabhängigkeitstages werden in Kiew zerstörte russische Armeefahrzeuge präsentiert.

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Von Anfang an ging es nicht einfach nur um das Verschieben von Frontlinien. Russland hat bei seinem im Februar begonnen Angriffskrieg gegen die Ukraine stets auch auf Artilleriebeschuss jenseits seiner Stellungen gesetzt – zum Teil weitab vom Kampfgeschehen, im Westen der Ukraine. Als Grund nennt man in Moskau meist den Versuch, militärische Infrastruktur und vom Westen gelieferte Waffen auszuschalten. Die Ukraine wiederum weist immer wieder auf die zivilen Opfer solcher Attacken hin und bestreitet, dass es sich bei den getroffenen Zielen um militärisch genutzte Objekte gehandelt habe.

Längst aber sind es auch russische Einrichtungen, die hinter der eigenen Front, also in den von Russland kontrollierten Gebieten, angegriffen werden. Und manchmal fordert der Krieg sogar auf russischem Territorium selbst seinen Tribut. So ist etwa erst vergangene Woche ein russisches Munitionslager bei Belgorod nahe der Grenze zur Ukraine in Flammen aufgegangen. Das Bild bleibt oft unklar, denn nicht immer rühmen sich beide Seiten ihrer Erfolge. Ganz im Gegenteil: Oft hagelt es Dementis und gegenseitige Schuldzuweisungen.

  • Autobombe in Moskau

Die Nachricht verbreitete sich wie in Lauffeuer: Darja Dugina, die Tochter des Kreml-nahen, rechtsnationalistischen Ideologen Alexander Dugin, kam am Samstagabend bei der Detonation einer Autobombe am Stadtrand von Moskau ums Leben. Die Spekulationen, wonach nicht sie selbst, sondern ihr Vater Ziel des Anschlags gewesen sei, ließen nicht lange auf sich warten. Die russische Nachrichtenagentur Tass schrieb unter Berufung auf einen Bekannten der Familie, dass das explodierte Fahrzeug Alexander Dugin gehört habe.

Russische Ermittler am Ort der Autobombenexplosion.
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Vater und Tochter sollen gemeinsam ein Festival außerhalb Moskaus besucht haben. Erst im letzten Moment habe Dugin sich entschieden, in ein anderes Auto einzusteigen. Ersten Ermittlungen zufolge sei dann während der Fahrt ein Sprengsatz explodiert, der an dem von Dugina gelenkten Auto befestigt war. Die 29-Jährige, die als Journalistin arbeitete und wie ihr Vater den Feldzug gegen die Ukraine öffentlich unterstütze, sei noch am Ort der Detonation verstorben.

Viele halten Alexander Dugin, hier auf einem Bild aus dem Jahr 2014, für das Ziel des Anschlags.
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Darja Dugina und Alexander Dugin stehen beide auf einer Sanktionsliste der USA. Über die tatsächliche Bedeutung Dugins sind sich Kreml-Auguren allerdings nicht einig. Während einige der Ansicht sind, Dugin habe als Einflüsterer Wladimir Putins beträchtlichen Einfluss auf den russischen Präsidenten, halten andere seine Rolle für eher marginal.

Dugins Tochter Darja Dugina kam bei der Explosion ums Leben.
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Die Anschuldigungen gegen Kiew kamen prompt: "Die Terroristen des ukrainischen Regimes haben versucht, Alexander Dugin zu liquidieren", erklärte der Anführer der prorussischen Separatisten in Donezk, Denis Puschilin. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, sprach für den Fall, dass die Ermittlungen in die Ukraine weisen, von "Staatsterrorismus". Kiew freilich weist jede Beteiligung zurück. Schließlich sei die Ukraine "kein krimineller Staat wie die Russische Föderation", sagte Mychajlo Podoljak, Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj. So mancher glaubt auch an eine Provokation russischer Geheimdienste.

  • Explosionen auf der Krim

In jüngster Zeit kam es auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeerhalbinsel Krim immer wieder zu Explosionen und angeblichen Drohnenangriffen. Laut Michail Raswoschajew, dem von Moskau eingesetzten Verwaltungschef von Sewastopol, schlugen am Samstag Trümmer einer abgeschossenen Drohne ins Stabsgebäude der russischen Schwarzmeerflotte ein. Schwere Zerstörungen gebe es jedoch keine.

Raswoschajew hatte schon Ende Juli vom Einschlag einer Drohne dort berichtet, dabei soll es auch Verletzte gegeben haben. Die Ukraine hatte jede Schuld zurückgewiesen. Zuletzt gab es auch Explosionen auf einem Militärstützpunkt und in einem Munitionsdepot.

Für Moskau ist der Schaden nicht nur militärischer Natur. Schließlich brachte die Annexion der Krim einst einen enormen Imagegewinn für Putin. Ein schleichender Kontrollverlust dort könnte das bereits angeknackste russische Narrativ von einer nach Plan laufenden Militäroperation weiter ins Wanken bringen. Gerne berichtet Russland daher von Erfolgen seiner Luftabwehr über der Krim.

  • Kampf rund um Atomkraftwerke

International herrschte zuletzt erneut Sorge um die Sicherheit der ukrainischen Kernkraftwerke. Das AKW Saporischschja, das größte Europas, steht unter Kontrolle der russischen Besatzer, ist aber weiterhin stark umkämpft. Beide Seiten beschuldigen einander, durch Beschuss eine nukleare Katastrophe zu riskieren. Ukrainische Behörden meldeten am Wochenende zudem einen Raketenangriff auf ein Wohngebiet der südukrainischen Stadt Wosnessensk. Auch sie befindet sich in der Nähe eines Kernkraftwerks.

Die Nervosität dürfte in den nächsten Tagen weiter anwachsen. Am Mittwoch, genau sechs Monate nach Beginn des russischen Angriffs, begeht die Ukraine ihren Unabhängigkeitstag. Es ist das Gedenken an das Erlangen der Selbstständigkeit im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion – für Putin die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts".
(Gerald Schubert, 21.8.2022)