Rostock wurde zum Symbol für Fremdenhass, aber auch für den Widerstand gegen diesen.

Foto: Imago / Rolf Zöllner

Der Name verheißt Glück: Sonnenblumenhaus. Das klingt nach Sommer und Licht und Heiterkeit. In Wirklichkeit aber steht der braun-gelbe Elfstöcker im Rostocker Norden dafür, dass Menschen andere ohne Grund so hassen können, dass sie ihnen den Tod nicht bloß wünschen – sondern ihn gleich selbst ins Werk setzen. Am 22. August 1992 begannen rechtsradikale Ausschreitungen gegen Geflüchtete. Bis zu 2.000 Menschen versammelten sich, zertrümmerten Betonplatten und warfen Geschosse auf das Gebäude. Rechte skandierten "Deutschland den Deutschen!".

Das Sonnenblumenhaus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen.
Foto: imago/Christian Ditsch

Am Abend des 24. August steckt ein Mob im Stadtteil Lichtenhagen mit Molotowcocktails das Sonnenblumenhaus in Brand. Weil darin Vietnamesinnen und Vietnamesen lebten. Die Polizei – seit zwei Tagen vor Ort – hat sich nach einer Straßenschlacht mit Neonazis zurückgezogen. Die Feuerwehr aber kommt ohne deren Schutz nicht dicht genug für ein wirksames Löschen an den Wohnblock heran: Der Mob blockiert die Helfer und wirft weiter mit Feuer. Rundum jubeln Menschen, als seien sie Publikum bei einer besonders gelungenen Show. Es sind nicht nur Extremisten und Radikale. Es sind auch Nachbarn jener Vietnamesen, die vor den Flammen durchs Haus flüchten – und verzweifelt einen Weg hinaus suchen.

Zuerst sperrte die Polizei noch das Gebiet ab – dann zog sie sich vollkommen zurück.
Foto: imago images/Rex Schober

"Pogrom mit Ansage"

30 Jahre danach nennt die Wuppertaler Historikerin Franka Maubach in der Wochenzeitung "Die Zeit" die Ereignisse ein "Pogrom mit Ansage". Und warnt vor "stereotypen Deutungen" der Bilder, gerade an Jahrestagen. Und mahnt dazu, was Gedächtnis sowie Filme und Videos zeigen, zu hinterfragen.

Es ist viel aus der Erinnerung verschwunden. Beispielsweise, dass der damalige Innenminister Rudolf Seiters exakt an jenem 24. August nach Rostock kommt. Weil in Lichtenhagen seit drei Tagen schon Hass und Gewalt die Straßen beherrschen. Und dass das Mitglied der Regierung von Helmut Kohl, dem "Kanzler der Einheit", von einem "Missbrauch des Asylrechts" spricht und einem "unkontrollierten Zustrom in unser Land".

Brandschäden im Sonnenblumenhaus.
Foto: imago / rex schober

Nichts sagt Seiters indes über die Zustände, in denen die Asylsuchenden in Rostock leben. Das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern streitet mit der Stadt um Zuständigkeit und Geld. Die ebenfalls im Sonnenblumenhaus angesiedelte Zentrale Aufnahmestelle bietet nur 200 Menschen Platz – seit Wochen campieren also Familien davor. Im Freien. Ohne Toiletten. Ohne Duschen. Im Hochsommer. Die Zustände stinken zum Himmel, im wahrsten Sinn des Wortes. Oberbürgermeister Klaus Kilimann, ein Sozialdemokrat, wird später sagen, das sei so gewollt gewesen. Denn schon das Gewähren der sanitären Notwendigkeiten hätte ja "bedeutet, dass wir einen Zustand legalisieren, den wir nicht haben wollten".

Natürlich wollen die Politiker aber auch nicht, dass die Welt nach Lichtenhagen starrt. Und Fotos sieht wie das von Harald E. Unten Jogginghose mit Urinfleck, oben Fußball-Nationalmannschafts-Dress mit Hitlergruß. Der hässliche Deutsche, der Hass und Gewalt gegen Ausländer bejubelt.

Bis heute Angst

Der 38-jährige E. ist seit zwei Jahren arbeitslos. Der Baumaschinist lebt von 460 Deutsche Mark Stütze, seine Miete ist mit der sogenannten Wende von 28 auf 280 Mark angestiegen. Der Mann reißt seinen Arm hoch, als irgendwer irgendetwas grölt – das alles erzählt das Foto nicht. Sondern der Fotograf nach mehr als 20 Jahren dem Deutschlandfunk.

Die Bedrohten, die Gejagten, die durch das brennende Haus Flüchtenden, die am Ende die mit Ketten und Schlössern gesicherten Notausgänge aufbrechen und sich über das Dach retten: Sie erzählen selbst. Und rasch. Und viel. Und manche bis heute. Gerade erst wieder der "Zeit". Ta Minh Duc war drei im August 1992 – und hatte lange Albträume, nach denen er auf Vietnamesisch rief: "Die Glatzköpfe kommen!" Auch andere sagen, sie spürten die Angst bis heute.

Die Historikerin Maubach ist sich sicher: Wer einmal kurz "Dunkeldeutschland" sage und "chronischer Rassismus im Osten", liege falsch. "Über viele Monate hinweg" sei da etwas eskaliert – mindestens mit Wissen, vielleicht auch mit Willen der Verantwortlichen in der Politik. Und bei der Polizei.

Entschädigt für den Gewaltausbruch werden am Ende die deutschen Nachbarn der Angegriffenen. Für die erlittenen Unannehmlichkeiten. Für die vietnamesischen Opfer gibt es nichts. Außer diverse Abschiebungen. (Cornelie Barthelme aus Berlin, 22.8.2022)