Die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die Gasversorgung haben eine neue Debatte entfacht.

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Die innenpolitische Debatte über die EU-Sanktionen gegen Russland hat über das Wochenende an Fahrt aufgenommen. Ausgelöst vom oberösterreichischen Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), der die Strafmaßnahmen infrage stellte, zog sie schnell weitere Kreise bis in die Bundesregierung – und zur FPÖ, die den Anstoß aus der ÖVP dankbar aufgriff.

Die Sanktionen müssten immer auf die Frage hin überprüft werden: "Dienen sie hauptsächlich der Friedenserreichung, oder schaden sie uns in der Mehrheit schon selber?", hatte Stelzer in der Kleinen Zeitung gesagt. In Bezug auf die Sanktionen sei klar, "dass wir einen Preis zahlen". Sie würden auf Industrie, Arbeitsplätze und Energiekosten rückwirken. Bevor "der soziale Ausgleich ins Wanken kommt", müsse man darüber nachdenken, ob jede Maßnahme weiterbetrieben werde.

Während es prompt Kritik vom ukrainischen Botschafter in Österreich setzte, sprang Stelzer sein Tiroler Amts- und Parteikollege Anton Mattle zur Seite. Eine Evaluierung der Russland-Sanktionen "im Rahmen der Staats- und Regierungschefs" werde und müsse immer möglich sein, so der ÖVP-Obmann, der am 25. September in eine Landtagswahl zieht. Die Frage müsse aber "immer auf europäischer Ebene gemeinsam mit unseren Partnern" beantwortet werden. Man dürfe sich in der EU nicht auseinanderdividieren lassen, sagte Mattle.

Position gegen Gasembargo

Aus dem Büro von Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hieß es auf Nachfrage des STANDARD am Sonntag, eine Sondierung der nächsten Schritte müsse laufend erfolgen, eine komplette Abkehr von Sanktionen stehe aber definitiv nicht zur Debatte. Es müsse allerdings stets abgewogen werden, dass der Schritt einem selbst nicht mehr schade als dem eigentlichen Ziel. Ein aktives Gasembargo etwa habe man als einen solchen Fall gesehen und sich daher trotz Vorpreschens der EU-Kommission klar dagegen ausgesprochen. Die Position der Bundesregierung beim Thema Sanktionen sei jedenfalls unverändert.

Auch die ÖVP-Bundespartei bekannte sich per Aussendung zu den Sanktionen. Würde man dem militärischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nichts entgegensetzen, "würden wir das Signal senden, dass Völkerrechtsbruch toleriert wird", hieß es darin. Damit brächte man letztlich die eigene Sicherheit in Gefahr. Es bleibe allerdings "oberste Prämisse, dass Sanktionen einem selbst nicht mehr schaden dürfen als jenem, gegen den sie verhängt werden", hielt man auch hier fest. Gegen Russland würden die Sanktionen aber jedenfalls wirken. Heuer werde ein Einbruch der russischen Wirtschaft zwischen sechs und zehn Prozent prognostiziert, die EU-Wirtschaft hingegen solle um rund drei Prozent wachsen, argumentierte die ÖVP.

Othmar Karas (ÖVP), Erster Vizepräsident des EU-Parlaments, schaltete sich ebenfalls in die Debatte ein, ohne dabei Namen zu nennen: "Wer jetzt der Lockerung oder dem Ende von Sanktionen das Wort redet, der schwächt die europäische Einigkeit, stärkt Putins Spaltungsstrategie und dessen barbarische Expansionspläne", schrieb er auf Twitter. "Wir haben in dieser Frage vor der Geschichte zu bestehen – nicht vor der nächsten Wahl."

Kogler: Sanktionen "maximal vorantreiben"

Das Büro von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verwies am Sonntag auf STANDARD-Anfrage auf dessen Aussagen im ORF-Sommergespräch. Weil Russlands Präsident Wladimir Putin die ukrainische Bevölkerung in einem "bestialischen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" massakriere, solle man die Sanktionen "maximal unterstützen und vorantreiben", hatte Kogler da gesagt.

Der Landessprecher der oberösterreichischen Grünen, Stefan Kaineder, kritisierte die Aussagen von Stelzer und Mattle am Sonntag direkt: Studien würden belegen, dass die EU-weiten Sanktionen Wirkung zeigten und die russische Wirtschaft "lahmgelegt" werde. "Jetzt, wo die Sanktionen gegen Russland ihre Wirkung voll entfalten, diese infrage zu stellen, sehe ich als schweren Fehler", sagte Kaineder. Wenn man nun zusammenstehe, werde Putin seinen Krieg verlieren.

Gänzlich andere Töne waren von der FPÖ zu hören. Parteichef Herbert Kickl begrüßte am Samstag die "Stimmen der ökonomischen Vernunft" in der ÖVP und forderte eine Volksbefragung zu den Sanktionen.

Ein Viertel für Rücknahme der Sanktionen

Die Neos warnten unterdessen vor einer Spaltung Europas. Würden die Sanktionen jetzt infrage gestellt, "dann sind ein paar österreichische Politiker auf die von Russland verbreitete Propaganda hereingefallen", sagte ihr außenpolitischer Sprecher Helmut Brandstätter.

Die Bevölkerung steht den Sanktionen gespalten gegenüber: Ein Viertel (26 Prozent) der Befragten sprach sich im aktuellen APA/ATV-"Österreich Trend" für ihre völlige Rücknahme aus. Zwölf Prozent waren für eine Lockerung. Ein Fünftel ist demnach für eine Verschärfung der Sanktionen, 19 Prozent für eine Fortführung wie bisher. (Martin Tschiderer, 21.8.2022)