Wird ein stark geladenes Ion auf eine Schicht Graphen geschossen, werden die Elektronen des Zielmaterials herausgerissen und können detektiert werden.
Bild: TU Wien

Seit dem Patent des österreichischen Erfinders und Priesters August Musger von 1904, der als Erster Zeitlupen aufnehmen konnte, waren einschlagende Projektile besonders beliebte Motive von Zeitlupenaufnahmen – im Englischen sogar "bullet time" genannt.

Inzwischen gelingt es, auch mikroskopische Vorgänge, an denen einzelne Atome beteiligt sind, in hoher zeitlicher Auflösung abzubilden. Was im Detail passiert, wenn ein geladenes Atom auf eine Oberfläche, etwa aus dem nur eine Atomschicht dünnen Material Graphen, trifft, hat ein Forschungsteam von der TU Wien erstmals im Detail nachvollziehen können. Dazu musste eine neue Methode entwickelt werden, die es erlaubt, dem unglaublich schnell ablaufenden Ereignis indirekt beizuwohnen. Der Superzeitlupen-Ansatz beruht auf dem Detektieren von Elektronen, die beim Einschlag auf atomarer Skala herumgewirbelt werden.

Bei ihren Analysen zur Aufklärung dieser extrem kurzlebigen Vorgänge setzen die Forschenden um Anna Niggas vom Institut für Angewandte Physik auf Atome, denen sie im Labor gleich zwischen 20 und 40 Elektronen entreißen, wodurch sie in der Fachsprache zu sogenannten Ionen werden. Im Fall der aktuellen Untersuchung handelte es sich um Xenon-Atome, die im Normalfall 54 Elektronen besitzen. Gehen diesen derart viele negativ geladenen Teilchen ab, sind sie entsprechend stark positiv geladen. Diese Ionen hungern dann nach Elektronen-Nachschub.

Starker Austausch von Elektronen

Mit diesen beschoss das Team in der nun im Fachjournal "Physical Review Letters" vorgestellten Arbeit extrem dünne Schichten aus Graphen oder Molybdändisulfid. Obwohl das aus einem gleichmäßigen Netz aus Kohlenstoffatomen bestehende Graphen nur eine Atomlage stark ist, war bereits aus früheren Untersuchungen bekannt, dass nach dem Aufprall und Durchdringen der Struktur mit dem Ion dessen Elektronenhaushalt wieder ausgeglichen ist – es also zu einem starken Austausch der Teilchen kommt: "Der Elektronentransport in Graphen ist extrem schnell", erklärt Niggas.

Dieses Faktum ist entscheidend. Direkt beobachten lässt sich der in einer Femtosekunde – dem millionsten Teil einer Milliardstelsekunde – ablaufende Vorgang nämlich nicht. Der Schlüssel dazu liegt in der Analyse der Elektronen, die dabei ihre Plätze tauschen bzw. aus dem Verbund geschleudert werden. "Wir konnten die Anzahl und die Energie dieser Elektronen sehr genau messen, die Ergebnisse mit theoretischen Berechnungen vergleichen, die unsere Ko-Autoren von der Universität Kiel beisteuerten, und auf diese Weise konnten wir auf Femtosekunden-Skala entschlüsseln, was hier genau passiert", erklärt die Forscherin. Eine Femtosekunde ist der billiardste Teil einer Sekunde.

Ansammlung von Elektronen schon vor dem Aufprall

In Windeseile laufen hier folgende Schritte ab: Nähert sich das Ion der Oberfläche, zieht seine stark positive Ladung bereits an den Elektronen im Kohlenstoff-Netzwerk. Dadurch sammeln sich noch vor dem Aufprall an der Stelle viele Elektronen, wo die Berührung dann stattfindet. Ebenfalls noch vor dem Impakt verstärkt sich der Effekt weiter, sodass einzelne negativ geladene Teilchen schon auf das Ion übergehen.

Dann durchschlägt es die dünne Struktur in Rekordzeit. Dabei wirft es einige Elektronen so kraftvoll aus dem Verbund, dass diese von der Wabenstruktur des Graphens auch nicht wieder eingefangen werden. Die davonfliegenden Teilchen können dann aufgezeichnet werden, was den Forschern erlaubt, den Ablauf zu rekonstruieren. Im Material selbst wird das Manko an negativ geladenen Teilchen rapide wieder ausgeglichen: Die nachrückenden Elektronen erzeugen dabei kurzfristig starke Ströme.

Das soll völlig neue Möglichkeiten für Technologien wie die Kernfusion schaffen, erklärt Richard Wilhelm von der TU Wien: "Die Ergebnisse helfen uns zu verstehen, wie Materie auf sehr kurze und sehr intensive Strahlungseinwirkung reagiert – nicht nur auf Ionen, sondern letztlich auch auf Elektronen oder Licht." In Fusionsreaktoren ist das Innenmaterial, das aus Wolfram oder Kohlenstoff besteht, ständig einem Bombardement energiereicher Ionen ausgesetzt. (red, APA, 22.8.2022)