Kaugummi im Dienste der Forschung. Wie viel Energie es kostet, Kaugummiblasen zu erzeugen, wurde in der neuen Studie allerdings nicht untersucht.

AP / Brynn Anderson

Wir tun es angeblich im Schnitt rund eine halbe Stunde täglich – wiewohl die Angaben sehr schwanken. Auf ein Jahr gerechnet würde das immerhin eine ganze Woche bedeuten. Mit dem Kauen bereiten wir die Nahrung für das Verdauungssystem vor und machen deren Energie und Nährstoffe besser verwertbar. Außerdem schützt es vor dem Verschlucken. Ein internationales Forscherteam hat nun untersucht, wie viel Energie Menschen dabei verbrauchen – und überraschende Ergebnisse zutage gefördert.

Im Vergleich zu unseren nächsten lebenden Verwandten sind wir Menschen jedenfalls extrem effiziente Kauer: Schimpansen benötigen dafür nicht weniger als viereinhalb Stunden am Tag. Orang-Utans kommen gar auf über sechseinhalb Stunden. Berggorillas verbringen angeblich rund 90 Prozent ihrer wachen Zeit mit Kauen. Insofern nimmt der moderne Mensch zumindest beim Kauen eine erklärungsbedürftige Sonderstellung in der Evolution ein.

Für ihre Experimente statteten Erstautor Adam van Casteren (Uni Manchester) und seine Kollegen insgesamt 21 Probanden mit speziellen Plastikhauben aus, die Astronautenhelmen ähneln und Sauerstoff und Kohlendioxid aus der Atmung messen können. Da Stoffwechselprozesse durch Sauerstoff angetrieben werden und Kohlendioxid erzeugen, lässt sich anhand des Gasaustauschs messen, wie viel Energie wir bei welchen Tätigkeiten verbrauchen.

Und jetzt bitte entspannt kauen! Auf diese Weise wurde der Energieverbrauch der kauenden Probanden gemessen.
Foto: Uni Leiden / Adam van Casteren

Stark erhöhter Energieverbrauch

In dem Fall ging es wie gesagt um das Kauen – konkret: um das Kauen von farb-, geruch- und geschmacklosen Kaugummis verschiedener Härte. Wie die Forschenden im Fachblatt "Science Advances" berichten, macht das Kauen bei modernen Menschen zwar nur einen relativ kleinen Teil des täglichen Energiebudgets aus, nämlich deutlich weniger als ein Prozent. Doch der weichere Kaugummi erhöhte die Stoffwechselrate im Kauzeitraum um etwa zehn Prozent im Vergleich zum Nichtkauen. Der härtere Kaugummi verursachte einen Anstieg um 15 Prozent. Das ist deutlich mehr, als die Forschenden erwartet hatten.

Anstieg des Sauerstoffverbrauchs beim Kauen eines weichen Kaugummis und eines harten Kaugummis (ganz rechts).

In konkreten Zahlen: Während zum Kauen weicher Kaugummis 0,53 Kilojoule pro Minute aufgewendet wurden, waren es im Fall der härteren Kaugummis knapp 0,6 Kilojoule pro Minute. Das Kauen von härteren Lebensmitteln – oder in diesem Fall von härterem Kaugummi – erfordert mithin um einiges mehr Energie, nämlich um rund 15 Prozent mehr als das Zerkleinern von weicherer Nahrung.

Evolutionäre Bedeutung

Das deutet wiederum darauf hin, dass die metabolischen Kosten des Kauens in unserer Evolution eine wichtige Rolle gespielt haben könnten, sagt van Casteren: Er geht davon aus, dass für unsere Vorfahren, die vor dem Aufkommen des Kochens und ausgeklügelter Methoden der Nahrungsverarbeitung lebten, die Energiekosten relativ hoch gewesen sein müssen. Das Team erläutert diese Annahme am Beispiel des Kauens von rohem Fleisch: Unter der Annahme, dass dabei ähnlich viel Energie verbraucht wird wie beim Kauen eines harten Kaugummis, würde dies bei Schimpansen die aus Fleisch gewonnenen Energie pro Stunde um 2,3 Prozent reduzieren und bei Orang-Utans um fünf Prozent.

Wenn unsere Vorfahren in Afrika so viel Zeit mit Kauen verbracht haben wie Gorillas und Orang-Utans, könnten sie nach Schätzungen der Autoren rund drei Prozent ihres Energiebudgets auf das Kauen verwendet haben. Als die Menschen begannen, ihre Nahrung zu kochen, haben sich damit also nicht nur die Kauzeiten verkürzt, sondern es hat sich auch gleichzeitig der energetische Ertrag der Nahrung erhöht.

Auswirkungen auf unsere Gesichter

Das hatte im Übrigen auch Auswirkungen auf unsere Gesichter: Die Wissenschaft vermutet seit langem, dass die Kiefer- und Zahnform unserer Vorfahren im Vergleich zu anderen Menschenaffen kleiner wurden, als unsere hominiden Vorfahren ihre Ernährung auf leichter zu kauende Nahrungsmittel umstellten und Techniken wie Schneiden und Kochen entwickelten, um den Zeit- und Kraftaufwand für das Kauen zu verringern.

Was die neue Studie allerdings nicht liefert, sind alltagspraktische Daten dazu, wie gut sich das Kauen harter Kaugummis – zumal ohne Zucker – zum Abnehmen eignet. Schaden kann es aber auf keinen Fall. (Klaus Taschwer, 22.8.2022)