Sabine Aigner ist Partnerin beim internationalen Executive-Search-Unternehmen Spencer Stuart für Geschäftsführungs- sowie Aufsichtsfunktionen.

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Mit veränderten Lebensmodellen und Ansprüchen an die Arbeit sind auch jene Personalberatungen konfrontiert, die Nachwuchs für Führungspositionen suchen. Ist die gute, alte Karriereleiter letztgültig weggeräumt, und ist der Aufstiegswille Vergangenheit? Sabine Aigner ist seit 25 Jahren im Bereich Executive Search international tätig und arbeitet auch an der Schnittstelle der Generationen. Die jeweilige Sicht auf das, was früher selbstverständlich und schmückend "Karriere" hieß, wird jetzt eher Entwicklung genannt.

STANDARD: Überall Fach- und Arbeitskräftemangel, dazu noch der Wunsch nach weniger Arbeit und mehr Leben, Sinnsuche und Generationenkonflikte: Gehen dem Executive Search die karrierewilligen Jungen aus, die traditionelle Vorstandssessel erobern wollen?

Aigner: Nicht zwangsläufig. Die Ausbildungen, das Wissen, die Fähigkeiten sind vorhanden, besser denn je. Der Wille zu arbeiten und sich einzusetzen ist ebenso da. Es liegt an uns. Natürlich verändern sich die Erwartungen unserer Nachwuchsgenerationen. Wenn die Vorurteile zwischen den Generationen weiterhin bestehen oder sogar zunehmen, dann wird es enorm schwierig, notwendige Veränderungen sicherzustellen. Wenn man aufeinander zugeht und gemeinsam Jobinhalte entwickelt, dann überwiegen jetzt die Chancen.

STANDARD: Was sind die Vorurteile – und was wollen Junge anders?

Aigner: "Die wollen nicht mehr wirklich arbeiten" ist ein häufiges Vorurteil. Das stimmt nicht, sie wollen anders arbeiten. Flexibler, sinnorientierter, offener. Die Zeit ist vorbei, in der ältere Generationen den Jungen die Karrierepläne festschreiben können. Jetzt ist Mitsprache und Mitgestaltung gefragt. Unternehmen sollten jetzt auch ihre Development-Programme anpassen und Junge einbinden. Solche Entwicklungspfade müssen jene mitgestalten, die in zehn Jahren an den entscheidenden Positionen sitzen sollen und wollen. Junge wollen auch ausprobieren, nicht mehr streng linearen Karriereschienen folgen, dazu gehört beispielsweise auch ein Wechsel in ein Start-up und wieder zurück in den Konzern.

STANDARD: Traditionell gesehen ist das nicht unbedingt ein Pluspunkt im Lebenslauf ...

Aigner: Wir müssen Lebensläufe anders lesen – in Richtung: Was hat diese Person gelernt, was bringt sie an wertvollen Erfahrungen mit?

STANDARD: Der Begriff Karriere hat stark an Reiz verloren, Junge haben mit dem Terminus oft ein Problem. Nehmen Sie das auch wahr? Gibt es eine neue Begrifflichkeit?

Aigner: Ja, das Wort Karriere wird nicht unbedingt gewollt. Man spricht eher über persönliche Entwicklung. Ich kenne nicht den einen, neuen Begriff, da sind wir auf der Reise. Allerdings sollten wir nicht so tun, als gebe es die Inhalte der Karriere nicht: Ambitionierte wollen natürlich nach oben, um entscheiden und gestalten zu können, engagierte Nachwuchsmanager streben an die Spitze. Der Wunsch nach Einfluss bleibt nach meiner Einschätzung immer aktuell.

STANDARD: Was tut sich denn in Sachen Statussymbole in der Welt des Führungsnachwuchses?

Aigner: Bekannte, alte Statussymbole wie etwa ein großer Dienstwagen oder ein großes Büro sind nicht mehr zeitgemäß. Worauf nachfolgende Führungskräfte-Generationen vor allem in großen internationalen Unternehmen Wert legen, sind präzise Titel, die den sogenannten Level und die damit verbundene Verantwortung zum Ausdruck bringen und die im weltweiten Vergleich auch verstanden werden. Es zumindest zum VP, zum Vice President, zu bringen, ist für viele Nachwuchstalente heute äußerst erstrebenswert.

STANDARD: Noch einmal zurück zu den Generationen, zu den Missverständnissen, den Vorurteilen: Wo spießt es sich konkret?

Aigner: Zunächst noch einmal: Vorurteile bestehen auf beiden Seiten. Die Next Generation zweifelt ja auch oft stark an der Veränderungsbereitschaft und an der Aufgeschlossenheit der älteren Führungsgeneration. Dem gegenüber stehen wie gesagt die Zweifel an der Leistungsbereitschaft. Beides ist stark verankert, beides ist unnötig. Es wird zunehmend wichtiger, aufeinander zuzugehen und voneinander zu lernen. Generation Dialogues, die auch Teil meiner Arbeit sind, sind eine Form von Diversität, die in jedem Team etabliert sein sollte.

STANDARD: Was hat sich in der jüngeren Vergangenheit wirklich verändert im Leadership?

Aigner: Ich neige dazu, die Frage anders zu stellen: Was verändert sich gerade? Die Reise hat begonnen – Leadership ist mehr denn je gefordert, Digitalisierung auf den Weg zu bringen, ein werteorientiertes Geschäftsmodell zu verfolgen, eine neue Qualität der Kommunikation zu finden, agile Prozesse zu fördern und Austausch zu stärken. Unsere aktuelle internationale Umfrage zeigt als Erfolgsfaktoren für Leaders: Einfühlungsvermögen, Bescheidenheit, Resilienz, Anpassungsfähigkeit und Authentizität, Wille zur Zusammenarbeit, Aufrichtigkeit, Klarheit und Kreativität. (Karin Bauer, 25.8.2022)