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Sie hatte schon viele Rollen: Motivator, Förderer, Vorbild, Coach, Entwickler, Zielvereinbarer, Psychologe – über festgeschriebene Vorgaben und starre Rollenmuster muss sich die moderne Führungskraft wirklich nicht beklagen. Andere Zeiten bringen neue Rollen mit sich. Kommt jetzt auch die des Enter tainers oder besser DJs dazu?

Denn um die geschätzten Mitarbeitenden aus der Homeoffice-Welt wieder ins Büro zu locken, müssen Chefs, Abteilungsleiter und Projektkoordinatoren schon einiges bieten. "Manchmal komme ich mir wie ein Discjockey vor, der versucht, die Leute auf die Tanzfläche – also ins Büro – zu bringen und ihnen dort ein tolles Tanzerlebnis zu bieten", so hat es unlängst eine Führungskraft in einem Gespräch formuliert.

Willkommen in der neuen Welt der Führung oder anders ausgedrückt: beim Next Level der hybriden Führung. Virtuelle Kaffeerunden und gemeinsame Spaziergänge mit eingeschalteter Zoom-Kamera, das kennen wir zur Genüge. Das Technik-Thema ist geklärt, die Regeln für Online-Meetings sind besprochen und organisiert, wer wann wie lange im Homeoffice arbeiten kann, ist festgelegt.

Vor allem in Zeiten wie diesen ist Führung eine bewusste Entscheidung und muss Möglichkeitsräume schaffen. Das Abarbeiten von Aufgaben war gestern, dazu braucht es im Verständnis vieler den Weg ins Office nicht. Es stellt sich die Frage, warum gehen wir dort hin, und wie werden aus engagierten Mitarbeitenden, die ihren Job gut und tadellos erledigen, motivierte Mitarbeitende, die bereit sind, die Extrameile zu gehen und sich dabei auch mal verlaufen zu dürfen: Stichwort echte Fehlerkultur, Dinge auszuprobieren, scheitern zu dürfen, kollaborieren und gemeinsam einen Beitrag zum großen Ganzen leisten.

Genau das braucht eine Neuausrichtung der Unternehmenskultur – und damit auch eine neue Führungskultur. Äußerlich geschieht schon einiges. Es gibt kaum ein Büro, das nicht gerade nach den New-Work-Prinzipien neu gestaltet wird, und kaum ein Unternehmen, das in den vergangenen 28 Monaten nicht eine Employer-Branding-Abteilung oder eine solche Kampagne ins Leben gerufen hat, die in den Wirtschaftsmagazinen mit Austauschbarkeit glänzen. Die Büromöbelhersteller und Werber reiben sich die Hände, sie haben Aufträge wie kaum zuvor.

Neues Mobiliar

Daran ist nichts falsch – wenn sich das "Unternehmen neu" nicht nur auf die frischen Büromöbel und bunten Bilder beschränkt. Unternehmenskultur wird durch Verhalten, Haltungen und Werte, formelle und vor allem informelle sowie strukturelle Rahmenbedingungen gespeist. Büroausstattung und Büroorganisation sind dabei wichtig, aber nicht nur sie.

Es geht um Promise and Deliver, um das Einhalten der Versprechen. Das galt bisher für den Umgang mit Kunden für Produkt und Marke. Wie sieht das aus, wenn der Fokus auf den Mitarbeitenden, also innen ("employee centricity"), liegen soll? Auch hier gilt das für den Umgang mit neu gewonnenen und bestehenden Mitarbeitern. Was Jobsuchenden auf diversen Social-Media-Kanälen und bei Recruiting-Events versprochen wird, muss im Arbeitsalltag auch gehalten werden. Sonst ist die wertvolle Neuverpflichtung schnell wieder weg. Und alle fragen sich, warum, denn das Gehalt hat doch gepasst.

Für Führungskräfte ist das eine gewaltige Herausforderung. Und nicht nur für sie. Auch die Human-Resources-Verantwortlichen sind gefordert wie nie zuvor. Aktuell wird noch viel zu fragmentiert und in vielen einzelnen Initiativen gedacht. Wichtig ist das durchgängige, gesamthafte Erlebnis online, offline und hybrid zwischen Menschen und Hierarchiestufen zu gestalten. So können Bindung und Bereitschaft zur Extrameile funktionieren.

Kultureller Sound

Die neue, anspruchsvolle Aufgabe für Führungskräfte: den kulturellen Sound des Unternehmens neu zu gestalten und zu leben. Das bedeutet nicht, nur die Wünsche der Mitarbeitenden zu erfüllen. Sie wünschen, wir spielen – da leert sich bald die Tanzfläche. Es ist eher wie bei einem guten Jazz-Stück: Es gibt eine vorgegebene, sorgfältig entwickelte Melodie, innerhalb deren jeder an der passenden Stelle improvisieren kann – um dann wieder in die gemeinsame Melodie einzusteigen.

Im Kern geht es darum, das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit zu befriedigen. Das ist im hybriden Arbeitsmodus deutlich gestiegen. Woher merkt der Sachbearbeiter im Homeoffice eigentlich, für welches Unternehmen er überhaupt arbeitet? Woher der Journalist im Jogging anzug, für welches Medium er gerade schreibt? Die Leistung des Einzelnen zum Ganzen spür- und sichtbar zu machen wird eine der zentralen Führungsaufgaben. Denn das Sichtbarwerden des persön lichen Beitrags zum großen Ganzen schafft Identität. Und gibt dem Einzelnen den Wert, den er braucht – und der ihn vom engagierten zum motivierten Mitarbeitenden macht.

Nicht alles für alle

Keine leichte Aufgabe für Führungskräfte, stets den richtigen Ton zu treffen. Der Sound muss sorgfältig austariert werden, Intensität und Lautstärke müssen passen. Denn Mitarbeitende haben verschiedene Bedürfnisse. Machen wir uns nichts vor: Nicht jeder will Verantwortung übernehmen, nicht jede will Karriere machen, nicht jeder täglich ge fordert werden. Andere wiederum brennen und sind ansprechbar für jede Form der Förderung und Inspiration, verlangen geradezu eine Unternehmenskultur, die sie befähigt, sich weiterzuentwickeln.

Was Führungskräfte brauchen, um diese vielfältige Aufgabe zu erfüllen: Offenheit, Neugier, klaren Fokus und den eigenen neuen Führungsstil. Dann bestehen gute Chancen, dass die richtige, zum Unternehmen passende Musik gespielt wird. Und die Tanzfläche trotzdem voll bleibt – oder gerade deswegen. (Susanna Wieseneder, 26.8.2022)