Aus Stammzellen von Hühnern und Rindern können im Labor ganze Stücke Fleisch gezüchtet werden. Zu kaufen gibt es das kultivierte Fleisch allerdings noch nicht.

Foto: Julia Beirer

Blutrot ist die Flüssigkeit, die der Mitarbeiter im Labor von Redefine Meat in Pipetten zieht. Das Unternehmen befindet sich in Rehovot, rund 30 Kilometer südlich von Tel Aviv. "Sagen Sie mir, wonach es schmeckt", sagt der Mann im weißen Kittel. Es braucht Überwindung, die Mixtur zu kosten. Immerhin sieht sie nicht nur aus wie Tierblut, sie soll auch so schmecken. Geschmacklich hat sie eine nussige Sesamnote und einen leicht rauchigen Ton.

Redefine Meat hat es sich zum Ziel gesetzt, Fleisch aus rein pflanzlichen Zutaten mit demselben Geschmack, derselben Struktur und demselben Aroma des tierischen Produkts zu kreieren. Technologie soll "die ineffizienteste Zutat ersetzen – und das ist die Kuh", sagt ein weiterer Mitarbeiter.

Er ist einer von über 200, die seit 2018 an der pflanzlichen Mischung tüfteln. Die Produktpalette umfasst mittlerweile Würstel, Burgerpatties, Hackfleisch, Flanksteaks und Kebabspieße. Beliefert werden neben Restaurants in Israel und Europa vor allem Fleischhauer in Tel Aviv.

Ein Kilo Fleisch, 20 Kilo CO2

Dass die Fleischindustrie umdenken muss, darin scheint sich die gesamte Food-Tech-Branche Israels einig zu sein. Prognosen der Vereinten Nationen zufolge soll die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden Menschen ansteigen. Das bedingt neue Ernährungsstrategien. Denn die Fleischproduktion ist schon jetzt umweltschädlich.

Laut einer Klimastudie der Universität für Bodenkultur Wien fallen in Österreich für ein Kilo Rindfleisch 15 bis 20 Kilogramm CO2 an. In Ländern wie Brasilien ist der Studie zufolge der Wert sogar um ein Vielfaches höher und liegt bei 115 Kilogramm.

Da Proteine aber ein essenzieller Bestandteil der menschlichen Ernährung sind, suchen Firmen wie Redefine Meat klimaschonende und schmackhafte Alternativen. Eigenen Angaben zufolge spare die tierfreie Produktion im Vergleich zur Viehwirtschaft bis zu 96 Prozent Wasser und 91 Prozent Treibhausgase.

Aktuell werden zudem 60 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen weltweit für die Rinderproduktion eingesetzt. Würde jede Familie in entwickelten Ländern nur einmal pro Woche zum pflanzlichen Steak anstatt zum Rind greifen, könnte das eine Fläche eineinhalb Mal so groß wie Spanien frei machen, heißt es auf der Website.

Blut, Muskeln und Fett

Damit der Geschmack mit jenem des tierischen Produkts mithalten kann, müssen neben Blut auch Muskeln und Fett nachgebildet werden. Dafür kommen unter anderem Sojabohnen und Linsen sowie Kokos- und Rapsöl zum Einsatz. Die fertige Mischung pressen einen Stock tiefer 3D-Drucker in Form von dünnen Linien aus Düsen. Hier verpacken und vakuumieren die Arbeiter, eingepackt in Hygienekittel, Einweghaube und Handschuhe, etwa die pflanzlichen Würstel.

"Wir haben kein Problem mit Fleisch, es ist köstlich", sagt ein Mitarbeiter, der den Weg wieder nach oben weist. Um das pflanzliche Produkt möglichst echt wirken zu lassen, sitzen einige Türen weiter vier Männer eng gedrängt in einem Raum und pressen kleine Stücke, die aussehen wie gebratenes Fleisch, zusammen. Dadurch analysieren sie Fasern, Struktur und Festigkeit auf nicht vorhandene Herz und Nieren.

Doch was unterscheidet Redefine Meat von anderen pflanzlichen Fleischersatzprodukten wie Beyond Meat? Man arbeite mit einer anderen Technologie, zudem sei die Strategie fokussiert auf ganze Stücke Fleisch, wie etwa Steaks. Und der Geschmack? Nun ja, es mundet. Weder optisch noch geschmacklich ist ein Unterschied zu tierischem Fleisch erkennbar.

Kultiviertes Fleisch aus dem Labor

Marktreif ist man einige Hochhäuser weiter noch nicht. Aleph Farms verfolgt einen ganz anderen Ansatz, um die Kuh vom Steak zu trennen. Die Forscherinnen und Forscher kultivieren Fleisch im Labor. Dafür werden einem Tier einmalig Stammzellen mittels Biopsie entnommen, sagt Neta Lavon, CTO des Unternehmens und Zellbiologin.

Auch sie ist überzeugt: "Fleisch ist der Schlüssel, um die Lebensmittelwirtschaft nachhaltig zu gestalten." Ihre Argumente: 80 Milliarden Bauernhoftiere würden jährlich für Fleisch geschlachtet. 38 Prozent der globalen Oberfläche und 70 Prozent des Frischwassers nutze die Landwirtschaft. Zudem verantworte die Lebensmittelproduktion ein Drittel der Treibhausgaseffekte.

Den Lösungsvorschlag von Aleph Farms hält Lavon nun vakuumiert in den Händen. Das "dünn geschnittene Rindersteak" ist wenige Millimeter dick, braungrau und durchzogen von schwarzen Strichen. "Wir züchten nur die Zellen, die das Fleisch produzieren, nicht das ganze Tier", sagt sie. Daher dauere der Prozess nur drei bis vier Wochen.

Die Zellen wachsen außerhalb des Tiers unter kontrollierten Bedingungen in Bioreaktoren. "Diese können die Reaktionen innerhalb der Kuh imitieren", sagt Lavon. Der Bioreaktor sei ein Gefäß, das sicherstelle, dass alle Zellen darin dieselben homogenen Konditionen haben. Zudem werden die Zellen darin rund um die Uhr überwacht.

Das Fleisch stammt laut Lavon von natürlichen Zellen und habe keine genetischen Mutationen. Ob es allerdings auch koscher ist, darüber debattieren führende Rabbiner derzeit.

Doch wer will kultiviertes Fleisch überhaupt essen? Einer Erhebung zufolge würden es 80 Prozent der Befragten in den USA und Großbritannien probieren. Verkosten kann man das dünne Stück Fleisch von Aleph Farms allerdings noch nicht.

Ganz im Gegensatz zu jenem von Super Meat. Das Unternehmen in Tel Aviv züchtet Hühnerfleisch in Bioreaktoren hinter einer Glasfront. Gegenüber ist die offene Küche des Restaurants "The Chicken", in der Köche das Fleisch aus der Vakuumverpackung befreien, mit Pankomehl panieren, braten und mit Tomaten, Salat sowie Zwiebeln zwischen zwei Brötchen als Burger servieren.

Marktreif ist allerdings auch dieses Produkt noch nicht. Verkosten darf nur, wer eine Verzichtserklärung unterschreibt. Danach würde aber auch hier niemand auf die Idee kommen, dass zwischen den Brötchen kein echtes Hühnchen liegt. (Julia Beirer aus Tel Aviv, 23.8.2022)