Viele Dinge scheinen im Leben selbstverständlich und nebensächlich – bis man ihnen negativ gewahr wird, weil sie kaputtgehen, fehlen, den Anforderungen nicht mehr entsprechen. Wie Lampenschirme. Ihr Daseinszweck ist es, das künstliche Licht so ansprechend wie möglich zu machen. Nackte Birnen sind zu direkt, zu kühl, zu unvermittelt. Lampenschirme dienen dazu, das Licht zu fangen und auf angenehme Art zu streuen – und dabei so schön wie möglich auszusehen.

Jemand, der sich damit besonders gut auskennt, ist Lion Fink. Seit 2004 führt er das Geschäft mit dem schlichten Namen "Die Lampenschirmerzeugung", damals übernahm er es von der Mutter, die es schon jahrzehntelang geführt hatte, es ist neben dem Fotogeschäft nebenan eines der nur zwei "alten" Läden in der Operngasse. Man schaut gern hinein in die vollgepackten Schaufenster – vielformatige Lampenschirme, groß, klein, rund, eckig, 50er-Jahre-Kuriositäten und Rollen von bunten Stoffkabeln – und ahnt noch nicht, welche Schätze sich im Inneren verbergen: Auf den etwa 70 Quadratmetern Grundfläche lagern Waren, die locker das Zehnfache an Raum vertragen würden.

Lion Fink vor seinem Geschäft im 4. Bezirk.
Foto: Regine Hendrich/Der Standard

Lampen, Sackerln, Schachteln

Lampenschirme aus Stoff, Glas, Metall; Schachteln über Schachteln mit Leuchtmitteln jeder Provenienz, Kabel, Lampenfüße, noch mehr Schachteln. Alles ist scheinbar gefährlich über-, hinter- und untereinander gestapelt, der verfügbare Platz fürs Kundengespräch ist knapp. Aber Fink ist der Meister dieses scheinbaren Chaos, dessen System er völlig im Griff hat: Sein Fahrrad steht sorgsam eingebaut im Verkaufsraum zwischen Lampen, Sackerln und Schachteln, es wirkt, als wäre es eingewachsen, fixe Stütze des großen Ganzen – und doch benutzt Fink es für seine täglichen Wege. "Das ist am praktischsten, wenn man nichts allzu Schweres zu transportieren hat", meint er, auch wenn er der Verkehrsberuhigung im Grätzl ambivalent gegenübersteht: "Meine Kunden kommen gern mit dem Auto. Eine große Stehlampe kann man halt nicht gut mit dem Bus transportieren."

Hüter des Lichts

"Lampenschirmerzeugung" – was ist das eigentlich genau? "Jedenfalls kein Lehrberuf", erklärt Fink. "Entweder man kann es, oder man kann es nicht." In Finks Fall ist es überliefertes Wissen, nach einer Lehre als Maschinenbauer und einem BWL-Studium hat er das Handwerk von der Mutter gelernt. Konkret geht es hier um Lampenschirme aus Stoff, der entweder auf eine spezielle Folie aufgezogen oder auch plissiert (also in Falten gelegt, die je nach Form des Schirms nach unten aufgehen) auf Eisendrahtrahmen gespannt wird. Vor einigen Jahren gab es noch etwa 80 Lampenschirmerzeuger in Österreich, erzählt Fink, jetzt sind es noch fünf. "Darunter verstehe ich aber Erzeuger, zu denen die Kundschaft kommt und sagt, was sie möchte. Nicht jemand, der aus irgendwelchen nichttraditionellen Materialien – wie etwa Holz – fertige Schirme macht, die man dann kaufen kann oder auch nicht."

Die Lampenschirme, die man in Lion Finks Geschäft bekommt, sind ebenso traditionell wie individuell: In Bezug auf Farbe, Form und Material sind zwar durchaus Grenzen gesetzt, aber es gibt jede Menge Spielraum. "Es gibt keinen Standard. Jeder Lampenschirm ist anders." Anders als die Lampenfassungen in zwei Normgrößen gibt es für Lampenschirme selber keine Industrievorgaben – manche werden aufgeschraubt, andere mit Bügeln befestigt. Eine Herausforderung für Fink, ein großer Teil des Geschäfts besteht aus der Herstellung neuer, standesgemäßer Lampenschirme für alte Lampen, deren Konstruktionen keinen Standards folgen. Dafür braucht man Erfahrung und Zeit, aber vergleichsweise wenig Spezialausrüstung. "Zwei Hände – eine linke und eine rechte. Nadel und Faden, eine Industrienähmaschine, Zirkel, Bleistift, Schere, Lineal."

Chaos? Nicht für Fink.
Foto: Regine Hendrich/Der Standard

Ganz viel Arbeit

Es komme nicht auf die Ausstattung an, meint er, sondern auf die Fertigkeit. Die Grundmaterialien, mit denen gearbeitet wird, sind Gestelle aus Eisendraht, spezielle Folie (lichtdurchlässig, hitzesicher, UV-beständig, antistatisch) und natürlich Stoff. Prinzipiell kann fast jeder Stoff verwendet werden, idealerweise Baumwollmischgewebe für die glatten, Kunstseide für die plissierten Schirme. Aber auch hier gilt das Prinzip: "Der Kunde will’s, der Kunde kriegt’s", als Beweis dient ein hübscher, kleiner glatter Schirm aus buntgemusterter, hauchzarter Seide.

Sobald Maße und Material geklärt sind, wird ein Schnitt hergestellt, der Stoff zugeschnitten, bei glatten Schirmen auf die Folie aufkaschiert. Bei plissierten Schirmen dauert die Prozedur länger, hier gibt es keine Trägerfolie, dafür umso mehr Stoff – etwa das Dreifache des tatsächlichen Umfangs. "Die plissierten Schirme sind am meisten Arbeit, das kann man nur mit der Hand nähen. Dafür sind sie am nachhaltigsten, weil sie keine Trägerfolie brauchen, sie sind waschbar und halten Jahrzehnte."

Alles auf dem Schirm

Wie viele Arbeitsstunden in einem Schirm stecken? "Schwer zu sagen, jeder Schirm ist anders. Ich habe meine Preisliste je nach Durchmesser", meint Fink, und zeigt auf ein mit kunstvollen Borten reich dekoriertes, vieleckiges Exemplar: "An dem hab ich acht Wochen gearbeitet." Natürlich nicht exklusiv – Fink ist allein in seinem Geschäft, er macht hier alles selbst. Finks Kundschaft besteht aus Privat- wie aus Geschäftsleuten: Seine Schirme hängen in Hotels, Restaurants und sogar in den Wagons des relaunchten Orient-Express, ein Auftrag, auf den Fink verständlicherweise besonders stolz ist. Auch deshalb, weil sein Werk hier öffentlich sichtbar ist – "ich sehe ja meine Arbeit fast nie, die Leute laden mich eher selten zu sich nach Hause ein", kommentiert er trocken.

Umgekehrt versucht er, die Schwellenangst potenzieller Kunden abzubauen: Fink hat keine Vorurteile, für welche Lampen er Schirme macht, ob exklusive Antiquität oder Ikea-Massenware: "Auch da gibt es tolle Designs, und es wäre viel zu schade, die wegzuwerfen."

Lampenschirme werden von Fink auch repariert.
Foto: Regine Hendrich/Der Standard

Das gesündeste Licht

Außer Schirmen gibt es in Finks Geschäft natürlich auch komplette Lampen zu kaufen – einerseits Replikas des klassischen Banker-Modells mit dem grünen Glasschirm ("die sind immer sehr beliebt als Geschenk"), andererseits eine Schar von exotisch-figürlichen 50er-Jahre-Tischlampen, Relikte aus der Sammlung von Finks Vater. "Damals waren sie Kitsch, heute sind es teure Antiquitäten" – und ein Blickfang für die Laufkundschaft. Genauso wie die glänzenden Stoffkabel in allen Regenbogenfarben, die Fink selber herstellt. Dafür überzieht er mit einem speziellen Gerät, das an eine überdimensionierte Strickliesel gemahnt, Lampenkabel mit Kunstseidengarn. "Ursprünglich habe ich das nur für mich gemacht, weil es einfach besser ausschaut für die Präsentation. Aber dann musste ich aus Platzgründen einmal ein paar Rollen im Schaufenster zwischenlagern, und auf einmal wollten das die Leute kaufen!"

Was es bei Fink auch noch gibt, sind Glühbirnen, die echten, alten. "Für mich ist das das beste, gesündeste Licht, natürlich, kein künstlicher Schein. Stromsparender sind natürlich die LEDs – aber umweltfreundlicher sicher nicht, wenn man Erzeugung, Transport und Entsorgung anschaut, da steckt jede Menge giftige Chemie drin. Eine Glühbirne dagegen besteht nur aus Glas, Wolframdraht und Aluminium."(Gini Brenner, 23.8.2022)