Pianist Vijay Iyer beschenkt Saalfelden mit Abstraktion.

Foto: Ebru Yildiz

Saalfelden – Pianist Vijay Iyer ist beim Jazzfestival Saalfelden kein Unbekannter. Er war bereits in jenem Jahr zugegen, als man den 30. Geburtstag der Jazzreihe feierte, damals, 2009. Iyer, 1971 in den USA geborener Sohn indischer Einwanderer, kennt seinerseits aber auch die luxuriösen Herausforderungen für das Publikum beim viertägigen Festival. Er erscheint auf der Bühne und freut sich, dass "ihr nach 67 Stunden Musik noch wach seid ...".

Bei allem Verständnis für die marathonmäßig geforderten Ohren liefert der Virtuose mit Bassist Mott Brewer und Schlagzeuger Jeremy Dutton im Congress dennoch keine entspannende, zum Schlummer einladende Klangtapete ab. Zwar beginnt er behutsam, entwickelt eine einstimmige Linie. Schon deren Verlauf kündigt allerdings abstrakte Gedankenverläufe an, die sich schließlich durch rasante epische Linienführung manifestieren.

Rasanz, Dramatik und Sinnhaftigkeit

Dabei wirkt Iyer nicht wie ein pianistischer "Tausendfüßler", der Notenkolonnen der sinnentleerten Art produziert. Sein Monolog, der auch aus der Interaktion mit den Kollegen Energie schöpft, ist eine Fusion aus Rasanz, Dramatik und Sinnhaftigkeit der Echtzeitgedanken. Man spürt: Iyer weiß, dass das Klaviertrio als Form unzählige maßstabsetzende Vorbilder aufweist. Der Vergleich mit diesen könnte ihn blass aussehen lassen. Tut er nicht. Iyer agiert technisch und ideenmäßig in der obersten Liga.

Wenn es in Saalfelden am Sonntag, dem Schlusstag, etwas Entschleunigtes zu hören gab, dann vor allem beim Projekt des französischen Cellisten Vincent Courtois. Seine Combo war an sich an den Film Finis Terræ ("Ende der Welt") gebunden, einen Stummfilm von Jean Epstein. Diesfalls wurde es jedoch kein "Filmkonzert", die subtile Kammermusik des Quintetts wirkte aber auch ohne Assistenz der stummen Szenen.

Dekonstruierte Idylle

Allein die Besetzung – Schlagwerk, Cello, Fagott, Klarinette und Akkordeon – war reizvoll, da ungewöhnlich. Zudem gab man sich trotz einer entschleunigten Atmosphäre nie illustrativ. Aus dem Kreisverkehr der Begleitpatterns stiegen instrumentale Episoden auf, die an dörfliche Feste denken ließen. Auf folkloristischer Basis improvisierte man sich daneben punktuell in Bereiche freier Tonalität. Die solcherart dekonstruierte Idylle wurde wieder zusammengesetzt und wieder zu einer Stimmungsmusik geformt, die sich der Trivialität verweigert.

Die französische Combo kann wiederkommen und dann gerne auch mit Film. Iyer hörte man auch gerne wieder. Vielleicht einmal sogar ganz einsam, also solo. (Ljubisa Tosic, 23.8.2022)