Auch bereits zugelassene Medikamente werden laufend einer Nutzen-Risiko-Abwägung unterzogen.

Foto: APA / Hans-Jürgen Wiedl

Seit 16 Jahren ist Marion Noe nun schon mit ihrer Idee beschäftigt. Ausgangspunkt war die Unzufriedenheit der Wiener Gynäkologin. Sie hatte regelmäßig Patientinnen, die an chronischem Vaginalpilz litten – und den allermeisten konnte sie keine langfristige Heilungsmöglichkeit anbieten.

Bis sie eine Erkenntnis hatte. "Ich habe damals in der Forschung gearbeitet, mit Schwerpunkt Endometriose. Da siedeln sich Gebärmutterschleimhautzellen außerhalb der Gebärmutter an, bleiben haften und verursachen oft Verwachsungen und Schmerzen. Und auch bei einer chronischen Pilzinfektion ist die Anhaftung ein Problem."

Aus dieser Erkenntnis entstand die Idee, ein Pilzmittel mit einem Adhäsionshemmer in einer Salbe zu kombinieren. Erstes Versuchskaninchen bezüglich der Wirksamkeit war Noes Tochter. Die war damals ein Baby und litt an hartnäckigem Windelsoor, einer Pilzinfektion, die bei Babys häufig vorkommt. "Ich habe jede Pobacke mit einer anderen Wirkstoffkombination beschmiert und die Entwicklung verglichen."

Die zweite Patientin war ihre Nichte mit dem gleichen Problem. Und der Erfolg war bei beiden Babys sensationell! Innerhalb zweier Tage war das zuvor unheilbare Problem gelöst. Als auch noch eine Patientin von Noe nach jahrelanger chronischer Pilzinfektion damit geheilt wurde, war klar: "Daraus soll ein richtiges Arzneimittel werden. Und dann begann eine lange Reise."

Auswahl der Besten

Nicht immer dauert es 16 Jahre. Aber die Arzneimittelforschung und -entwicklung ist ein langwieriger, aufwendiger und teurer Prozess, der viele Jahre in Anspruch nimmt, bestätigt auch Barbara Tucek von der Medizinmarktaufsicht des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG).

Die meisten Medikamente werden dabei von größeren Pharmaunternehmen entwickelt. "Man überlegt zuerst, welche Arzneimittel in das Produktportfolio passen und welche Therapieform entwickelt werden soll. Dafür werden unter anderem zu Beginn riesige Moleküldatenbanken nach einer passenden Substanz zur Behandlung der jeweiligen Krankheit durchforstet."

Erfolgversprechende Kandidaten werden daraufhin im Labor und in Zellkulturen weiter untersucht. Bis ein "fertiges" Medikament für die nachfolgende Prüfung an Tier und Mensch bereitsteht, müssen zahlreiche aufwendige Herstellungsprozesse gemäß klar definierten und strikten Vorgaben erfolgreich durchlaufen werden – und hier scheitern viele.

Tucek erklärt: "Medikamente werden zuerst im Tierversuch auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit in unterschiedlicher Dosierung geprüft. Man untersucht auch, wie sich der Wirkstoff im Körper verhält, wo er sich überall ablagert und wie er wieder ausgeschieden wird." Zeigt sich hier, dass das Arzneimittel den Anforderungen entspricht, folgt die klinische Prüfung und damit die Erforschung am Menschen.

In Phase-I-Studien geht es um erste Erkenntnisse zur Sicherheit, Verstoffwechselung und Wirkung des Mittels, 20 bis 100 gesunde Menschen nehmen daran teil. "Man beginnt hier mit einer niedrigen Dosis, die vorab im Tierversuch ermittelt wurde", erklärt Tucek.

Optimales Nutzen-Risiko-Profil

Sind die Ergebnisse vielversprechend, geht es weiter mit Phase-II-Studien, wo an einigen Hundert Probandinnen und Probanden neben der Sicherheit das optimale Dosierungsschema eruiert wird. Spätestens hier wäre auch der Zeitpunkt, ein Medikament, das bisher nicht den erwünschten Erfolg erzielen konnte, noch einmal zu überarbeiten oder auch ganz aufzugeben. "Denn sonst wird es wirklich teuer."

In den großen Phase-III-Studien mit ein paar Tausend Teilnehmenden wird die Arznei an der Zielgruppe getestet, für die sie tatsächlich gedacht ist. Hier geht es um die Beurteilung des Nutzen-Risiko-Profils in Zusammenschau mit den bisher erforschten Ergebnissen des gesamten Entwicklungsprogramms. Tucek betont: "Der Nutzen des Medikaments, also eine erfolgreiche Behandlung oder Vorbeugung einer Erkrankung, muss im Verhältnis zu etwaig auftretenden Nebenwirkungen klar überwiegen."

Befristete Zulassung

Wird dies durch die Zulassungsbehörden bestätigt und sind alle regulatorischen Vorgaben erfüllt, erhält das Medikament vorerst eine zumeist auf fünf Jahre befristete Zulassung. Dies geschieht auf nationaler Ebene oder auch europaweit über die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Europäische Kommission. Nach fünf Jahren folgt eine erneute behördliche Bewertung, ob Konstanz der Wirksamkeit und Sicherheit auch nach der Markteinführung weiterhin gegeben sind. Erst wenn das der Fall ist, kommt die unbefristete Zulassung.

Auch nach der Zulassung wird das Nutzen-Risiko-Profil durch gesetzlich geregelte Pharmakovigilanzmaßnahmen, etwa regelmäßig vorzulegende Periodic Safety Update Reports (PSURs), laufend überwacht. Und im Bedarfsfall werden umgehend behördliche Maßnahmen gesetzt, wenn sich dieses Profil zum Nachteil der Patientinnen und Patienten ändern sollte.

Die Salbe von Gynäkologin Noe kommt übrigens, wenn alles nach Plan läuft, im nächsten Jahr auf den Markt. Und sie dürfte, laut ersten Rückmeldungen aus den noch laufenden Phase-III-Studien, wirklich ein vielversprechender Ansatz für langfristige Heilung sein. Ein wichtiger Hoffnungsschimmer, auf den viele Frauen schon viel zu lange warten. (Pia Kruckenhauser, CURE, 23.8.2022)

Der lange Weg zur Zulassung

Grafik: DER STANDARD, Quelle: www.basg.at

Forschungslabor
In Datenbanken und Molekülbibliotheken werden Millionen Substanzen gescreent. Erfolgversprechende Kandidaten werden dann in Zellkultur und Labor untersucht.

Präklinische Phase
Die herausgefilterten Substanzen werden im Tierversuch auf Sicherheit und Wirksamkeit geprüft.

Klinische Phase
Sie teilt sich ein in drei Studienphasen am Menschen. In Phase I, mit gesunden Probandinnen und Probanden, geht es um die Sicherheit des Medikaments. Phase II untersucht weiter die Sicherheit und das optimale Dosierungsschema. In Phase III wird das Nutzen-Risiko-Verhältnis mit tatsächlichen Patientinnen und Patienten, für die das Mittel gedacht ist, abgeprüft.

Zulassung und Phase IV
Nach der Zulassung folgen Studien, die die Wirkung der Arzneien im realen Leben prüfen. Auch Wirkungen außerhalb der Zulassung können analysiert werden.

PSUR
Steht für Periodic Safety Update Report: Die Nutzen-Risiko-Abwägung wird auch nach Freigabe laufend aktualisiert. (CURE, 1.10.2022)