Im Gastblog zeigt Jurist und Mediator Ulrich Wanderer, wieso ein ehrlicher Umgang bei Unterhaltszahlungen neben finanziellen Aspekten auch in Bezug auf das Verhältnis zum Ex-Partner oder zur Ex-Partnerin von Vorteil ist.

"Die restlichen Unterlagen habe ich aber nicht erwähnt." So endete ein Gespräch in einer Beratungsstelle dereinst, als der Klient im Rahmen einer Unterhaltsberatung auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage zu sprechen kam. Wir waren zuvor die diversen Prozentberechnungsmethoden durchgegangen, hatten die unterhaltspflichtigen Kinder einberechnet und auch den Unterhalt der Ex-Frau ins Kalkül gezogen, da kam Herr Y. mit dieser Information. Wie nun damit umgehen? Und vor allem, was hat dieses Thema aus einer Beratungssituation im Mediationsblog verloren?

Schlachtfeld Unterhalt

Unterhaltsverpflichtungen sind eines der am häufigsten offenkundigen Konfliktfelder in Beziehungskonflikten, schließlich geht es dabei um die wesentlichsten Punkte der Trennungsdiskussion: Um Geld, Kindeswohl sowie das höchstpersönliche Fortkommen des unterhaltsempfangenden zukünftigen Ex-Partners oder Ex-Partnerin. Dass gerade hier nicht immer mit offenen Karten gespielt wird, ist menschlich nachvollziehbar. Doch wie sieht diese Situation aus der Sicht des Beraters beziehungsweise aus der Sicht des Mediators aus?

Ehrlichkeit beim nachehelichen Unterhalt

Es ist nur zu verständlich, dass in einer Situation, in der die Beziehung zerbrochen und das Vertrauen in den anderen einer tiefen Kränkung gewichen ist, versucht wird, das eine oder andere Ass im Ärmel zu behalten und nicht alle finanziellen Möglichkeiten auf den Tisch zu legen – alles andere wäre realitätsfremd. Hier ist man sich selbst der oder die Nächste. Kurzfristig, ja sogar mittelfristig scheint diese Strategie auch gut aufzugehen. Unterschlägt man beispielsweise die Auszahlung einer Lebensversicherung oder erwähnt man die Einkünfte aus der Vermietung der geerbten elterlichen Wohnung nicht, so sichert man sich ein Zubrot, zumal die Ex-Partnerin gefühlt ohnehin weit mehr als notwendig überwiesen bekommt. Und irgendwie fühlt es sich ja auch wie ein kleines Revanchefoul nach all den erlittenen Kränkungen und daher schlichtweg gut an.

Werden Vermögenswerte bei der Unterhaltsberechnung unterschlagen, kann dies zu hohen Nachforderungen führen.
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Mit anderen Worten: Es ist einfach und nachvollziehbar, wenngleich sich langfristig eher der gelegentlich zitierte Schuss ins Knie als Vergleich aufdrängt. Nehmen wir einmal jenen Fall an, dass es sich um den Unterhalt der zukünftigen Ex-Partnerin handelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass jene mehr oder weniger kleinen Wahrheitsverbiegungen dem Tageslicht auf ewig verborgen bleiben, ist in der Praxis enden wollend, ja schlichtweg gering. Je nach Ausformulierung – selbst bei Verzicht auf Unterhalt – könnte eine Verweigerung der Neuberechnung des nachehelichen Unterhaltsanspruches sittenwidrig sein, wenn nachweislich im Rahmen der Scheidungsverhandlungen mit falschen Zahlen argumentiert wurde. In einer darauf folgenden Verhandlung wäre der Spielraum für konsensorientierte Vereinbarungen freilich gering, zumal die Vertrauensbasis geschwunden wäre. Fortan erstellten Sachverständige Gutachten hinsichtlich des Anspannungsgrundsatzes, wobei die Kosten wohl für beide Parteien (primär sicherlich für den anzuspannenden Part) in die Höhe schnalzen würden.

Alternative Wahrheit bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage?

Im Falle einer Vereinbarung beziehungsweise Berechnung des zu leistenden Kindesunterhalts ist das Risiko einer Unterschlagung der unterhaltsrelevanten Zahlen noch etwas größer. Einerseits ist es Aufgabe des Gerichts, im Rahmen der Scheidungsverhandlung die Interessen des Kindes oder der Kinder von sich aus zu bedenken und zu schützen, was bei so mancher Verhandlung dazu führt, dass die Richterin oder der Richter die der Unterhaltsberechnung zugrundeliegenden Zahlen selber sehen wollen. Andererseits besteht gerade beim Kindesunterhalt die Möglichkeit, so gut wie jederzeit eine Neuberechnung zu beantragen. Nicht erst beim (meist vom Unterhaltspflichtigen) gefürchteten Alterssprung in die nächste Prozentstufe, nein, schon bei jeder vermuteten nicht geringfügigen Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlage kann eine Neuberechnung beantragt werden. Nachdem diese sogar eine drei Jahre rückwirkende Neuberechnung zur Folge haben kann, besteht die Gefahr, dass bei "optimierten" Zahlen eine nicht unbeträchtliche Nachforderung sowie eine ständige Überprüfung aufgrund des geschwundenen Vertrauens in die Zahlungsbereitschaft der unterhaltspflichtigen Person die Konsequenz sein kann.

Selbst wenn es schmerzt

So verlockend es freilich sein kann, die eine oder andere Einkommensquelle bei Unterhaltsverhandlungen nicht auf den Tisch zu legen, so trügerisch kann diese Verlockung sein. Wird der Versuch entlarvt, so schwindet für alle Zukunft das Vertrauen in die Handschlagqualität des Gegenübers, was insbesondere bei langjährigen Alimentationsverpflichtungen hinsichtlich eines Kindes zum Bumerang werden kann. Langfristig ist daher – bei allem Verständnis für die wohl aufkeimenden Unlustgefühle – Offenheit hinsichtlich der finanziellen Grundlagen der Unterhaltsberechnung anzuraten.

Sowohl in Mediation als auch in der klassischen Scheidungsberatung kommen die besten und nachhaltigsten Ergebnisse nur durch ehrliche Kooperation zustande. Wird bereits während der Verhandlung im Vorfeld der einvernehmlichen Scheidung getrickst, so bereitet dies den Boden für langwierige Scheidungsfolgenkonflikte. Hier sei auch noch ein kurzes Schlaglicht auf die Einrichtung des "collaborative law" geworfen. In dieser Verhandlungsform beraten und vertreten jeweils parteiische Anwältinnen und Anwälte die Mandantschaft, wobei das Wissen um die Vorteile einer konsensorientierten, nachhaltigen Vereinbarung die Anwältinnen und Anwälte dazu bringt, gemeinsam nach vernünftigen Auswegen zu suchen. Fachleute aus dem Bereich der Kinderpsychologie, der Steuerberatung oder auch anderer Fachbereiche können hier zugezogen werden.

Zusammenfassung

Ehrlichkeit hinsichtlich der Unterhaltsberechnung wirkt auf den ersten Blick nahezu absurd. Doch bedeutet das allfällige Verschweigen eines Zinsgewinnes oder die Verheimlichung von Miet- oder Pachteinnahmen nur einen kurzfristigen Erfolg. Langfristig bedeutet die durch Vertrauen und Offenheit gewonnene Gesprächsbasis einen größeren Gewinn sowohl in menschlicher als auch in finanzieller Hinsicht. (Ulrich Wanderer, 25.8.2022)