Es ist eine Binsenweisheit, dass der Skisportler und die Skisportlerin im Sommer gemacht werden. Die Bezeichnung "Wintersport" ist also, wenn man die Vorbereitung miteinbezieht, eine verkürzte Darstellung. Die mit dem Etikett "ganzjährig" versehenen Gletscherskigebiete liegen in solchen Höhen, dass sich Sportlerinnen und Sportler selbst im Sommer optimal für den Winter präparieren können. Eigentlich. Denn in diesem Sommer ist das anders. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Winter war schneearm, Saharastaub zog auf, dazu kommt die Hitze. Heuer mag das wie eine Verkettung unglücklicher Umstände anmuten, doch ein Prophet muss man nicht sein, um zu erkennen: Besser wird es in den kommenden Jahren wohl nicht werden.

Wo der Schnee weniger wird, sehen Trainingsstrecken immer öfter so oder ähnlich aus.
Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Das sorgt für Sorgenfalten auf der Stirn, unter anderem bei Superstar Mikaela Shiffrin. Die US-Amerikanerin bereitete sich jüngst in der Schweiz auf die Saison vor und äußerte sich besorgt über den Zustand des Gletschers und der Pisten. Vielleicht sei der Zeitpunkt, ab dem man nicht mehr auf den Gletschern trainieren könne, schon sehr nahe gerückt. Doch für den Profisport gibt es Mittel und Wege, dem zu entgehen. Der ÖSV bereitet sich derweil am anderen Ende der Welt auf die Rennen vor: Denn in Feuerland, auf dem Südzipfel Südamerikas, herrscht tiefster Winter.

Doppelte Nachhaltigkeit

Doch wie nachhaltig ist das Modell, einen riesigen Tross samt Ausrüstung ans andere Ende der Welt zu verfrachten? Und nachhaltig ist hier im doppelten Sinne gemeint. Denn neben der ökologischen Nachhaltigkeit geht es um die sportliche. Wie lässt sich Nachwuchs fördern, wenn es die hiesigen Gegebenheiten nicht mehr zulassen?

Prof. Dr. Robert Steiger von der Universität Innsbruck sieht den heimischen Verband in der Zwickmühle. "Gehen sie das Risiko ein, im Sommer nicht trainieren zu können, oder fliegen sie auf die Südhalbkugel und generieren damit sehr viel CO2? Es ist natürlich auch eine Kostenfrage, aber eigentlich muss man aus professioneller Sicht die Kosten einkalkulieren, wenn man in den Alpen nicht mehr trainieren kann", sagt Steiger dem STANDARD. Man müsse versuchen, die Reisetätigkeit so gut wie möglich einzuschränken, dies sei allerdings bei globalen Sportarten schwierig. Sowohl im Profi- als auch im Freizeitbereich sind es An- und Abreise, welche die meisten Emissionen verursachen.

Reportage vom Hintertux Gletscher: Der Skilauf am Gletscher sei für das Tal von essenzieller Bedeutung, sagt der Betreiber der Gletscherbahn. Unter anderem werden hier im Sommer die Skilehrer ausgebildet
DER STANDARD

Auf den Skinachwuchs sieht Steiger ebenfalls Probleme aufgrund der dahinschmelzenden Trainingsbedingungen zukommen: "Wenn die Anreise zu den Skigebieten immer länger wird, könnte auch die Motivation, Ski zu fahren, sinken. Somit würde der Sport nischiger, und das Potenzial, aus dem man schöpft, wird kleiner. Und wenn der Sport in der breiten Bevölkerung nicht mehr nachgefragt wird, hat das auch Auswirkungen auf den Profibereich. Denn weniger Interessierte bedeuten auch weniger Sponsoren." Ein klassisches Wechselspiel.

Im ÖSV wird versichert, dass man das Thema auf der Agenda habe. Man beobachte die Entwicklungen und sei angehalten, diese in den Überlegungen und Planungen zu berücksichtigen. Beispielsweise arbeite man an einem Projekt, um in Skigebieten im Frühjahr länger und im Herbst früher zu trainieren. Man plädiere darüber hinaus auch für einen späteren Beginn der Rennen, gerade im Nachwuchsbereich. Ähnliche Lösungskonzepte schlägt Steiger vor: "Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass man im Hochsommer auf Ski trainieren muss. Man könnte den Rennkalender adaptieren und erst im November oder Dezember starten. Auch Trainingszeiten könnte man abändern."

Um allerdings sportlich konkurrenzfähig zu bleiben, sei es für die Profis des ÖSV praktisch unvermeidbar, auch im Sommer auf Schnee zu trainieren. Deshalb gebe es aktuell Überlegungen bezüglich der Errichtung eines eigenen Stützpunkts in Südamerika.

Diese Aufnahme entstand auf der Resterhöhe bei Mittersill im Oktober 2019.
Foto: APA/EXPA/JOHANN GRODER

Prof. Dr. Ulrich Strasser, der ebenfalls an der Universität Innsbruck lehrt, nennt das Training der Skimannschaften eine "Flexibilisierung der Umgebungsbedingungen". Man gehe eben dorthin, wo es gut funktioniere. Die Kosten würden keine Rolle spielen. Früher habe man heimische Gletscher präferiert, heute sei das anders. Wie eine solche Flexibilisierung aussehen könnte, lässt sich im Pinzgau bestaunen. Trainingspisten sehen mitunter skurril aus – etwa das schon berühmte weiße Band auf der Resterhöhe. Dort schlängelt sich eine weiße Skipiste durch die sonst grün-braune Landschaft. Das Band besteht aus konserviertem Schnee der Vorsaison, der mithilfe einer speziellen Folie vor dem Schmelzen geschützt wurde. Der Schnee sei auch strapazierfähiger als frischer. Für Strasser ist das die "konsequente Umsetzung einer geplanten Skibenutzung für Leistungssportler oder anspruchsvolle Gäste". Dort könne man schon deutlich vor dem meteorologischen Winteranfang trainieren.

Sport wird teurer

Auch aufgrund der klimatischen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass der Skisport exklusiver und teurer wird. Darin sind sich auch Steiger und Strasser einig. Das könnte sich als weiteres Problemfeld für den Nachwuchs auftun. Denn mittel- und langfristig werden nur Skigebiete auf über 1500 Metern überleben, für darunterliegende sei es aufgrund der Kosten für technische Beschneiung schwierig. Somit könnte es immer weniger Pisten geben. Steigende Energiepreise stellen die nächste Herausforderung dar, insbesondere für die Liftbetreiber. Trotz alledem wolle man versuchen, dass das Skifahren finanzierbar bleibe, heißt es im ÖSV. (Jens Wohlgemuth, 24.8.2022)