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Derzeit sind mehrere Verfahren offen – auch wegen ungewollter Schwangerschaften.

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Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat in der Causa rund um schadhafte Verhütungsspiralen von Eurogine eine erste Entscheidung gefällt. Demnach haftet der spanische Hersteller nicht für die ungewollte Schwangerschaft einer Frau aus Tirol, deren Spirale gebrochen war. Aus Sicht der Richterinnen und Richter kann die Geburt eines gesunden Kindes keinen Anspruch auf Schadenersatz auslösen. Schmerzen bei Schwangerschaften seien zudem "natürliche Lebensvorgänge" (OGH 25.5.2022, 8 Ob 69/21).

Anders sind dagegen Fälle zu beurteilen, in denen gebrochene Spiralen direkt Schmerzen ausgelöst oder zu Komplikationen geführt haben. Erst vergangenen April war einer Frau vom Bezirksgericht Fürstenfeld in erster Instanz Schadenersatz zugesprochen worden. Der Verbraucherschutzverein (VSV) brachte eine Sammelklage ein, weil es in den vergangenen Jahren mehrmals Probleme mit Spiralen des Herstellers gegeben hatte. In einigen Fällen brachen Plastikstücke ab und blieben im Körper.

Ersatz für Schwangerschaft?

Im aktuellen Fall hatte sich die Frau Anfang 2016 eine Spirale einsetzen lassen. Drei Jahre später wurde sie dennoch schwanger und brachte Anfang 2020 ein gesundes Kind zur Welt. Gemeinsam mit ihrem Mann verlangte sie daraufhin Ersatz nach dem Produkthaftungsgesetz. Hersteller haften demnach für Schäden, die ihre Produkte verursachen – und zwar unabhängig vom Verschulden.

Konkret verlangte die Frau Geld für die Schmerzen, die sie aufgrund der Schwangerschaft und der Geburt erlitten hatte. Zusätzlich forderten die Eltern, dass das Unternehmen für mögliche Folgeschäden haftet. Denn beide seien durch die Elternschaft in ihrer "beruflichen Entwicklung beeinträchtigt", würden dadurch weniger verdienen und später auch weniger Pension bekommen. Zudem könnte das Kind erkranken oder verunfallen. Unterhalt für das gesunde Kind verlangten die beiden aber nicht – dafür gibt es laut gesicherter Rechtsprechung keinen Ersatz.

Eurogine stütze sich vor Gericht auf zwei Gegenargumente: Zum einen sei der Bruch der Spirale gar nicht für die Schwangerschaft verantwortlich gewesen. Es habe sich vielmehr ein "Restrisiko" verwirklicht, das man bei Verhütungsmitteln nicht ausschließen könne. Zudem sei die Geburt eines gesunden Kindes kein Schaden. Wäre das der Fall, hätten die Eltern diesen "Schaden" durch eine Abtreibung verhindern können.

"Natürliche Lebensvorgänge"

Schon das Landesgericht und das Oberlandesgericht Innsbruck wiesen die Klage der Eltern ab – und gaben damit dem Spiralenhersteller recht. Die Begründung: In der Geburt eines "gesunden, wenngleich unerwünschten Kindes sei kein ersatzfähiger Schaden zu erblicken". Schmerzen, die bei einer normal verlaufenden Schwangerschaft und Geburt auftreten, seien "natürliche Lebensvorgänge." Auch der mögliche Verdienstentgang sei Folge der Existenz eines gesunden Kindes und damit nicht ersetzbar.

Der OGH bestätigte diese Entscheidung nun in letzter Instanz: Schadenersatz habe nicht den Zweck, "Nachteile zu überwälzen, die bloß auf die Existenz eines Kindes zurückzuführen sind und damit familienrechtlich geordnet sind", heißt es in dem Beschluss. "Personenwürde und Familienfürsorgen" haben demnach Vorrang. Eine Haftung für "zukünftige schicksalshafte Entwicklungen im Leben eines gesund geborenen Kindes" kommt laut den Höchstrichterinnen und Höchstrichtern zudem nicht infrage.

Für Rechtsanwalt Clemens Haller, der Eurogine im aktuellen Verfahren vertreten hat, war die Entscheidung des OGH nicht überraschend. "Es ist schon seit vielen Jahren Rechtsprechung, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch ungewollten Kindes kein Schaden ist", sagt Haller zum STANDARD. In jenen Fällen, in denen es um ungewollte Schwangerschaften aufgrund einer fehlerhaften Spirale geht, werden sich nun andere Gerichte an diesem OGH-Beschluss orientieren.

Streit um Schmerzengeld

Laut Haller sind derzeit einige Dutzend weiterer Gerichtsverfahren anhängig. In vielen geht es aber nicht um ungewollte Schwangerschaften, sondern um die Frage, ob durch den Bruch der Spiralen Verletzungen entstanden sind und Schmerzengeld zusteht. "Das sind immer individuelle Fälle", sagt Haller. "Unserer Ansicht nach sind die geltend gemachten Ansprüche oft weit überhöht, und die bisherigen Entscheidungen geben uns dahingehend recht."

Peter Kolba, der als Obmann des Verbraucherschutzvereins zahlreiche Frauen bei ihren Verfahren unterstützt, sieht das anders. "Wir bekommen vor den Gerichten zumeist dem Grunde nach recht", erklärt der Jurist. Der Schaden wird von den Richterinnen und Richtern also anerkannt. Für die Bemessung der genauen Höhe bestellen die Gerichte jedoch Sachverständige. "Und die berechnen, gerade wenn es um die Schmerzen von Frauen geht, oft absurd geringe Schmerzengelder", kritisiert Kolba. (Jakob Pflügl, 24.8.2022)