Viele Betreiberinnen und Betreiber von Websites nutzen Google-Fonts, ohne zu wissen, dass sie damit Datenschutzverletzungen begehen.

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Wien/Groß-Enzersdorf – Ein niederösterreichischer "Datenschutzanwalt" hat offenbar hunderte Schreiben an Website-Betreiber ausgesendet, um auf dem Vergleichsweg 190 Euro Schadenersatz wegen Datenschutzverletzungen zu erwirken. Die Causa zog große Aufmerksamkeit auf sich, DER STANDARD berichtete. Jetzt liegen neue Informationen vor, die einen Schatten auf das Vorgehen des Anwalts Marcus H. und seiner Mandantin Eva Z. werfen. Ein ehemaliger Freund der Frau gibt an, dass die beiden in einem nahen persönlichen Verhältnis zueinander stehen. Zudem habe Z. vor rund sechs Monaten einen IT-Kurs beim AMS besucht. Dabei habe sie sich die Fähigkeiten angeeignet, die sie benötigte, um Websites in großer Masse aufzurufen und auf den datenschutzrechtlichen Fehler zu untersuchen, den die beiden in ihrem Schreiben hervorstrichen. Auf Anfrage des STANDARD sagt Anwalt H., von einem IT-Kurs nichts zu wissen. Zu dem persönlichen Verhältnis zu seiner Mandantin will er sich nicht äußern.

Zur Erinnerung: Es geht darum, dass Google-Schriftarten direkt über die Server von Google eingebettet werden, womit ein Kontakt mit diesen aufgenommen und die besagte IP-Adresse übermittelt wird, ohne dass in den Datenschutzbestimmungen der jeweiligen Webseiten darauf hingewiesen wird. Die Mandantin des Anwalts habe dabei "Unwohlsein" empfunden.

Der Anwalt Marcus H., der hinter den Schreiben steht, bezog Mittwochvormittag Stellung, denn auch ihn dürfte das Thema mittlerweile mehr beschäftigen, als ihm lieb ist. "Meine Mandantin hat die Aufmerksamkeit für das Thema Datenschutz erreicht, die sie wollte. Sie hat mich daher damit beauftragt, keine weiteren Schreiben mehr auszusenden", teilte er im Gespräch mit. Zahlreiche Medien seien seit Dienstag an ihn herangetreten, auch Firmen, die Websites für ihre Kundinnen und Kunden gebaut hätten, würden sich des Problems nun annehmen.

Anwalt lässt Zahl der Schreiben offen

Was der Anwalt aus Groß-Enzersdorf aber auch betont: Bereits versendete Schreiben behalten ihre Gültigkeit: "Meine Mandantin kann auf den Schadenersatz eigentlich nicht verzichten, sonst bräuchte sie einen Unterlassungstitel." Außerdem würde ein Rückzug ein Eingeständnis bedeuten, dass es besagter Mandantin gar nicht um den Einzelfall gegangen sei. Das sei aber sehr wohl der Fall, unterstreicht der Anwalt. Wie viele Website-Betreiber letztlich davon betroffen sind und wie viele Schreiben versendet wurden, will der Jurist auf Nachfrage nicht beantworten. Allerdings werde er die Zahl zu gegebener Zeit offenlegen.

Den Vorwurf, seine Mandantin habe die zahlreichen Websites gar nicht selbst besucht, sondern nur mittels eines Suchmaschinen-Crawlers, weist der Jurist als "Verleumdung" zurück. Die Frau habe die Seiten über einen "langen Zeitraum" besucht und könne das auch nachweisen: "Ich weiß noch nicht, in welcher Form ich das den Medien beweisen kann."

Anwalt sieht nur größere Unternehmen betroffen

Auch ortet der selbsternannte Datenschutzanwalt eine Kampagne gegen ihn und seine Mandantin, da hinter den betroffenen Seiten teilweise große Unternehmen und Werbefirmen stünden. Da sei der Aufschrei auch bei 190 Euro groß. DER STANDARD weiß aufgrund von Zuschriften allerdings, dass auch Seiten von Privatpersonen, etwa Blogs, Schreiben erhalten haben. Diese müssen nun entweder zahlen oder es auf einen Rechtsstreit ankommen lassen. In jedem Fall aber müssen sie sich um die technische Behebung der Probleme kümmern, was nicht alle ohne Hilfe von IT-Experten schaffen werden.

Rechtsanwaltskammer prüft

Dass sie mit ihren Schreiben jedenfalls großen Unmut auf sich gezogen haben, ist dem Anwalt und seiner Mandantin klar. Unter www.abmahnung.wtf hat sich online bereits eine Plattform gegen die Mahnwelle gebildet. Der Fachverband Unternehmensberatung, Buchhaltung und IT der Wirtschaftskammer ließ am Mittwoch mitteilen, dass er einen Musterprozess gegen den Anwalt unterstütze.

Die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich sieht das Vorgehen des Anwalts rechtlich gedeckt, hat aber von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um Disziplinarmaßnahmen zu prüfen: "Ganz allgemein sollten Massenabmahnungen dieser Art nicht das erste Mittel sein, das ein Anwalt in einem solchen Fall ergreift. Es gäbe sicher gelindere Mittel, um auf DSGVO-Probleme von Websites und die Rechte einzelner BesucherInnen hinzuweisen", heißt es in einer Stellungnahme.

Besonders aufgebrachte Betroffene hätten zudem ihn und seine Mandantin Dienstagabend an ihrer privaten Wohnadresse aufgesucht und bedroht, berichtet der Anwalt. Die Polizei wurde eingeschaltet. Auch wenn die Mandantin also ihr "Ziel erreicht" haben will: Der Streit um die Google-Schriftarten ist bestimmt noch nicht zu Ende. (Michael Windisch, 24.8.2022)