"Man muss ORF 1 nicht grundlegend neu erfinden" – ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss sagt, sie sei längst dabei, das zu tun.

Christian Fischer

Stefanie Groiss-Horowitz kehrte nach vier Jahren als Senderchefin des privaten Puls 4 mit Jahresbeginn 2022 als Programmdirektorin für das ORF-Fernsehen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zurück. Im STANDARD-Interview ...

  • ... sieht Groiss-Horowitz den öffentlich-rechtlichen Auftrag infrage gestellt, wenn der Gesetzgeber dem ORF keine Streamingproduktionen erlaubt. Ihre "große Hoffnung": die Streamingplattform ORF-Player. (Der ORF stellt am Donnerstag in Alpbach den nach aktuellem Gesetz erlaubten Audio-Teil des Players, genannt "Sound"-Modul, vor.)
  • ... erklärt sie die Entscheidung der Verfassungsrichter, spätestens ab 2024 auch Streaming GIS-pflichtig zu machen, als wesentlich für eine langfristige Absicherung: "Da geht es nicht um Mehreinnahmen. Wenn immer mehr Menschen streamen und sie dafür keine Gebühren zahlen, dann kippt dieses Modell auf Sicht."
  • ... erteilt die Direktorin und zugleich ORF-1-Senderchefin einer Neuerfindung von ORF 1 eine Absage: Diese Neuerfindung mit Eigenproduktionen statt US-Kaufware sei längst und laufend in Arbeit, im Vorabend ebenso wie im Hauptabend, wo die Marktanteile zulegten.
  • ... kündigt sie statt der für Herbst avisierten "Planetshow" nun eine Reportagereihe an, die sich auch den Themen Klima und Nachhaltigkeit widmen soll.
  • ... sieht Groiss-Horowitz nur einen "Einzelfall" in der Kritik eines Comedian an Castingaufgaben für eine Impro-Show im Herbst. Die werde "sehr lustig".
  • ... verteidigt sie "Narrisch guat" gegen den Vorwurf der gebührenfinanzierten "Volksverblödung".
"ORF 1 hat eine Weile gebraucht, um sich zu finden": ORF-Direktorin Groiss-Horowitz.
Christian Fischer

"Man muss ORF 1 nicht grundlegend neu erfinden"

STANDARD: In vier Monaten, im Dezember, beschließt der ORF-Stiftungsrat das Programmschema für das kommende Jahr. Wenn Sie 2023 eine große Erneuerung von ORF 1 planen, bliebe nicht mehr viel Zeit. Kommt der große Wurf?

Groiss-Horowitz: Ein großer Wurf vielleicht, aber keine Neuerfindung von ORF 1. Die braucht es nicht.

STANDARD: Das ist mal was Neues nach zumindest einem Jahrzehnt, in dem als Maxime galt: Der Serien- und Blockbuster-Kanal, den Gerhard Zeiler als ORF-Generalintendant in den 1990ern konzipierte, ist in Zeiten des Streamings keine zukunftsträchtige Idee.

Groiss-Horowitz: Man muss ORF 1 nicht grundlegend neu erfinden. Das passiert schon laufend und schrittweise. In der Primetime haben wir im Schnitt wachsende Marktanteile – 15, 16 Prozent – und sind mit großem Abstand Marktführer in der Zielgruppe unter 50 mit klarer Positionierung – vielleicht bis auf Donnerstag, wo sich unser sehr wichtiges Programmelement Sport abwechselt mit anderen Programmgenres und wo ich in Zukunft auch Platz sehe, um Dinge auszuprobieren. ORF 1 hat eine Weile gebraucht, um sich zu finden. Das aktuelle Schema und die aktuelle Programmierung insbesondere im Hauptabend hat nichts mehr mit dem "Zeiler-Schema" zu tun.

STANDARD: Sie sind seit Jahresbeginn Programmdirektorin des ORF, haben gleich selbst das Channel-Management von ORF 1 übernommen und "Sofortmaßnahmen" ausgerufen, zum Beispiel "ORF 1 Spezial" im Hauptabend und ein zweites Quiz vor "Q1" im Vorabend. Nun sprechen Sie von Erfolgen im Hauptabend – der Vorabend entwickelt sich nicht so erwähnenswert?

Groiss-Horowitz: Er funktioniert besser als die Programmierung davor.

STANDARD: Also besser als eine von vielen Kaufserien, die aber noch immer das Tagesprogramm von ORF 1 prägen.

Groiss-Horowitz: Wir sind in einem ersten Schritt und rasch den Vorabend von ORF 1 angegangen – mit dem Ziel, dass es von 17 bis 20.15 Uhr durchgehend Eigenproduktionen gibt. Das sind Schritte in die richtige Richtung, sie emanzipieren uns und spielen uns frei von der Abhängigkeit von Kaufprogrammen. Darauf konzentrieren wir uns, das machen wir weiter. Am Ende dieser schrittweise umgesetzten Umbauphase werden wir eine Kernzone 17 bis 22 Uhr haben, die bis auf wenige Ausnahmen in der Primetime mit Eigenproduktionen bespielt ist.

STANDARD: Auch Sonntagabend?

Groiss-Horowitz: Das ist eine dieser wenigen Ausnahmen, Sonntag bleibt der Blockbuster-Tag.

"Das große Umrühren irritiert oft das Publikum. Das muss man behutsam und mit genauem Blick auf unser Publikum machen."

STANDARD: Also keine größte Programmreform aller Zeiten, wie sie Ex-General Alexander Wrabetz 2007 ausgerufen hat und womit er gewaltig scheiterte? Kein großer Wurf?

Groiss-Horowitz: Kumuliert über Jahre ist das eine große Reform, aber nicht mit einem proklamierten Big Bang. Der große Wurf ist im Kopf und in unserem langfristigen Plan schon angelegt. Wir sind mittendrin. Aber das ist ganz bewusst ein schrittweiser Prozess. Das große Umrühren irritiert oft das Publikum. Das muss man behutsam und mit genauem Blick auf unser Publikum machen.

STANDARD: Das Publikum könnte interessieren, was es in der nächsten Saison in ORF 1 zu sehen bekommt. Im Herbst ist jedenfalls mit einer Comedy-Show zu rechnen, wissen wir von einem der Teilnehmer am Casting, der sich über die Aufgaben dort via Facebook, sagen wir, peinlich berührt äußerte. Kann man daraus auf die Show schließen?

Groiss-Horowitz: Die Kritik auf Facebook war ein Einzelfall. Ich mache mir da keine Sorgen. Man kann daraus nur schließen, dass wir Comedians gesucht und gefunden haben, die ihr Improvisationstalent in der Show unter Beweis stellen. Man bringt diese talentierten Menschen in Situationen, in denen sie ihr Talent ausspielen können. Das wird sehr lustig.

"Wir schauen, ob es einen Weg gibt, das so zu erzählen, dass es wirtschaftlich machbar und für die junge Zielgruppe attraktiv ist. Dann kann es 'Starmania' wieder geben."
Christian Fischer

STANDARD: Im Frühjahr 2023 ist wieder "Dancing Stars" angekündigt. Was wird eigentlich aus "Starmania"? Die Zuschauerzahlen im Frühjahr blieben ja deutlich unter der ersten Comeback-Staffel. War's das wieder?

Groiss-Horowitz: Nein, das würde ich nicht sagen. Das Comeback dieser Sendung nach 20 Jahren war so aufgeladen, das hat wirklich breite Bevölkerungsschichten angesprochen – das funktioniert aber nur beim großen Comeback. Die jüngste Staffel im Frühjahr 2022 hat beim Publikum unter 50 und vor allem beim jungen Publikum unter 30 sehr gut funktioniert. Wir müssen uns jetzt überlegen: Was machen wir damit? Auch online hat "Starmania" extrem gut performt. Das sollte man nicht aufgeben. Wir schauen, ob es einen Weg gibt, das so zu erzählen, dass es wirtschaftlich machbar und für die junge Zielgruppe attraktiv ist. Dann kann es "Starmania" wieder geben.

STANDARD: Haben Sie auch Konkreteres im Gepäck?

Groiss-Horowitz: Bei der Programmpräsentation im September. Aber ich kann schon ankündigen: Wir bauen den Mittwoch mit seinen schon sehr erfolgreichen Current Affairs und Service-Formaten für ein junges Publikum aus, mit einer Reportagereihe.

STANDARD: Wie kann man sich das vorstellen? Das sind Reportagen …

Groiss-Horowitz: … über brennende Themen im Land. Schneller produziert, als wir es mit "Dok 1"-Dokus schaffen.

STANDARD: Brennend wie … zum Beispiel Teuerung, der im Frühjahr das erste "ORF 1 Spezial"-Talkformat gewidmet war?

Groiss-Horowitz: Das kann alles sein, auch Teuerung, Nachhaltigkeit oder Klima. Es muss relevant sein und kontrovers. Man muss eine Meinung dazu haben können. Uns ist wichtig, hier Meinungsvielfalt abzubilden. Das ist kein Erklärformat. Das gibt der jüngeren Zielgruppe die Möglichkeit, mit ihren Themen reinzugehen und zu sagen, was sie umtreibt, was sie denkt. Da kann ein junger Bergbauer in Tirol erklären, warum ihn eine Liftstütze in der Landschaft nicht stört, ein Windrad aber sehr wohl.

STANDARD: Das Format kommt im Herbst – wöchentlich? Und was wurde aus der angekündigten "Planetshow", die sich lösungsorientiert Klima und Nachhaltigkeit widmen sollte?

Groiss-Horowitz: Die uns so wichtigen Nachhaltigkeitsthemen gehen auch in dieser Reportagereihe auf. Und es kann sich ergeben, dass das Format irgendwann wöchentlich läuft, aber vorerst noch nicht. Unsere Minireihen am Mittwoch sollen weitergehen, ebenso wie die "ORF 1 Spezial"-Sendungen.

STANDARD: Auf ORF 2 gibt es schon das eine oder andere erfolgreiche Reportage- und Magazinformat.

Groiss-Horowitz: Bei den Themen spielt das Alter eine wesentliche Rolle. Wir spüren, dass Service auf ORF 1 ein gutes Komplementärangebot zu 'älteren' Themen auf ORF 2 ist.

"Sitcom aller Art ist sicher nicht die Zukunft des linearen österreichischen Fernsehens."

STANDARD: Untertags sieht ORF 1 aber noch immer mit Serie um Serie, Sitcom um Sitcom so aus wie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Und Jahr für Jahr wird wieder diskutiert mit Verweis auf die Programmlisten des ORF-1-Tagesprogramms: Warum soll ich dafür GIS zahlen, wenn ich einen ganzen Tag lang Wiederholungen von US-Kaufware bekomme?

Groiss-Horowitz: Den ganzen Tag ist übertrieben, aber, ja: In der Daytime sieht es auf ORF 1 noch anders aus. Und Sitcom aller Art ist sicher nicht die Zukunft des linearen österreichischen Fernsehens.

STANDARD: Was kommt stattdessen untertags auf ORF 1?

Groiss-Horowitz: Wir arbeiten für den Nachmittag einen Vorschlag zur Neuprogrammierung aus.

STANDARD: Nämlich?

Groiss-Horowitz: Lassen Sie uns erst den Vorschlag ausarbeiten, bevor wir darüber reden. Aber klar ist: Wir haben uns dazu entschlossen, in den Randzonen das Investment in US-Ware spürbar zu reduzieren. Wir werden uns schrittweise von diesen langfristigen Verpflichtungen lösen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Aber wir machen damit Programmgeld frei, das wir in Eigenproduktionen stecken können, ohne die Mittel für die Kernzone am Abend zu reduzieren.

STANDARD: Welche Eigenproduktionen am Nachmittag sind leistbar? Getalkt wird schon auf ORF 2 recht viel.

Groiss-Horowitz: Es ist ein wesentliches Asset von ORF 2, dass dort den ganzen Tag jemand mit mir redet. Das ist sehr nahe an der Zielgruppe und funktioniert sehr gut. Talk wird also nicht die Lösung für ORF 1 sein.

"ORF 2 ist das Leitmedium unseres Konzerns, das steht außer Frage. Im Anlassfall werden sich ORF 1 und ORF 3 danach richten, wenn nötig. Unsere Merit-Order, sozusagen."

STANDARD: Sie sind Programmdirektorin quasi für das gesamte Fernsehen, aber zugleich Channel-Managerin von ORF 1, während Alexander Hofer ORF 2 leitet, der zugleich Unterhaltungschef für das gesamte Fernsehen ist und zuletzt vom General mit dessen Urlaubsvertretung als oberster Info-Chef betraut wurde. Klingt ein bisschen kompliziert.

Groiss-Horowitz: Eigentlich nicht. Ich glaube sogar, dass es viele Vorteile hat, wenn es zwischen den Channels kein Patt gibt. Ich fühle mich durch die Funktion als Programmdirektorin für das Gesamte verantwortlich.

STANDARD: Sind Sie also zuständig für die Abstimmung der ORF-Kanäle, für eine Flottenstrategie, die immer wieder eingemahnt wird?

Groiss-Horowitz: Der Generaldirektor hat mich gleich mit unserem Start zu Jahresbeginn beauftragt, die Flottenstrategie des ORF zu evaluieren und die Kanäle, wenn notwendig, zu positionieren. Alexander Hofer, Peter Schöber von ORF 3 und ich haben das ausführlich diskutiert und uns auf einen gemeinsamen Plan verständigt, in dem die Sender einander bestmöglich unterstützen.

STANDARD: War das bisher nicht so?

Groiss-Horowitz: Es gab schon eine starke Sicht auf den eigenen Kanal. ORF 2 ist das Leitmedium unseres Konzerns, das steht außer Frage. Im Anlassfall werden sich ORF 1 und ORF 3 danach richten, wenn nötig. Unsere Merit-Order, sozusagen.

STANDARD: Und welche Änderungen ergeben sich jetzt aus diesem gemeinsamen Plan?

Groiss-Horowitz: Da geht es um Feinheiten in der Planung und Abstimmung.

STANDARD: Und wenn sich die drei Channel-Manager nicht einigen, muss der Generaldirektor entscheiden?

Groiss-Horowitz: Der wäre dann zuständig, aber bisher hatten wir den Fall nicht.

"Um Gottes willen, nein!" Streaming macht ORF 1 nicht auf Sicht überflüssig, sagt die Programmdirektorin und Channel-Managerin.
Christian Fischer

STANDARD: ORF-Generaldirektor Roland Weißmann verhandelt seit Monaten intensiv mit der Medienministerin und den Verbänden privater Medienhäuser über eine Gesetzesnovelle, die dem ORF eine Streamingplattform ermöglichen soll, Arbeitstitel ORF-Player. Wenn dieser Player kommt und junge Zielgruppen längst mehr streamen als fernsehen: Wird dann nicht der lineare Fernsehkanal ORF 1 für ein Publikum unter 50 auf Sicht überflüssig?

Groiss-Horowitz: Um Gottes willen, nein! Die Hauptfrage ist: Welche Inhalte stellt man über den Hebel ORF 1 her? Österreichische Fiction und Serie kommt fast ausschließlich über ORF 1. Österreichische Unterhaltung kommt maßgeblich über ORF 1. Künftig wird Current Affairs und Service für eine jüngere Zielgruppe noch massiver über ORF 1 kommen. Auf dem Player steht dann die "Dok 1"-Reportage neben "Am Schauplatz" als großes Angebot für die verschiedensten Zielgruppen. Aber das bedeutet keine Auflösung von ORF 1 als Fernsehkanal, sondern zwei Ausspielwege für diese wichtigen Genres und Formate – TV und Streaming. Wir müssen jetzt schaffen, dass wir unsere Finanzmittel nicht binden in Dingen, die uns in der Zukunft wenig bringen, also Kaufserien und -filmen, und dieses Volumen in Eigenproduktionen investieren.

"Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland sind mit ihren linearen Fernsehkanälen ein Stück weiter weg vom jüngeren Publikum als der ORF mit ORF 1. Darauf sind sie schon ein bisschen neidisch, scheint mir."

STANDARD: Nach geltendem Gesetz darf der ORF ohnehin nur für das Fernsehen und Radio produzieren und die Inhalte erst danach streamen – im Gegensatz etwa zur deutschen ARD, die Streamingformate im Dutzend produzieren lässt.

Groiss-Horowitz: Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland sind in einer anderen Situation als der ORF. Sie sind aber mit ihren linearen Fernsehkanälen ein Stück weiter weg vom jüngeren Publikum als der ORF mit ORF 1. Darauf sind sie schon ein bisschen neidisch, scheint mir.

STANDARD: Also Streamingserien der deutschen Öffis auf ORF 1?

Groiss-Horowitz: Wir würden gerne gemeinsam österreichische Produktionen, österreichische Serien machen, die auch auf einer deutschen Mediathek funktionieren. Wenn Stoffe zu schräg sind oder zu jung für das lineare deutsche Fernsehen, könnte man im Streaming zusammenarbeiten mit den Mediatheken in Deutschland. Da tun sich ganz neue Möglichkeiten auf. Im September kommen die Programmdirektorinnen und Programmdirektoren der ARD nach Österreich, um das zu diskutieren.

STANDARD: Gemeinsame jüngere Serien?

Groiss-Horowitz: Das kann alles Mögliche sein, auch Dokus, Krimis. Jeder kommt mit Ideen, und dann schauen wir, ob und wie wir uns finden.

"Der Auftrag des ORF ist infrage gestellt, wenn wir nicht die technischen Möglichkeiten bekommen, das Publikum dort zu erreichen, wo es ist."

STANDARD: Und wenn es nichts wird mit dem ORF-Player? Der Widerstand privater Medienhäuser gegen eine Digitalnovelle für den ORF ist groß.

Groiss-Horowitz: Ich setze meine größten Hoffnungen darin, dass der Player kommt. Ich bin nicht im Verhandlungsteam, aber ich hoffe, dass es allen letztlich um sinnvolle Lösungen geht. Deshalb glaube ich, dass es diesen ORF-Player geben wird. Der Auftrag des ORF ist infrage gestellt, wenn wir nicht die technischen Möglichkeiten bekommen, das Publikum dort zu erreichen, wo es ist, und mit den Möglichkeiten, die sie von anderen Anbietern gewohnt sind. Wie sollen wir den Auftrag erfüllen, wenn wir die Rahmenbedingungen dafür nicht haben?

STANDARD: Noch bevor Sie eigens für Streaming produzieren dürfen, hat der Verfassungsgerichtshof gerade – wirksam mit Ende 2023 – die Möglichkeit gestrichen, ORF-Programme zu streamen, ohne GIS zu zahlen. Was tut der ORF mit den zusätzlichen Mitteln aus Programmentgelten der Streamer?

Groiss-Horowitz: Für Unternehmenspolitik ist der Generaldirektor zuständig. Aber grundsätzlich kann man schon sagen: Da geht es nicht um Mehreinnahmen, sondern darum, die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks langfristig abzusichern. Wenn immer mehr Menschen streamen und sie dafür keine Gebühren zahlen, dann kippt dieses Modell auf Sicht.

STANDARD: Vorerst hat der ORF-General gerade massive Sparnotwendigkeiten ausgerufen – wie wirkt sich das auf das TV-Programm 2023 aus?

Groiss-Horowitz: Im Programm wird man das hoffentlich kaum merken. Wir haben sehr viele Maßnahmen außerhalb des Programms gesetzt. Das Publikum soll davon möglichst nichts spüren.

STANDARD: Wenn da zumindest zweistellige Millionenbeträge einzusparen sind, und die Einsparungen nicht im Programm sichtbar werden, drängt sich die Frage auf: Wofür wurde das Geld denn bisher ausgegeben?

Groiss-Horowitz: So funktioniert Budgetplanung nicht. Man kann, nur zum Beispiel, geplante Investitionen abseits des Programms evaluieren und sie vielleicht ein Stück nach hinten verlegen.

"Es wird auch Menschen geben, die Programme nicht so super finden, die Andy Kaltenbrunner ansprechen."

STANDARD: Wir haben schon über den öffentlich-rechtlichen Auftrag gesprochen. Der Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner hat sich gerade im STANDARD für eine Haushaltsabgabe für den ORF anstelle einer geräteabhängigen GIS ausgesprochen. Zugleich aber hat er doch recht ernste Zweifel geäußert, ob der ORF seinen Auftrag sinnvoll erfüllt. Er habe nun auch im Sommerprogramm von ORF 2 "Narrisch guat" gesehen und sich gefragt, warum man Gebühren zahlen soll bei dieser "Volksverblödung": Dem nüchternen Forscher falle danach schwer, öffentlichen Rundfunk mit seinem Bildungs-, Informations- und Kulturauftrag zu begründen, sagt Kaltenbrunner. Was sagt die für das ORF-Fernsehen zuständige Programmdirektorin dazu?

Groiss-Horowitz: Es gibt viele Menschen, die sich das gerne anschauen – ich würde mich hüten, das zu verurteilen. Wir sind als Rundfunk der Gesellschaft dafür da, in unterschiedlichen Genres – Information, Bildung, aber auch Unterhaltung, die ebenso zu unserem Auftrag gehört – diese Gesellschaft zu bespielen. Das ist der große Unterschied des öffentlich-rechtlichen zu anderen Anbietern. Ich suche mir nicht aus, wen ich bespiele. Mein Auftrag ist: Ich mache Programm für ganz Österreich. Es ist legitim, dass das eine oder andere dabei ist, worüber man diskutiert. Es wird auch Menschen geben, die Programme nicht so super finden, die Andy Kaltenbrunner ansprechen.

STANDARD: Vielleicht würde ein solches Format auch ein Privatsender wie Servus TV übernehmen – muss man dafür Gebühren zahlen?

Groiss-Horowitz: Beim öffentlichen Rundfunk ist es keine Willensfrage, ob ich etwas anbiete oder nicht. Ich mache, was mein Auftrag ist. Das unterscheidet den öffentlich-rechtlichen ganz massiv von anderen Anbietern, die sich vielleicht für ein Genre entscheiden, und im nächsten Jahr machen sie es nicht mehr. Diese Volatilität hat man beim Öffentlich-Rechtlichen nicht, und das halte ich für wichtig. (Harald Fidler, 25.8.2022)