Amazon darf eine "Herr der Ringe"-Serie produzieren – mehr aber nicht. Videospiele und kommende Filme werden von der Embracer Group freigegeben oder produziert.

Foto: Nick Perry

Man sollte glauben, dass wohl Amazon, Apple oder ein anderer großer US-Konzern zugreifen würde, wenn die "Der Herr der Ringe"-Lizenz auf dem Markt verfügbar ist. Mitnichten: Die Rechte für die seit 1976 im Besitz des US-amerikanischen Filmproduktionsunternehmens Saul Zaentz Company befindliche Fantasy-Geschichte um Gandalf, Frodo und Co wanderten im August 2022 nach Europa: Die schwedische Firma Embracer Group konnte sich diese sichern.

Deals zu kommenden Filmen, Videospielen, Brettspielen, Comics, Amusement-Parks oder Merchandising laufen deshalb künftig nicht mehr über die USA, sondern über Europa. Dabei war dieser Kauf bei weitem nicht der teuerste, den das offenbar mit unendlich großen Geldressourcen ausgestattete Unternehmen in den letzten Jahren tätigte. Ein Blick hinter die Kulisse des vielleicht interessantesten Entertainmentkonzerns Europas.

Lars Wingefors ist ein geschickter Geschäftsmann, der allerdings nicht das Rampenlicht sucht.
Foto: NAINA HELEN JAMA

Der Musk aus Karlstad

2011 klingelte in Wien das Telefon. Auf der einen Seite der Leitung saßen die von der Insolvenz betroffenen Mitarbeiter des Videospiel-Publishers Jowood – auf der anderen Seite ein gewisser Lars Wingefors aus Karlstad. Der Schwede, der schon als Jugendlicher Comichefte und Videospiele gewinnbringend verkaufte, interessierte sich für Games-Marken wie "Gothic" oder "Spellforce", die durch die Insolvenz frei auf dem Markt verfügbar waren. Wingefors war damals schon klar, dass die Zukunft in digitalen Gütern liegen würde. Aufgrund seines mangelnden Wissens über die Games-Branche heuerte er eine Handvoll ehemaliger Jowood-Mitarbeiter an und gründete in Wien Nordic Games.

Die Idee war die Distribution von Videospielen und die Verwaltung bekannter Spielemarken. Als der damals nicht unwichtige Spielepublisher THQ im Jahr 2013 Insolvenz anmelden muss, greift Wingefors zu und erweitert damit sein Portfolio um in der Branche wertvolle Brands. Die Wiener Niederlassung wird in THQ Nordic umbenannt, man will jetzt auch selber Videospiele produzieren, und so darf man von Wien aus in den folgenden zehn Jahren 45 Akquisitionen fast im Alleingang durchführen.

Unter den Studios finden sich internationale Entwickler genauso wie heimische Vertreter der Games-Branche. Im Gegensatz zu vielen Mitbewerbern, etwa Ubisoft oder Activision-Blizzard, investiert man allerdings nicht aberwitzige Summen in einzelne Videospiele, sondern sucht sich eine Nische im AA-Bereich, also dort, wo Leute für 30 bis 40 Euro keine technisch hervorragenden Blockbuster erwarten, aber Spiele, die unterhalten. Eine Nische, die offenbar ausreichend Geld abwerfen konnte, um weitere Studios zu kaufen.

Der bis dahin spektakulärste Coup gelang 2018, als man den österreichischen Konzern Koch Media / Deep Silver für immerhin 150 Millionen Dollar in die Embracer Group eingliederte. Alles offenbar Geld, das man zur Verfügung hatte, um den Konzern zu vergrößern. Aber spätestens im Jahr 2021 sprangen die Summen der Akquisitionen in sogar für internationale Verhältnisse ungeahnte Höhen.

Fünf Prozent Anteile verkaufte man für eine Milliarde Dollar an die Savvy Gaming Group aus Saudi-Arabien.
Foto: Savvy Gaming Group

Geld aus Saudi-Arabien

363 Millionen Dollar bezahlte die Embracer Group im Februar 2021 für die Übernahme des bekannten Spieleherstellers Gearbox ("Borderlands"). Für eine nicht genannte Summe wechselte im März 2022 der Comicverlag Dark Horse Media den Besitzer, und im Jänner inhalierte man den größten Brettspielverlag der Welt, Asmodee, um immerhin 2,75 Milliarden Dollar. Kurz darauf erwarb man den Spielehersteller Eidos, mit dem man Marken wie "Tomb Raider" oder "Deus Ex" ins eigene Portfolio wandern ließ.

Im August kam wie eingangs erwähnt die "Herr der Ringe"-Lizenz hinzu, die laut Website des Unternehmens unter anderem für "neue Filme und Spiele, basierend auf ikonischen Figuren wie Gandalf, Gollum oder Aragorn" sorgen könnte. 12.500 Mitarbeiter in über 40 Ländern sind das Ergebnis dieses harten Expansionskurses, der nach der Akquisition von 114 Game-Studios nun auch andere Entertainmentbereiche einschließt.

Spätestens nach dieser milliardenschweren Einkaufstour der letzten beiden Jahre war klar, dass auch Investoren ihre Finger mit im Spiel haben mussten. Diese stammen, wie nicht anders zu erwarten, allerdings nicht aus Europa, sondern aus Kanada und Saudi-Arabien.

Es sind nicht die großen Blockbuster aus dem Hause Embracer, aber der Erfolg gibt dem Unternehmen recht.
Foto: NAINA HELEN JAMA

Geld von überall

Im Juni 2022 kauft sich die saudi-arabische Savvy Gaming Group (SGG), die von einem der größten Staatsfonds der Welt 2021 gegründet wurde, mit rund einer Milliarde Dollar in die Embracer Group ein. Neben dieser hat man seit der Gründung über eine Milliarde Dollar für den Kauf von ESL Gaming investiert und sich damit die größte unabhängige E-Sport-Firma der Welt geangelt. Mit rund drei Milliarden sicherte man sich Anteile an Nintendo und kaufte sich ebenfalls in bekannte Branchenvertreter wie Activision-Blizzard, Capcom, Take Two oder Electronic Arts ein.

Brian Ward, Geschäftsführer bei SGG, kommentierte die Investments in einem Interview mit "The National News" Anfang des Jahres mit den Worten: "Savvy hat sich dazu entschlossen, stark in die Spiele- und E-Sports-Branche zu investieren und somit die globale Spiele-Community erheblich zu stärken."

Als zweiter großer Geldgeber findet sich das Canada Pension Plan Investment Board (CCP). Diese Institution kümmert sich unter anderem darum, dass das Pensionsgeld der Kanadier gut angelegt wird. Auf der Website ist zu lesen: "Als globale Investmentorganisation investieren wir in öffentliche Aktien, private Aktien, Anleihen, Immobilien, Infrastruktur und andere Bereiche." Sieht man in den Finanzbericht von 2021, leuchtet bei der Embracer Group die Zahl 499 Millionen Euro auf, die man 2020 in das Unternehmen investierte.

Dem Mitbewerber Square Enix kaufte man 2022 große Marken wie "Tomb Raider" oder "Deus Ex" ab.
Foto: ISSEI KATO

Kein Ende in Sicht

Im Gegensatz zu einem Elon Musk oder Jeff Bezos taucht Lars Wingefors nicht in den Medien auf oder verkauft seine Produkte lauthals über Social Media. Offenbar wirtschaftet er gut mit den vorhandenen Ressourcen und findet immer wieder spendable Geldgeber, die in den Traum eines globalen Entertainmentunternehmens investieren wollen. Die allein mit den bisherigen Akquisitionen offenstehenden Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Zu einem "Herr der Ringe"-Film könnte zeitgleich ein Videospiel für alle Plattformen erscheinen, ferner ein Brettspiel und die dazu passenden Comics. Selbiges gilt für die 849 anderen Lizenzen, die man über die Jahre gesammelt hat.

Aber auch die Embracer Group scheint nicht unverwundbar zu sein. Am 23. August schlagen die Kritiken zum neuesten Videospiel des Unternehmens, "Saints Row", im Netz auf – sie sind vernichtend. Der Kurs des börsennotierten Konzerns fällt um knapp 13 Prozent. Eine Entwicklung, die man allerdings über die Jahre immer wieder zur Kenntnis nahm. Bisher konnte das Wingefors und seine Mitarbeiter nicht davon abhalten, weiter zu investieren.

Seit August 2022 hat die Embracer Group elf Tochtergesellschaften: Amplifier Game Invest, Asmodee, Coffee Stain Holding, Dark Horse Media, Deca Games, Easybrain, Embracer Freemode, Gearbox Entertainment, Plaion, Saber Interactive and THQ Nordic. Jede dieser Gesellschaften verfügt noch einmal über eigene Agenden, Tochtergesellschaften und Entwicklerstudios. Man wird also in den nächsten Monaten und Jahren noch viel von dem schwedischen Entertainmentriesen hören. (Alexander Amon, 25.8.2022)