Vier der vom Fotokünstler François Brunelle aufgespürten Doppelgängerpaare, die zu Probanden der umfassenden (epi)genetischen Untersuchung wurden.

François Brunelle

Eineiige Zwillinge haben die exakt gleiche DNA, und doch unterscheiden sie sich in bestimmten Merkmalen. Der spanische (Epi-)Genetiker und Krebsspezialist Manel Esteller hat solche Unterschiede viele Jahre lang erforscht und dabei insbesondere die Rolle sogenannter epigenetischer Faktoren unter die Lupe genommen, welche die Aktivitäten der Gene auch aufgrund von Umwelteinflüssen verändern können.

In seiner neuesten Publikation hat der Forscher vom Josep-Carreras-Leukämie-Forschungsinstitut in Barcelona nun seine Forschungsfrage gleichsam umgedreht: Er ließ Menschen, die sich ohne verwandtschaftliche Beziehungen zufällig sehr ähnlich schauen, mit aufwendigen Methoden auf genetische Ähnlichkeiten untersuchen. Damit sollte erstmals geklärt werden, ob zufällige phänotypische Ähnlichkeit auf genotypische Ähnlichkeit zurückgeht oder eher auf andere Faktoren (wie die Umwelt) oder ob sie ebenfalls nur Zufall ist.

Doppelgänger aus einem Kunstprojekt

Um diese Frage zu beantworten, nahm Esteller in einem ersten Schritt Kontakt mit dem kanadische Fotokünstler François Brunelle auf, der mit der Bilderserie "I’m not a look-alike!" ("Ich bin kein Doppelgänger") international bekannt wurde. Brunelle fotografiert seit über 20 Jahren Menschen, die sich so sehr ähneln, dass sie Zwillinge sein könnten, die bei der Geburt getrennt wurden.

Interview mit François Brunelle über sein Projekt.
WGN News

Von den über 200 Paaren, die Brunelle ablichtete, nahmen 32 an den Untersuchungen teil, und sie wurden zunächst einmal mit drei verschiedenen Gesichtserkennungsprogrammen auf ihre tatsächliche Ähnlichkeit überprüft. Die Hälfte der Paare wies für die Software tatsächlich große Ähnlichkeiten auf: Ihre Übereinstimmungswerte bewerteten die eingesetzten Programme ähnlich wie die eineiiger Zwillinge.

Umfassende Vergleiche

An diesen 16 besonders ähnlichen Doubles führten Estelle und sein Team dann weitere Detailuntersuchungen durch: Sie verglichen nicht nur deren Genom, sondern auch deren Epigenom und das Mikrobiom, die sehr viel stärker durch die Umwelt beeinflusst sind als das Genom.

Bei den Genomanalysen verglichen Esteller und sein Team mehr als 4,3 Millionen Genvarianten; für die Epigenomvergleiche untersuchten sie 850.000 verschiedene Anlagerungsstellen an der DNA. Außerdem wurden alle Teilnehmenden für die Studie, die im Fachblatt "Cell Reports" erschien, eingehend zu ihren Lebensumständen, ihrer Gesundheit und ihren Gewohnheiten befragt.

Die Haupterkenntnis der Untersuchung: Die sichtbaren Ähnlichkeiten haben tatsächlich ihre Entsprechung in den Genen. Die stärker durch die Umwelt geprägten Epigenome und Mikrobiome der Doppelgänger waren hingegen eher unterschiedlich. Diese Diskrepanz deutet darauf hin, dass das ähnliche Aussehen der Paare mehr mit ihrer DNA zu tun hat als mit der Umgebung, in der sie aufgewachsen sind. Esteller hatte sich, wie er zugab, einen größeren Einfluss der Umwelt erwartet.

(Epi-)Genetische Ähnlichkeiten

Zudem beschränkten sich die genetischen Ähnlichkeiten der Doubles nicht nur auf jene Teile der DNA, die für unsere Äußerlichkeiten verantwortlich sind. "Die genetische Übereinstimmung der Doppelgänger betrifft auch andere Merkmale wie Körpergröße und Gewicht und sogar bestimmte Neigungen," sagt Esteller. Obwohl diese Menschen einander nicht kannten und teils weit auseinander lebten, gab es zwischen ihnen demnach weitreichende Gemeinsamkeiten. Ähnliches ist auch von getrennt aufwachsenden Zwillingen bekannt.

In Sachen Epigenom gab es nur Ähnlichkeiten beim epigenetischen Alter. Dieses Alter verrät sich durch das sich im Laufe des Lebens auf typische Weise verändernde Muster von Methylanlagerungen an der DNA. Diese wiederum beeinflussen das Ablesen der Gene und haben dadurch Auswirkungen auf Körper und Gesundheit. "Die DNA-Methylierung als Marker des biologischen Alters könnte demnach auch zu den phänotypischen Gemeinsamkeiten von einander besonders ähnlichen Doppelgängern beitragen", heißt es in der Studie.

Praktischer Nutzen

Abgesehen von der Beantwortung der Ausgangsfrage könnte die Studie auch praktischen Nutzen haben – zumindest in zwei Bereichen, wie Esteller sagt: der genetischen Diagnose und der forensischen Medizin. Zum Ersten hofft er, dass die neuen Erkenntnisse künftig bei der Diagnose von Krankheiten helfen könnten: Wenn Menschen viele ähnliche Gene haben, könnten sie auch eine gemeinsame Disposition für Krankheiten haben.

Zum anderen sieht er eine – ethisch umstrittene – Anwendung in der Forensik: "Die neuen Ergebnisse könnten es beispielsweise erleichtern, das Gesicht eines Kriminellen anhand seiner DNA zu rekonstruieren." Umgekehrt könne das Aussehen Rückschlüsse auf die Genetik erlauben. In der "New York Times" meinte die Bioethikerin Daphne Martschenko (Stanford University), dass die Studie (an der sie nicht beteiligt war) diesbezüglich erst einmal viele wichtige ethische Überlegungen aufwerfen würde.

Sie mahnt jedenfalls zur Vorsicht bei der Anwendung der Ergebnisse auf die Forensik: "Wir haben bereits viele Beispiele dafür gesehen, wie bestehende Gesichtsalgorithmen bestehende rassistische Vorurteile verstärken können." (tasch, 25.8.2022)