Seit fünf Jahren schon harren hunderttausende Rohingya in Cox's Bazar in Bangladesch aus. Es ist eines der größten Flüchtlingslager der Welt. Viele wollen endlich nach Hause.

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Im August 2017 ging das Militär in Myanmar brutal gegen die muslimischen Rohingya vor, nicht nur die USA sprachen danach von Völkermord. Hunderttausende Menschen mussten Zuflucht im benachbarten Bangladesch suchen. Die Leidensgeschichte der Minderheit begann schon viel früher. Chronologie eines Lebens in Unterdrückung.

1942: Japan erobert im Zweiten Weltkrieg die britische Kolonie Burma (heute Myanmar). Während des Abzugs der Briten aus Arakan, dem heutigen Teilstaat Rakhine, und des Vorstoßes der Japaner gibt es mehrere Massaker von Buddhisten an Muslimen und umgekehrt. Es kommt zur ethnischen Trennung. Zwei Verwaltungsbezirke an der Grenze zum heutigen Bangladesch sind seither überwiegend von Musliminnen und Muslimen bewohnt, der Rest wird von der buddhistischen Mehrheit dominiert.

1948: Burma wird unabhängig. Als natürliche Staatsbürger gelten Angehörige der "indigenen Ethnien", die Rohingya gehören nicht dazu. Für sie gelten komplizierte Sonderregeln, die praktisch dazu führen, dass sie nicht als Staatsbürger anerkannt werden.

1977: Das Innenministerium initiiert in den Grenzregionen des Landes eine Kontrolle der Staatsbürgerschaft. 250.000 Rohingya flüchten nach Bangladesch. Sechs Monate später schließen Myanmar und Bangladesch ein Repatriierungsabkommen. Die meisten kehren daraufhin zurück.

1982: Ein neues Staatsbürgerschaftsrecht sieht drei Formen der Staatsbürgerschaft mit abgestuften Rechten vor und zielt auf eine Registrierung der nicht als indigen anerkannten Bevölkerung ab. Aufgrund des Misstrauens zwischen den Bevölkerungsgruppen und bürokratischer Hindernisse ist die Anzahl derer, die sich registrieren lassen, gering. Der Status der Staatenlosigkeit für die Rohingya wird damit festgeschrieben.

1991: Spannungen im nördlichen Rakhine-Staat und Berichte über das gewaltsame Vorgehen der burmesischen Armee lösen eine erneue Massenflucht von etwa 250.000 Rohingya nach Bangladesch aus.

1993: Myanmar und Bangladesch unterzeichnen ein Repatriierungsabkommen. Etwa 230.000 Flüchtlinge kehren in den folgenden zwölf Jahren zurück, begleitet von Vorwürfen, dass Betroffene zur Rückkehr gezwungen würden.

2012: In Rakhine kommt es im Juni zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Buddhisten und Muslimen. Mehr als 150 Menschen werden getötet, etwa 100.000 vertrieben und in Camps untergebracht, überwiegend Rohingya.

Oktober 2016: Die Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) attackiert eine Reihe von Grenzposten. Dabei werden nach offiziellen Angaben neun Sicherheitskräfte getötet. Das Militär reagiert mit großangelegten Operationen gegen die gesamte Rohingya-Minderheit. 87.000 Rohingya fliehen nach Bangladesch.

August 2017: ARSA attackiert erneut 20 Außenposten der Polizei und eine Militärbasis. Die Streitkräfte reagieren erneut mit brutalen Militäroperationen.

September 2017: Die UN verurteilen das Vorgehen des Militärs und bezeichnen es als "ethnische Säuberungen". Menschenrechtsorganisationen sammeln in den Flüchtlingslagern Berichte von Massenhinrichtungen, Vergewaltigungen und anderen Gräueltaten. Rohingya-Dörfer werden systematisch niedergebrannt.

Bis Oktober 2017 fliehen 600.000 Rohingya nach Bangladesch.

November 2017: Bangladesch und Myanmar unterzeichnen einen Vertrag zur Repatriierung der Flüchtlinge ähnlich wie 1993. Die Betroffenen sollen innerhalb von zwei Monaten zurückkehren können – doch nach dem Erlebten will kaum jemand wieder nach Myanmar.

Februar 2018: Mittlerweile leben 900.000 Flüchtlinge in Cox's Bazar, Bangladesch. Die Regierung duldet die Rohingya dort, untersagt aber etwa im größten Camp Kutupalong das Bauen mit dauerhaft haltbaren Materialen wie Beton.

Februar 2018: Human Rights Watch veröffentlicht Satellitenaufnahmen, die die komplette Zerstörung von 55 früher vor allem von Rohingya bewohnten Dörfern belegen.

September 2019: Die in Myanmar verbleibenden Rohingya sind einem UN-Expertenteam zufolge weiter von Völkermord bedroht. Systematische Verfolgung werde von der Regierung weder verhindert noch untersucht.

Dezember 2019: Myanmars De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi reist nach Den Haag, um vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) Genozidvorwürfe gegen das burmesische Militär abzustreiten. Das Verfahren war einen Monat zuvor auf Antrag von Gambia eröffnet worden. Es hagelt weltweite Kritik an der Friedensnobelpreisträgerin.

Jänner 2020: Im Völkermordverfahren gegen Myanmar verpflichtet der IGH das Land zu Sofortmaßnahmen zum Schutz der Rohingya. Myanmar müsse alles tun, um einen Völkermord an der muslimischen Minderheit zu verhindern.

Februar 2020: Deutschland stellt die Entwicklungshilfe für Myanmar ein. Die Gelder fließen seitdem stattdessen in die Versorgung der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch.

Dezember 2020: Bangladesch beginnt damit, 100.000 Rohingya aus Lagern auf die Insel Bhasan Char zu bringen, die regelmäßig während des jährlichen Monsuns überflutet wird. Das nächste Krankenhaus ist nur durch eine dreistündige Bootsfahrt erreichbar. Betroffene berichten, zur Umsiedlung gezwungen worden zu sein, Familien wurden auseinandergerissen.

Anfang 2021: In einem Rohingya-Flüchtlingslager in Cox's Bazar bricht im Jänner, dann nochmals im März Feuer aus. Elf Menschen sterben, hunderte Unterkünfte werden zerstört.

Februar 2021: In Myanmar kommt es zu einem Militärputsch. Im ganzen Land kommt es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. In Rakhine bleibt es vergleichsweise ruhig.

März 2022: Die US-Regierung stuft die Gräueltaten an den Rohingya in Myanmar formell als Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.

Eine sichere Rückkehr nach Myanmar bleibt unwahrscheinlich – genauso wie eine tatsächliche Akzeptanz in Bangladesch. Bis heute ist kein einziger Flüchtling über das offizielle Repatriierungssystem zurückgekehrt. In Rakhine sind weiter 600.000 Rohingya von Verfolgung und Gewalt bedroht. (Noura Maan, 20.9.2022)