Petar Šegrt legt Wert auf gegenseitigen Respekt.

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Das heißt für ihn auch, sich auf die Kultur seines Gastlandes einzulassen – Siegestänzchen inklusive.

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Petar Šegrt hat wahrlich viel zu erzählen. Der im heutigen Kroatien geborene und in Baden-Württemberg aufgewachsene 56-Jährige begann seine Trainerkarriere in Deutschland, coachte später den DSV Leoben, die SV Ried und den Wiener Sportklub. 2006 holte ihn Klaus Toppmöller nach Georgien, es folgten Teamchefposten in Afghanistan und auf den Malediven. Im Sommer hat Šegrt das tadschikische Nationalteam zur erstmaligen Teilnahme am Asien-Cup geführt.

STANDARD: Wenn Sie ein Team wie Tadschikistan übernehmen – wie gehen Sie das an?

Šegrt: Man muss bereit sein, die Kultur anzunehmen und sich mit dem Land auseinanderzusetzen. Man muss ein Gefühl entwickeln, mit sehr viel Vorsicht und Respekt an die Sache herangehen. Das Wichtigste ist starke Empathie. Man muss das Konzept natürlich dem Land anpassen, in Afghanistan haben wir anders gespielt als auf den Malediven.

Für Šegrt war vor dem Engagement in Tadschikistan problematisch, dass er während Corona zwei Jahre keinen Posten hatte und ohne Berater arbeitet. "Das hört sich vielleicht komisch an, aber ich glaube, dass ein Trainer die Persönlichkeit haben sollte, seinen eigenen Vertrag auszuhandeln", sagt er. "So viel Eigenständigkeit sollte eine Führungspersönlichkeit haben." Die Leute würden ihn nur auf Empfehlung anrufen – "meistens, wenn sie schon große Probleme haben".

STANDARD: Würden Sie jedes Nationalteam trainieren, egal wie die Staatsführung ist?

Šegrt: Nein! Sie können eine Nationalmannschaft vom Politischen nicht mehr trennen. Du kommst nicht drum herum, dass du mal beim Staatspräsidenten landest, wenn die Mannschaft erfolgreich ist. Ich bin vielleicht einer der wenigen Trainer, die noch Prinzipien haben. Ich hätte in diesen zwei Jahren etwas annehmen können, das Finanzielle war sensationell, aber das wollte ich nicht.

STANDARD: Warum nun Tadschikistan?

Šegrt: Sie hatten in den vergangenen Jahren eine gute Jugendarbeit und haben ein unglaubliches Potenzial. Man kann noch nicht abschätzen, wie weit es da geht. Wenn alles so weiterläuft, wird in den nächsten Jahren einer dieser Jungs in einer der Topligen auftauchen. Ein 17-Jähriger weckt schon Interesse aus Spanien. Die Begeisterung und Lernfähigkeit der Spieler sind für mich einzigartig. Wofür du in der Bundesliga ein halbes Jahr brauchst, lernen die in ein paar Wochen: taktisches Verschieben, ballorientierte Raumdeckung, Pressingzonen, Systemwechsel. Und die regenerieren so was von schnell!

STANDARD: Was mussten Sie verändern?

Šegrt: Bis jetzt warteten junge Spieler auf ihre Chance, bis sie 24 waren. Als ich meinen ersten Kader vorgestellt habe, wurde ich gefragt, ob ich mir sicher sei, weil sich die erst hochdienen müssten. Zum Hochdienen gehört für mich auch, dass sie mit den besten trainieren. Und wenn mich ein 17-Jähriger überzeugt, dann wird der spielen.

STANDARD: Bekommt man Probleme, wenn man dafür arrivierte Spieler weglässt?

Šegrt: Natürlich. Ich hatte auch auf den Malediven große Schwierigkeiten, weil ich den Rekordtorschützen Ali Ashfaq nicht in den Kader genommen habe, weil er als Kapitän nicht zur Pressekonferenz wollte. Da war dann sechs Monate Feuer am Dach, ich musste mit extremem Widerstand in der Presse leben. Das Ganze hat sich beruhigt, als wir völlig überraschend mit dem jungen Kader ohne Ashfaq die Südostasienmeisterschaft gewonnen haben. Er hat sich dann entschuldigt und kam zurück in den Kader, aber er musste auch begreifen, dass er einer von vielen ist.

Šegrt spricht oft von Respekt. "Ich erwarte den auch gegenüber dem Zeugwart, der Putzfrau und dem Masseur." Von seinen Stationen nimmt er öfter Spitznamen mit: Beim Sportklub war es "Šegrtvara" (In etwa so gesprochen wie Che Guevara, © wahrscheinlich Sertan Günes), in Indonesien "Der Architekt", in Georgien "Der, der alles mit dem Herz macht", in Afghanistan "Man of Hope", in Tadschikistan "Einstein".

STANDARD: Haben Sie einen Lieblingsspitznamen?

Šegrt: "Man of Hope" hat mich am tiefsten berührt. Bei der Südasienmeisterschaft hat einer der Spieler Mails vorgelesen: 'Trainer, wir danken dir für diese 90 Minuten, dass wir vergessen konnten, in welcher Hölle wir leben. Du bist unser Mann der Hoffnung.' Ich habe da schon geschluckt. Das Halbfinale haben wir dann 5:0 gewonnen. Acht offizielle Spiele, sechs Siege.

STANDARD: Im Sommer haben Sie mit Tadschikistan die erstmalige Qualifikation für den Asien-Cup geschafft.

Šegrt: Da haben wir alle überrascht. 5:0 Tore in drei Spielen, das ist für Tadschikistan ein Wahnsinn. Was die wenigsten wissen: Unser bester Stürmer hat während des Turniers ein Baby verloren. Er hat gegen Myanmar ein Tor geschossen, hat für sein Baby gefeiert, und am nächsten Morgen ist es gestorben. Das war schon harter Tobak. Aber der Junge wollte nicht nach Hause, sondern bei uns bleiben.

Im Training schießt keiner der Teamkollegen aufs Tor, weil sie ständig den trauernden Manuchekhr Dzhalilov suchen. "Das war unglaublich ergreifend", sagt Šegrt. Im Abschlusstraining verteilt der Trainer gewöhnlich die Trainingsleibchen an jene Spieler, die in der zweiten Mannschaft stehen. Šegrt gibt dem Trauernden als Erstes ein Leibchen. "Er hat auf den Boden geguckt." Dann drückt er dem Rest der Startelf Leibchen in die Hand. Auf Drängen der Mannschaft läuft Dzhalilov sogar als Kapitän auf.

Šegrt: Als ich Mano nach dem Turnier zum ersten Mal gesehen habe, hat er mich umarmt wie einen Vater. "Das war ein Augenblick, da hast du mich aus dem Loch geholt", hat er gesagt. Das sind Momente, die können Sie mit Geld nicht bezahlen.

Über Teambuildingaktionen wie gemeinsames Klettern lacht Šegrt. "Wenn du Erlebnisse wie wir in Afghanistan hast, Bombenanschläge durchlebst – das ist das beste Teambuilding, das du haben kannst. Oder wenn ein Spieler auf den Malediven seine ganze Familie bei einem Bootsunglück verliert und wir ihn zusammenhalten und die ganze Nacht mit ihm verbringen."

STANDARD: Gab es nie Menschen, die Ihnen gesagt haben: Es ist Zeit, dass der Job ein Ende hat?

Šegrt: Als ich 2008 in Georgien war und der Krieg mit Russland ausbrach, hat meine Freundin gesagt: "Es ist nicht dein Krieg." Auch Jogi Löw hat mir damals gesagt, ich solle gehen. Ich hatte das Ticket und wollte abreisen, habe mich dann aber entschieden, bei den Menschen zu bleiben. Ich habe Jogi geantwortet: "Wenn ich jetzt gehe, was bin ich dann für ein Mensch? Jetzt habe ich ihnen zweieinhalb Jahre erzählt, dass wir eine Einheit sind." Ich habe damals zum zweiten Mal in meinem Leben alles verloren, was ich besessen habe. Ich habe aber mit dem Geld, das ich damals verdient habe, Menschenleben retten können. Aber mein Privatleben hat darunter sehr gelitten, da gibt's keine Zweifel. Das war auch einer der ausschlaggebenden Punkte, warum ich nie geheiratet habe. Meine Familie und Freunde schlagen jedes Mal die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie hören, was ich vorhabe.

STANDARD: Sie selbst zweifeln nie?

Šegrt: Als ich in Afghanistan die Einschusslöcher und die Bewaffneten gesehen habe, habe ich gedacht: "Das war doch keine gute Idee, ich fahr wieder heim." Aber der Verband hat das sehr clever gemacht und 30 Kinder mit weißen, roten und grün und schwarz gefärbten Rosen geschickt. Einer hatte nur einen einzigen Schuh! Er hat gesagt: "Ich brauche keine zwei, ich schieße doch nur mit einem Bein!" Der Junge hieß Benjamin. Als ich das nächste Mal gekommen bin, habe ich ihm zwei Paar Schuhe mitgebracht. Für diese Menschen habe ich es gemacht, in dem Augenblick habe ich auch meine Angst verloren. Ich weiß mittlerweile, dass ich nicht die ganze Welt ändern kann, aber ich weiß, dass ich sie ein bisschen besser machen kann. Diesen Idealismus lasse ich mir nicht nehmen. (Martin Schauhuber, 26.8.2022)