Der fragmentierte und verformte Schädel des Sahelanthropus musste von Fachleuten rekonstruiert werden.
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Er sieht aus, als hätte er auf der Autobahn der Menschheitsgeschichte einen heftigen Unfall erlitten: Der Kopf des Sahelanthropus, einet der ältesten Vorfahren des Menschen, ist in etliche kleine Teile zersplittert. Ja, er wurde sogar kraft des Erdbodens heftig verzogen und plattgedrückt, sodass seine ursprüngliche Form erst rekonstruiert werden musste.

Doch wenn man sein hohes Alter von etwa sieben Millionen Jahren bedenkt, hat sich der Schädel aus Zentralafrika nicht allzu schlecht gehalten. Nur eine Million Jahre zuvor lebte der letzte gemeinsame Urahn, den wir mit Schimpansen teilen.

Kleines Köpfchen, aber aufrechter Gang

Der "Mensch aus der Sahelzone", wie der Name übersetzt lautet, ist dennoch heute lebenden Menschenaffen sehr ähnlich – vor allem, wenn man das kleine Hirnvolumen betrachtet. Von hinten betrachtet, könne der Schädel zu einem Schimpansen gehören, während sein flaches Gesicht an nur zwei Millionen Jahre alte Vormenschen erinnere, formulierte es der Anthropologe Bernard Wood.

Die Grafik zeigt, wann verschiedene Vertreter des Menschenaffen-Stammbaums lebten und wie ihre Oberschenkelknochen aussahen. Die Überreste des Knochens von Sahelanthropus tchadensis sind mit einem Alter von sieben Millionen Jahren nah am letzten gemeinsamen Verwandten von Mensch und Schimpanse. Betrachtet man sie jedoch genau, fallen Fachleuten Merkmale auf, die für einen aufrechten Gang sprechen.
Foto: Lieberman, Nature 2022 / Springer Nature

Dieser Fund, der 2001 im Tschad zutage gefördert wurde, zeigt für viele Fachleute bereits: Der erste Schritt in Richtung Menschwerdung begann wohl nicht mit vergrößerten Gehirnen, sondern mit dem aufrechten Gang. Eine neue Studie im Fachmagazin "Nature" wertete zusätzlich zum Schädel drei weitere Knochen aus, die bisher nicht fachgemäß untersucht wurden.

Die Arbeit stammt von den Erstautoren Guillaume Daver und Franck Guy von der Universität Poitiers in Frankreich und ihrem Team. Sie liefern weitere Hinweise darauf, dass Sahelanthropus einen großen Teil seiner Zeit auf zwei Beinen verbrachte. Vermutlich war er der früheste Menschenartige, der sich aufrecht fortbewegte.

Flexible Fortbewegung

Dafür spricht nicht nur das Loch im Schädel, das Gehirn und Rückenmark verbindet und auf einen senkrechten Hals hindeutet, der beim aufrechten Gang hilfreich ist. Auch die Analyse eines Oberschenkelknochens geht in diese Richtung, schreibt das französisch-tschadische Forschungsteam.

Die verschiedenen Fortbewegungsarten des Sahelanthropus: Der Menschenartige fühlte sich aufrecht wohl, konnte sich aber auch gut an Ästen festhalten.
Bild: Sabine Riffaut, Guillaume Daver, Franck Guy / Palevoprim / CNRS – Université de Poitiers

Anders sieht es bei den Unterarmen aus. Sie waren für das Bäumeklettern geeignet. Die flexible Fortbewegung kam dem Sahel-Menschen in seiner Umgebung – neben einem See, unweit eines Waldes – zugute. Noch Millionen Jahre lang sollte sich diese Merkmalsmischung halten, bevor die Gattung Homo das Leben auf den Bäumen quasi aufgab.

Vorsichtige Analysen

Typisch für Skelette aus der älteren Menschheitsgeschichte ist die Position von Sahelanthropus im Stammbaum nicht unumstritten. Darauf weist auch der Evolutionsbiologe Daniel Lieberman von der Universität Harvard in einem Begleitartikel hin. Zudem sei die Analyse mit Vorsicht zu genießen, da etwa nicht der vollständige Oberschenkelknochen erhalten ist und wichtige Erkennungsmerkmale fehlen. Doch sei es "plausibel, dass Sahelanthropus zu den Zweibeinern zählte und dass er – wie auch spätere Homininen, etwa Australopithecus ramidus – gleichzeitig gut an das Klettern in Bäumen angepasst war".

Selbst extrem alte, fragmentierte Schädel und weitere rare Knochen können viel über unsere Geschichte verraten – und zeigen, wozu Mensch und Forschung auch fähig sind. (Julia Sica, 24.8.2022)