Das Konzept der kulturellen Aneignung und das, was darunter verstanden wird, sind dieser Tage in aller Munde – und Gegenstand zahlreicher, teils erbittert geführter Diskussionen. So wurden beispielsweise in den letzten Monaten Konzerte mehrerer Musikerinnen und Musiker, die als weiße Personen Dreadlocks tragen, seitens der Veranstalter abgesagt oder gestoppt, weil ihre Frisur als problematisch angesehen wurde bzw. man sich dabei "unwohl" fühle, sie auftreten zu lassen. Die letzten derartigen Vorfälle liegen erst wenige Tage zurück.

Ein weißer Mann mit Dreadlocks, der Yoga praktiziert: Sehen Sie hierin kulturelle Aneignung?
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Kulturelle Aneignung: Von Winnetou bis Pizza Hawaii

Eine weitere Debatte ist rund um den aktuellen Kinderfilm "Der junge Häuptling Winnetou" ausgebrochen, der bekanntlich auf den Büchern des deutschen Autors Karl May basiert – der erst nach dem Verfassen mehrerer dort angesiedelter Bücher einen Fuß auf nordamerikanischen Boden gesetzt hat. In der Vorlage, an der sich der Film bedient, werden Bilder eines "romantisierten wilden Indianerlebens" entsponnen, die weitgehend auf der Fantasie des Verfassers basieren und mit der Lebensrealität der indigenen Bevölkerung Nordamerikas nur bedingt zu tun haben. Ein Auslieferungsstopp von Merchandising-Produkten zum Film durch den deutschen Ravensburger-Verlag war die Folge – was auch wieder für Gegenwind sorgte.

Auch vor dem Thema Essen machen Vorwürfe wie diese nicht halt, und Bezeichnungen wie "Pizza Hawaii" wurden bereits von linken Gruppierungen als mit der "Geschichte des Kolonialismus und der Aneignung verbunden" empfunden und daher abgelehnt.

Kulturelle Aneignung: Was ist damit gemeint?

Per Definition ist unter kultureller Aneignung das Übernehmen von Ausdrucksformen einer (Minderheiten-)Kultur zu verstehen, der man selbst als Mitglied einer dominanteren Kultur nicht angehört und von deren Herausforderungen man daher aus seiner eigenen, häufig privilegierten Position heraus nicht betroffen ist. Dem Gedanken der kulturellen Aneignung liegt die Ansicht zugrunde, dass deshalb nur Personen, die selbst einer bestimmten Kultur angehören, das Recht haben sollen, Ausdrucksformen dieser Kultur nach außen hin zur Schau zu tragen, beispielsweise durch Kleidung oder Haartracht.

Dass es sich bei der Übernahme der Merkmale einer anderen Kultur um einen positiv gemeinten Tribut, also gewissermaßen ein Zeichen von Wertschätzung handeln kann, lassen Menschen, die eine unzulässige Aneignung anderer Kulturen verorten, selten gelten. Doch wo hört kulturelle Anerkennung auf – und wo beginnt kulturelle Aneignung? Dürfte man nicht in letzter Instanz eigentlich gar kein "Kulturgut" in irgendeiner Form von anderen übernehmen? Oder ist alles nur eine Frage des Kontextes und vor allem problematisch, wenn man sich in irgendeiner Form durch das Übernommene bereichert und daraus Kapital schlägt?

Fest steht nur: Das Für und Wider in komplexen Fragen wie diesen ist von philosophischen, weltanschaulichen, politischen und emotionalen Komponenten geprägt – und eine einfache Antwort auf die Frage "Was genau ist kulturelle Aneignung?" gibt es im Grunde nicht.

Wie sehen Sie das?

Was empfinden Sie persönlich als kulturelle Aneignung – oder halten Sie von dem Konzept grundsätzlich nichts? Ist die ganze Diskussion für Sie längst aus dem Ruder gelaufen oder hat sie ihre Berechtigung? Wie geht es Ihnen als Person, die selbst einer betroffenen Gruppe angehört, mit diesem Thema? Oder wo sehen Sie das eigentliche Problem in der ganzen Debatte? Diskutieren Sie im Forum! (dahe, 29.8.2022)