München – Vor mittlerweile mehr als zwei Jahren krachte das Kartenhaus rund um den einstigen Dax-Konzern Wirecard zusammen. Über fehlende 1,9 Milliarden Euro stolperte das Unternehmen schlussendlich. Schwer in der Kritik stehen seither auch die Wirtschaftsprüfer von EY, die dem Zahlungsdienstleister immer wieder die Bilanz testierten. Kurz vor dem Zusammenbruch hatte EY dann doch einmal ein Testat – für 2019 – verweigert. Insgesamt sollen die Wirtschaftsprüfer über vier Jahre hinweg ihre Berufspflichten verletzt haben.

Dieses Ergebnis zeichnet sich bei den Ermittlungen durch die Abschlussprüferaufsichtsstelle (Apas) ab, wie das deutsche "Handelsblatt" berichtet. Die Apas ist die deutsche Aufsichtsbehörde für Wirtschaftsprüfer und führt seit Juni 2020 ein Berufsverfahren gegen zwölf EY-Mitarbeiter, aber auch gegen das Unternehmen selbst. Im Oktober soll das Verfahren abgeschlossen werden, heißt es in dem Bericht. Sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind, entscheidet die Kammer über etwaige Strafen. Insiderinformationen zufolge würden beide Seiten noch intensiv über mögliche Folgen ringen. EY beruft sich auf das laufende Verfahren und gibt keine Stellungnahme ab.

Jahrelang hatte EY die Bilanzen von Wirecard problemlos testiert. Das dürfte sich nun rächen.
Foto: APA/AFP/GABRIEL BOUYS

Von Geldstrafen bis Berufsverbot

Der Maßnahmenkatalog ist umfangreich. Beginnend mit einer Rüge, kann eine Strafe aber auch zu einer Geldstrafe von bis zu 500.000 Euro anwachsen oder zu einem befristeten Verbot für gewisse Tätigkeiten oder gar einem Berufsverbot führen. Einzelne Prüfer sollen bereits freiwillig angeboten haben, als Wirtschaftsprüfer zurückzutreten. Warum? Gibt ein Wirtschaftsprüfer frühzeitig seine Lizenz ab, wird die Strafe hinfällig. Das gilt sogar dann noch, wenn bereits eine Strafmaßnahme verkündet wurde. Über die Lizenzrückgabe kann man sich also einer Strafe entziehen.

Auch ganze Prüfgesellschaften können mit Maßnahmen belangt werden. Das Maximum einer Geldstrafe liegt allerdings bei einer Million Euro, was einem Unternehmen wie EY monetär nichts anhaben kann. Imagetechnisch sieht es natürlich anders aus. Unter Umständen kann die Apas aber auch für gewisse Zeit ein Verbot aussprechen, neue Geschäfte von Firmen öffentlichen Interesses zu übernehmen.

Nichtige Bilanzen

Die Apas untersucht Abschlüsse von 2015 bis 2018, und sie soll bereits in allen erhebliche Pflichtverletzungen festgestellt haben, bezieht sich das "Handelsblatt" auf Insiderkreise. Die Behörde selbst äußerte sich aufgrund ihrer Verschwiegenheitspflicht dazu nicht. Nach dem Jahresabschluss flossen bei Wirecard jedenfalls stets große Summen.

Luftbuchungen über 1,9 Milliarden Euro wurden dem einstigen Vorzeigekonzern zum Verhängnis.
Foto: Christof STACHE / AFP

Wirecard hatte 2017 und 2018 hohe Gewinne von zusammen mehr als 600 Millionen Euro ausgewiesen, und für beide Jahre in Summe 47 Mio. Euro Dividenden ausgeschüttet. Diese beiden Bilanzen hat das Landgericht München in einem Zivilverfahren allerdings für nichtig erklärt. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, könnte der Insolvenzverwalter damit die von Wirecard für die beiden Jahre gezahlten Dividenden in zweistelliger Millionenhöhe von den Aktionären zurückfordern, ebenso von Wirecard gezahlte Steuern. Munition liefert das Urteil aber auch für die knapp 1.000 Klagen empörter Aktionäre gegen die EY.

Anfang vom Ende

Ein kurzer Blick auf die Geschichte des Wirecard-Skandals: Anfang 2019 beginnt die Fassade erstmals so richtig zu bröckeln. Die "Financial Times" (FT) berichtet über mutmaßliche Manipulationen in Singapur, woraufhin die Wirecard-Aktie einbricht. Der damalige Firmenchef Markus Braun dementiert alle Vorwürfe und holt sich die Gunst der Behörden zurück. Die Finanzaufsicht Bafin verbietet weitere Spekulationen auf fallende Wirecard-Aktienkurse, und die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den FT-Journalisten Dan McCrum, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Ungereimtheiten rund um den Konzern aufzudecken.

Markus Braun sitzt seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft.
Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Im Herbst 2019 lassen weitere FT-Berichte über erfundene Geschäfte die Aktie abermals einbrechen. Ab dem Frühjahr 2020 geht es dann Schlag auf Schlag. Im April meldet eine andere Wirtschaftsprüfungsfirma, KPMG, nach monatelanger Sonderprüfung zu den Geschäftsjahren 2016 bis 2018, dass wesentliche Unterlagen fehlten.

Im Juni beginnt die Staatsanwaltschaft nach einer Anzeige der Bafin wegen möglicher Marktmanipulation gegen den Wircecard-Vorstand zu ermitteln und durchsucht die Konzernzentrale. Mitte 2020 gibt Markus Braun zu, dass es die fehlenden 1,9 Milliarden Euro nicht gibt. Alles bricht zusammen. Braun wird verhaftet, Finanzvorstand Jan Marsalek setzt sich ab.

Braun und Marsalek

Auch nach zwei Jahren in Untersuchungshaft kommt Braun bis auf weiteres nicht auf freien Fuß. Das Oberlandesgericht München hat bei der mittlerweile fünften Haftprüfung im August entschieden, dass der Wiener in Untersuchungshaft bleibt. Braun ist angeklagt wegen "gewerbsmäßigen Bandenbetrugs" in Milliardenhöhe, bisher hat das Gericht aber nicht entschieden, ob die Anklage zugelassen wird. In Haftsachen ist die Justiz zur Eile gehalten, im Fall Wirecard ist das Verfahren aber außerordentlich umfangreich und komplex.

Dieses Fahndungsbild ist an Flug- und Bahnhöfen auf der ganzen Welt zu finden.
Foto: EPA/CLEMENS BILAN

Ex-Finanzvorstand Jan Marsalek ist seit zwei Jahren auf der Flucht. Diversen Medienberichten zufolge soll er sich in Russland aufhalten und unter dem Schutz des Geheimdienstes stehen. Mit neuer russischer Identität – unter dem Namen German Bazhenov – soll er sich relativ frei bewegen können und seinen ausschweifenden Lebensstil weitestgehend beibehalten haben. Marsalek flüchtete im Juni 2020 über Österreich nach Minsk, dort verliert sich seine Spur. (and, 25.8.2022)