In Italien wird in einem Monat eine Wahl stattfinden, die wahrscheinlich schon bald das Prädikat "historisch" erhalten wird – und das nicht unbedingt in positiver Konnotation: Denn genau 100 Jahre nach Benito Mussolinis "Marsch auf Rom" und der daraus resultierenden faschistischen Machtergreifung am 30. Oktober 1922 wird laut allen seriösen Wahlprognosen eine Persönlichkeit die Regierung übernehmen, die ihre gesamte politische Karriere im Dunstkreis verschiedener postfaschistischer Parteien und Gruppierungen aufgebaut hat: Giorgia Meloni.

Giorgia Meloni hat beste Chancen, erste Ministerpräsidentin Italiens zu werden.
Foto: AP Photo/Domenico Stinellis

Die ultrarechte Nationalistin und Chefin der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) dürfte bald gemeinsam mit dem rechtspopulistisch-rassistischen Hardliner Matteo Salvini von der Lega sowie mit dem wegen Steuerbetrugs vorbestraften vierfachen Ex-Premier Silvio Berlusconi – man erinnere sich an seine berüchtigten "Bunga-Bunga-Partys" – und seiner Forza Italia regieren. Im Vergleich zu einer solchen Koalition würden dann selbst – wie es manche Kommentatoren und Beobachterinnen in Italien, aber auch in ganz Europa sehen – die nationalistischen und autoritären Regierungen in Ungarn und Polen als geradezu moderat erscheinen.

Die finanzpolitische Ernsthaftigkeit und internationale Glaubwürdigkeit, zu der Italien in den gut eineinhalb Jahren der Regierung des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi zurückgefunden hat, droht bei diesem Szenario auf einen Schlag wieder verspielt zu werden. Mit Draghi, dem besonnen agierenden, international renommierten Wirtschaftsexperten und Ex-Banker an der Regierungsspitze, ist Italiens Verschuldungsrate in den vergangenen Monaten so stark gesunken wie noch nie in der gesamten Nachkriegszeit; auch der Beschäftigungsgrad war so hoch und die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Unhaltbare Versprechen

Salvini und Berlusconi versprechen derweil im Wahlkampf viel Illusorisches, träumen bereits von Steuersenkungen und Steueramnestien und sogar von einer Verdoppelung der Mindestpensionen.

Meloni wiederum – Draghis wahrscheinliche Nachfolgerin und damit erste Frau im Amt – hatte in der Vergangenheit fünfmal gegen den Wiederaufbauplan für Italien gestimmt, der zur Überwindung der Folgen der Corona-Krise von der Europäischen Union mit 191 Milliarden Euro finanziert wird. Ihre reichlich populistisch anmutende Begründung: Mit den Finanzhilfen aus dem riesigen EU-Wiederaufbaufonds begebe man sich in die Knechtschaft von Brüssel.

Das verfängt in ihrer Fangemeinde – und genau das ist der Ton, auf den sich die europäischen Partner wieder einstellen müssten: Meloni und Salvini polemisieren seit Jahren gegen die Union und die Einheitswährung. Im Werbematerial der Lega war noch vor wenigen Jahren der Slogan "Basta Euro" prominent zu lesen. Für diesen Wahlkampf oder die Zeit danach könnte selbst ein "Italexit" – also ein Austritt Italiens aus der EU nach britischem Vorbild – plötzlich wieder zu einem Thema werden.

Aber nicht nur in Brüssel – das mit Draghi den vielleicht überzeugtesten Europäer in Italien verliert beziehungsweise schon verloren hat – würde ein Wahlsieg des italienischen Rechtsblocks von vielen als Desaster gesehen werden: Auch die Ukraine würde einen wichtigen und starken Partner verlieren. Salvini und Berlusconi sind bekennende Freunde, teils sogar Verehrer des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Auch wenn ihre Töne aufgrund der allgemeinen Stimmungslage gegen die russische Kriegspolitik momentan leiser ausfallen: Beide wettern seit Monaten gegen die EU-Sanktionen gegen Russland und prangern die Lieferung schwerer Waffen an Kiew an – anders als Draghi, der sich von Kriegsbeginn an konsequent und unbeirrbar an die Seite der Ukraine gestellt hatte.

Nähe zu Putin

Über einen Wahlsieg des Trios Meloni/Salvini/Berlusconi würde sich also Putin wohl freuen – aber mit ihm auch Rechtspopulisten, Nationalisten, Protektionisten und EU-Gegner in ganz Europa. Und das in einer für den ganzen Kontinent kritischen Zeit: Die gestiegenen Energiepreise, die hohe Inflation und die da und dort drohende Rationierung von Gas und Strom werden den sozialen Unmut weiter anwachsen lassen. Ein Wahlsieg der Rechten in Italien könnte auch im Ausland zu brisanten Folgen führen.

Andererseits: Gerade die Mischung aus Energiekrise, steigenden Zinsen, Krieg und Inflation könnte auch dafür sorgen, dass der sich in Rom anbahnende Politikwechsel doch schneller wieder erledigt ist als befürchtet. Denn wenn in wenigen Wochen nicht mehr ein Fachmann wie Draghi, sondern oft bloß nach Umfragewerten Agierende wie Meloni, Salvini und Berlusconi in der Regierungsverantwortung stehen sollten, könnte sich der Volkszorn schnell an ihnen selbst entladen.

Die neuen Regierenden werden unter enormem Druck stehen, auch Lösungen zur Bewältigung der auf so vielen Ebenen manifesten Krise zu präsentieren. Lösungen, die sie bisher auch selbst nicht präsentiert haben und voraussichtlich auch nicht präsentieren werden. Dafür sind Meloni, Salvini und Berlusconi allzu oft unterschiedlicher Meinung und zudem persönlich allzu stark zerstritten. Die neue Regierung könnte also schnell zerschellen – an sich selbst. (Dominik Straub, 26.8.2022)