Die ersten Bäuerinnen und Bauern in Vorderasien unterhielten sich vermutlich in einer alten Sprache aus der indogermanischen Familie.
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Urlaubsreisen in fremde Länder zeigen es deutlich: Als Österreicherin oder als Deutscher ohne dezidierte Fremdsprachenkenntnisse ist es gar nicht so einfach, zu verstehen, was in Spanien, Kroatien oder Griechenland im Restaurant empfohlen oder in den Nachrichten erzählt wird. Gut, mag man einwenden, das ist bei gewissen Dialekten ebenfalls eine Herausforderung. Global betrachtet sind diese Sprachen jedenfalls allesamt noch relativ eng miteinander verwandt – sie gehören zur indoeuropäischen oder indogermanischen Familie.

Diese Sprachgruppe ist die größte auf der ganzen Welt, mehr als 400 Sprachen zählen dazu. Wie sie sich ausbreitete, ist Gegenstand etlicher Studien. Eine große Gruppe an Fachleuten, darunter Ron Pinhasi von der Universität Wien und David Reich von der Harvard Medical School, veröffentlichte bereits 2019 eine Arbeit, die die Entwicklung teilweise nachzeichnet. Aber nicht auf der Grundlage von Texten und anderen Artefakten, die Hinweise auf kulturelle Verflechtungen und mögliche Sprachtraditionen liefern: Der Blick der Anthropologinnen und Anthropologen war auf eine viel kleinere Indizienlieferantin gerichtet, nämlich die DNA.

Fund-ception

Das lässt sich als "Fund im Fund" betrachten, also als Spur, die sich erst durch die Auswertung von in Skelettknochen "verstecktem" Material zeigt, das möglichst vorsichtig entnommen wurde. Die moderne Methode eröffnete eine ganz neue Quelle aus tausende Jahre zurückliegenden Epochen, in die wir durch die seltenen Funde nur kleine Einblicke haben: Vergleicht man das, was vom Genom der Verstorbenen übrig blieb, lassen sich entfernte Verwandtschaften und mögliche Wanderungsbewegungen von Gruppen rekonstruieren.

In beachtlichem Maßstab liefern Pinhasi und Reich gemeinsam mit über 200 Co-Autorinnen und -Autoren nun neuen Stoff. Die drei Studien, die am Donnerstag im Fachmagazin "Science" erschienen, zeigen nicht nur Einflüsse auf die indoeuropäische Sprachfamilie auf. Sie demonstrieren auch, wie sich Hirtengruppen und Landwirtschaft betreibende Populationen in der Region von Vorderasien bis Europa bewegten, ansiedelten, fortpflanzten – und wie divers die Bevölkerung antiker Städte war.

In einer Höhle in Areni (Armenien) stießen Forschende auf Kinderbestattungen aus dem 5. Jahrtausend vor Christus. In den Töpfen wurden wahrscheinlich Speiseopfer dargebracht, später wurden Leichname von Kindern im Rahmen von Sekundärbestattungen dazugelegt. Ihre DNA zeigt, dass Jäger-Sammler-Gruppen aus östlicheren Regionen schon früh nach Westasien kamen.
Foto: Boris Gasparian

Diese Gegend ist forschungstechnisch interessant: Hier spielte sich vor etwa 12.000 Jahren maßgeblich ein Wandel hin zur bäuerlichen Lebensweise ab. Menschen wandten sich von einem Alltag ab, der von Jagen und Sammeln geprägt war – und hin zu Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht. Ein Trend, der für die ersten Städte sorgte und für neue Dimensionen in Sachen Handwerk, Kunst und Sozialleben.

Wurzel im Kaukasus

Daher konzentrierten sich die Forschenden auf den Raum von Kroatien bis in den Iran. Sie analysierten die Genome von 727 Individuen aus einem Zeitraum von über 11.000 Jahren, bis ins 17. Jahrhundert hinein. Die Studien erzählen etwa die Urgeschichte Anatoliens, das im Gebiet der heutigen Türkei liegt: Es waren nicht nur Jäger-Sammler-Gesellschaften dieser Region, die dort mit der Landwirtschaft begannen. Vor 10.000 bis 6.500 Jahren prägten zudem Migrationen aus dem heutigen Irak, Syrien und der östlichen Mittelmeerküste die Bevölkerung.

Später kamen weitere kleinere Einflüsse hinzu: Jäger und Sammler aus dem Kaukasus sowie Menschen, die der nomadischen Jamnaja-Kultur aus der Steppe nördlich des Schwarzen Meeres angehörten. In sprachlicher Hinsicht verorteten viele Fachleute im Bereich der Linguistik die Wurzel der indogermanischen Sprachen bisher ebenfalls bei den Jamnaja. Das Studienteam hingegen vermutet aufgrund der genetischen Daten, dass vor 7.000 bis 5.000 Jahren gemeinsame Jäger-Sammler-Vorfahren von Jamnaja und den "Ur-Anatoliern" im ostanatolischen Hochland bis hin zum Kaukasus lebten.

Fehlende Begriffe

"Diese Kaukasus-Komponente ist eine Art verbindende Abstammung, die wir überall dort finden, wo alte indoeuropäische Sprachen gesprochen werden", sagt Erstautor Iosif Lazaridis von der Universität Harvard. Die ursprüngliche Version – die Grundlage der riesigen Sprachfamilie – könnte zuerst "eine Jäger-Sammler-Sprache gewesen sein". Das würde jedenfalls erklären, warum gewisse landwirtschaftliche Begriffe in den ältesten Sprachen noch fehlen.

Zum genetischen Datenschatz der Studie trug dieser Friedhof bei, der sich in der armenischen Ortschaft Karashamb befindet. Hier wurden die Gräber von 26 Personen aus der späten Bronze- und frühen Eisenzeit untersucht.
Foto: Pavel Avetsiyan, Varduhi

Insgesamt unterstützen die Ergebnisse "die Hypothese eines Netzwerkes überregionaler Kontakte zwischen frühen, bäuerlichen Gesellschaften", sagt der Anthropologe Pinhasi. Sie weisen nach, dass die Entstehung der Landwirtschaft – die sogenannte neolithische Revolution oder Transition – "ein komplexer Prozess war, der nicht in nur einer Kernregion, sondern in ganz Anatolien und dem Nahen Osten stattgefunden hat".

Besiedelung von Mittelmeerinseln

Besonders an den Analysen ist zudem, dass erstmals DNA-Proben aus dem steinzeitlichen Mesopotamien ausgewertet werden konnten. Das fruchtbare Gebiet ist gerade für die Entstehung der Landwirtschaft von großer Bedeutung. Mithilfe der Genetik wurde versucht, einige archäologische Lücken zu füllen – auch uralte DNA aus Zypern wurde erstmals untersucht. Sie gehört zu den ersten Bauern, die sich vom östlichen Mittelmeerraum aus offenbar sogar über das Meer ausbreiteten und auf Inseln ansiedelten.

Die Studien, an denen auch das Österreichische Archäologische Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften beteiligt war, zeichnen sich aber auch allein durch ihren Umfang aus: "Die Stichprobengröße ist phänomenal", sagt Wolfgang Haak vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der nicht an der Studie beteiligt war.

Überraschend kosmopolitisch

Was die Untersuchung ebenfalls demonstrierte, ist die Bevölkerungszusammensetzung während einer späteren Epoche, nämlich der römischen Kaiserzeit. Die DNA-Analysen zeigen: Wer damals um Rom herum lebte, hatte quasi die gleiche Abstammung wie römisch-byzantinische Menschen aus Anatolien. Ganz anders sah im Vergleich dazu das Erbgut der Bevölkerung des heutigen Italiens vor der Kaiserzeit aus.

Wie konnte es dazu kommen? Das Forschungsteam interpretiert die Daten so, dass die Bevölkerung des Römischen Reichs relativ divers war, untereinander aber wiederum recht ähnlich – und hauptsächlich auf Menschen aus Anatolien in präimperialer Zeit zurückgeht. "Dieses Ergebnisse sind sehr überraschend", sagt Pinhasi. Er arbeitete bereits vor drei Jahren an einer Forschungsarbeit, die die genetische Zusammensetzung der Bevölkerung des alten Roms behandelt. "Darin haben wir ein kosmopolitisches Muster gefunden, das wir einzigartig für Rom hielten. Nun sehen wir aber, dass andere Regionen des Römischen Reichs genauso kosmopolitisch waren wie Rom." (sic, 26.8.2022)