Der beachtliche Schädel des "schrecklichen" Sauriers.
Foto: University of Bath

Wer neuen Stoff für gruselige Geschichten und schweißgebadete Nächte sucht, dem ist eine Suchmaschinenanfrage zum Schlagwort "Mosasaurier" zu empfehlen. Kreative Köpfe haben sich ausgemalt, wie diese Gruppe maritimer Raubtiere vor Jahrmillionen ausgesehen haben könnte: Da springen gigantische Krokodil-Wal-Hybride mit schäumender Gischt aus dem Meer, um nach dem nächsten Happen zu schnappen. Die messerscharfen Zähne und die schieren Ausmaße der Wasserechsen lassen Haie wie einen Snack für zwischendurch aussehen.

Tatsächlich beruhen die Illustrationen größtenteils auf realen Fossilfunden. Bis zu 18 Meter Länge konnten die Unterwassermonster erreichen. Einen passenden Namen hat auch ein neues Skelett erhalten, das den Mosasauriern zuzuordnen ist: Thalassotitan atrox, der schreckliche Meerestitan, gehört zwar nicht zu den größten Exemplaren seiner Gruppe. Beinahe neun Meter – von denen allein der Kopf fast eineinhalb Meter einnimmt – sind aber durchaus beachtlich.

Eine künstlerische Interpretation von T. atrox bei der Jagd.
Bild: Andrey Atuchin

"Furchterregendes Tier"

Das internationale Forschungsteam vergleicht die neue Gattung im Fachblatt "Cretaceous Research" mit Waranen, die zu den noch heute lebenden engsten Verwandten des Tieres gehören dürften, aber auch mit Weißen Haien, Schwertwalen und dem Tyrannosaurus rex. "Thalassotitan war ein großartiges, furchterregendes Tier", kommentiert Erstautor Nick Longrich von der Universität Bath (Großbritannien) den Fund. Aufgespürt wurde es in Marokko, im Ouled-Abdoun-Becken. Dort wird nicht nur Phosphat abgebaut, immer wieder stößt man auch auf die Überbleibsel urzeitlicher Tiere.

So sahen die Kontinente zu den Lebzeiten des Thalassotitan aus. Die Karte zeigt das Verbreitungsgebiet des Tieres und ähnlicher fleischfressender Mosasaurier von ähnlicher Größe. Die europäischen Funde weisen auf Fossilien hin, die in den Niederlanden und in Polen entdeckt wurden.
Bild: Nick Longrich

Viele davon zählen zu den größten und gefährlichsten Sauriern, die bisher gefunden wurden – entsprechend verwegen ist der Ruf dieser Gegend, was die Kreidezeit vor mehr als 65 Millionen Jahren angeht. Insbesondere Wasserlebewesen wie die Mosasaurier und andere Reptilien sind an dieser Fundstätte besonders gut und vollständig erhalten. Thalassotitan dürfte vor etwa 66 Millionen Jahren gelebt haben – und womöglich mit dem verheerenden Asteroideneinschlag ausgestorben sein.

Profil eines Mörders

Das Besondere am Fund ist, dass es auch konkrete Hinweise auf die Ernährung des Tieres gibt. In unmittelbarer Nähe stieß das internationale Forschungsteam auf weitere Skelette – von großen Raubfischen und einer Meeresschildkröte, aber auch von anderen Sauriern. Auffallend ist, dass die Schädel von mindestens drei verschiedenen anderen Mosasauriern dabei waren sowie Kopf eines langhalsigen Elasmosaurus. Den Fachleuten zufolge zeigen Spuren an den Knochen, dass sie durch Säure angegriffen wurden. Dabei könnte es sich um die Magensäure des Thalassotitan gehandelt haben.

Größenvergleich: die Dimensionen eines Thalassotitan atrox, eines Schwertwals und eines Menschen (inklusive Harpune) – der ebenfalls als Jäger der Meere durchgeht.
Bild: Nick Longrich

Wer also der Mörder war und die anderen Tiere verspeiste, lässt sich freilich nicht mit Sicherheit sagen, merkt Longrich an. "Aber wir haben die Knochen von Meeresreptilien, die von einem großen Raubtier getötet und gefressen wurden. Und am selben Ort finden wir Thalassotitan, eine Spezies, die zum Profil des Mörders passt", sagt der Paläontologe. Das sei wahrscheinlich kein Zufall. Es lässt darauf schließen, dass der Räuber sich an der Spitze der kreidezeitlichen Nahrungskette befand.

Forscher Nick Longrich mit dem fossilen Schädel des Mosasaurier.
Foto: Nick Longrich

Kampfeslustiger Zeitgenosse

Seine massiven Zähne lieferten dafür die passenden Werkzeuge. Manche sind beim marokkanischen Fund abgebrochen. Das weist für die Expertinnen und Experten darauf hin, dass der Seeräuber mitunter harte, knusprige Nahrung auf dem Speiseplan hatte. Dafür würde auch die bepanzerte Meeresschildkröte in der Nähe des Fossils sprechen.

Weitere Verletzungen an Gesicht und Kiefer, die als besonders heftig beschrieben werden, sprechen dafür, dass das Tier etwa in Konkurrenz mit Artgenossen ziemlich kampfeslustig war. Von einem Bad in den Meeren, in denen der "schreckliche Meerestitan" jagte, wäre also abzuraten gewesen. (Julia Sica, 26.8.2022)