Dominic Solankes Treffer gegen Fulham ging um die Welt. Im Foto bejubelt der Bournemouth-Spieler sein Tor gegen Millwall im Jänner 2021.

Foto: Reuters/Peter Cziborra

Sollten Sie demnächst ein Fußballspiel ansehen, bitte, bitte, denken Sie dran: Gehen Sie ja rechtzeitig auf die Toilette! Machen Sie nicht den Fehler und verschwinden kurz vor (Wieder-)Anpfiff der Partie, weil Sie sich einreden: "Ich werde schon nichts verpassen. Was soll beim Anstoß schon passieren?". Die Antwort in dieser Saison lautet: das Highlight des Spiels, ein Wahnsinnstor, einen traumhaften Spielzug, manchmal sogar Rekorde. Kurzum: Eine Kombination aus vier Pässen hat die Fußballwelt erobert.

PSG hat's eilig

So gesehen am vergangenen Spieltag in der Ligue 1. PSG hatte gegen OSC Lille Anstoß. Neymar passte den Ball zurück und bekam ihn gleich wieder retour. Er ließ die Kugel auf Lionel Messi prallen. Der Argentinier spielte einen direkten Steilpass über 30 Meter und über die Abwehr des Gegners in die Spitze. Kylian Mbappé stürmte in den freien Raum und überhob Goalie Léo Jardim. 1:0 für PSG und Rekord eingestellt: Nach acht Sekunden hatte in der Ligue 1 zuvor Michel Rio im Februar 1992 für Caen gegen Cannes getroffen.

Zack, zack, zack, zack, Tor.

.Jetzt könnte man denken: Okay, schön und gut, aber nicht jedes Team hat einen Drei-Trilliarden-Euro-Sturm aus Neymar, Messi und Mbappé in den eigenen Reihen. Das Tor war sicher nur eine Eintagsfliege und ist unmöglich zu reproduzieren. Irrtum!

Trendsetter Bournemouth

Denn, und das ist der Clou an der Sache, der Pariser Scheichklub hat diesen Anstoßtrick nicht als erste Mannschaft ausgeführt. Der Ursprung liegt beim AFC Bournemouth.

Der Klub ist dieses Jahr in die Premier League aufgestiegen und spielte vergangene Saison noch in der zweitklassigen Championship. In dieser führte der Verein aus dem Südwesten Englands bereits am 3. Dezember 2021 den Spielzug aus. Dominic Solanke schoss die "Cherries" damals beim Anstoß der zweiten Spielhälfte gegen Fulham so in Führung.

Die Idee zur einstudierten Passfolge hatte Co-Trainer Matt Wells, wie "The Guardian" berichtet. "Wir arbeiten unermüdlich an Details", sagte der Enkelsohn des früheren walisischen Nationalspielers und Tottenham-Stürmers Cliff Jones. "Das Tor kam praktisch direkt vom Trainingsplatz. Wir wollten den Raum zwischen Außen- und Innenverteidiger ausnützen."

Die Geburtsstunde.

Bournemouth teilte das Tor auf dem eigenen Tiktok-Kanal. Es verbreitete sich schnell. Eines der beiden Videos wurde mittlerweile 1,6 Millionen Mal aufgerufen. Und anscheinend waren da Trainer einiger anderer europäischer Fußballteams dabei. Denn der Spielzug wurde seither mehrfach kopiert.

Von Real Madrid und ManUtd ...

Real Madrid probierte den Spielzug zweimal in der Champions League aus. Einmal scheiterte Vinicius Junior am Abschluss, einmal fing PSG-Goalie Gianluigi Donnarumma Marco Asensios etwas zu weit geratenen Steilpass ab. Im Testspiel gegen Juventus Turin vor einem Monat verhinderte nur ein Abseitspfiff die gelungene Umsetzung des Spielzugs.

Am Montag versuchte sich wiederum Manchester United daran und scheiterte noch früher: Bruno Fernandes wollte den Ball zu Christian Eriksen zurückspielen, passte aber genau zum Gegenspieler.

Es kann nicht immer gutgehen.

An dieser Stelle sei gesagt: So simpel es klingen mag, vier Pässe hintereinander zu spielen – es setzt freilich volle Konzentration und technische Klasse voraus, vor allem beim entscheidenden langen Ball in die Tiefe: Dieser muss direkt, also mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, und unheimlich präzise gespielt werden. Ist er zu kurz, fängt ihn die Defensive ab. Ist er zu lang, der Tormann.

... bis Sparta Rotterdam und Cliftonville

Die Freude ist umso größer, wenn der Geniestreich hinhaut: In der niederländischen Eredivisie vollendete Sparta Rotterdams Vito van Crooij den Spielzug zum 1:0 nach acht Sekunden gegen AZ Alkmaar. Auch der nordirische Klub Cliftonville war so gegen die Carrick Rangers am vergangenen Samstag nach 7,92 Sekunden erfolgreich, sogar per Fallrückzieher. Beide Teams bedankten sich in den sozialen Medien artig beim Ideengeber, beim AFC Bournemouth.

Danke an den Ideengeber.

Erst eine Stunde vor Anpfiff hatte Cliftonville-Videoanalyst Damian McAuley seinem Team auf dem iPad ein viral gegangenes Video des englischen Zweitligisten gezeigt. "Er sagte: 'Habt ihr das gesehen? Es ist überall auf Tiktok!'", erklärte Spieler Ryan Curran dem "Belfast Telegraph". "Und wir dachten uns: Warum eigentlich nicht?". Auch ein Carrick-Spieler habe nach dem Spiel gefragt: "Habt ihr das von Tiktok?"

PSG beging ebenfalls keine Urheberrechtsverletzung. "Unsere U19 hat das im vergangenen Jahr in der Youth League gegen Salzburg gemacht. Bournemouth und Rayo Vallecano haben es ebenfalls gespielt", sagte Trainer Christophe Galtier nach dem 7:1 gegen Lille auf "Amazon Prime", wie ihn Eurosport zitiert.

Der Überraschungseffekt

Der Spielzug fasziniert einerseits, weil er wunderschön anzusehen ist. Und andererseits, weil es im Fußball höchst selten vorkommt, dass eine Kombination über mehrere Stationen derart häufig kopiert wird.

Das Erfolgsgeheimnis liegt wohl im Überraschungseffekt. So wie viele verschlafene Schüler und Schülerinnen von der ersten Schulstunde des Tages wenig mitbekommen, hoffen wohl auch viele Fußballer auf einen gemächlichen Start in die Partie. Die Phrasen "Klassische Abtastphase" oder "Die waren wohl noch mit dem Kopf in der Kabine" werden nicht umsonst überproportional oft verwendet. Dann fehlt nur noch ein etwas höher stehendes Team, das Räume zwischen der Abwehrreihe und dem Tormann anbietet. Und voilà, Weg frei!

Bournemouth ist stolzer Trendsetter.

"Sobald der Ball zum Spieler am Mittelkreis zurückgeht, war meine Aufgabe, so schnell wie möglich nach vorne zu sprinten", erklärte Cliftonville-Torschütze Ronan Hale. Die gegnerische Defensive habe nicht überrissen, was hier vor sich gehe. "Sie haben auf Abseits gehofft, aber dann war der Ball schon im Tor. Alles geschah unheimlich schnell."

Unbekannte Lebensdauer

Wie oft solche Tore noch zu sehen sein werden, ist offen. Denn der eine oder andere Abwehrspieler wird in den letzten Tagen und Wochen wohl auch den Spielzug entdeckt haben, Gegner werden sich also schwerer übertölpeln lassen. Daran glaubt auch Hale: "Es ist super, wie viele Teams das nun ausprobieren", sagt er. "Aber irgendwann werden die Verteidiger vorm Abstoß einfach ein Zelt im eigenen Sechzehner aufschlagen."

Bis es so weit ist, planen Sie ihre Toilettengänge bitte weiterhin sorgfältig ein, damit Sie diese traumhaften Tore nicht verpassen. So wie jenes am vergangenen Samstag, als das arme Northampton nach Spielbeginn überfallsartig überlistet wurde. Von wem? Der U16 des AFC Bournemouth. (Andreas Gstaltmeyr, 27.8.2022)