Russlands Präsident Wladimir Putin war selbst KGB-Agent und setzt auf die Spionagemacht seines Apparats.

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Dass Moskaus Arm weit in den Westen reicht, hat der Kreml bereits in den vergangenen Jahren bewiesen. Etwa durch Giftangriffe auf den Ex-Spion Alexander Litwinenko und auf Sergej Skripal in Großbritannien oder durch den Tiergarten-Mord in Berlin. Doch ein Dossier nach einer monatelange Recherche von Journalistinnen und Journalisten des deutschen "Spiegel", der italienischen "La Repubblica" sowie den Rechercheplattformen "Bellingcat" und "The Insider" zeigen, wie langfristig und tiefgehend russische Spione in westlichen Staaten agieren.

In dem großangelegten Dossier zeichnen die Medien bekannte Spionagefälle wie jenen von Herman Simm oder Anna Chapman nach. Simm war ein hochrangiger Beamter des estnischen Verteidigungsministeriums und lieferte über einen langen Zeitraum sensible Informationen an den russischen Auslandsgeheimdienst SWR. Chapman war eine von zehn Spioninnen, die 2010 in den Vereinigten Staaten enttarnt wurden. Das FBI sprach in einem Bericht vom "außergewöhnlichen Training" der jungen Frau, die eine "raffinierte Agentin Russlands" gewesen sei.

Pass aus Spezialserie

Auch die Spionagearbeit einer gewissen Maria Adela K. soll tiefgehend gewesen sein, wie die Investigativjournalisten aufdeckten. Denn unter dem Decknamen soll jahrelang eine 1982 in Südrussland geborene Frau mit dem Namen Olga Wassiljewna gelebt haben. Sie soll von den russischen Behörden unter anderem auf den Nato-Stützpunkt in Neapel angesetzt worden sein. Einen Beweis für ihr Agentendasein gibt es nicht, aber als wichtigstes Indiz legen die Medien vor, dass ihr russischer Reisepass aus einer Spezialserie stammt, die der militärische Geheimdienst GRU für seine Spione verwendet.

Der offizielle Lebenslauf der möglichen Fake-Person Maria Adela K. zeigt, dass sie als Tochter einer russischen Mutter und eines deutschen Vaters in Peru geboren wurde. 2005 wollte K. deshalb eine peruanische Staatsbürgerschaft beantragen, doch die Behörden in Lima wurden ob der vorgelegten Geburtsurkunde aus dem Jahr 1978 offenbar misstrauisch und verlangten weitere Dokumente. Eine Taufbescheinigung von 1978 war schließlich anscheinend gefälscht, denn die angeführte Kirchengemeinde wurde erst 1987 gegründet. Dass K. einen deutschen Vater anführt, sehen die Journalistinnen und Journalisten als Indiz, dass die Frau auch um eine deutsche Staatsbürgerschaft hätte ansuchen können, um in Deutschland zu spionieren.

Sekretärin in Nato-Lions-Club

Das Recherchekonsortium versuchte, ihre Bewegungen in Europa zu rekonstruieren und lokalisierten sie unter anderem 2014 zum ersten Mal in der Nähe der Nato und der US-Streitkräfte. Damals wurde sie Sekretärin eines Lions Club in Neapel, dem hauptsächlich Militärs angehören. Dabei war K. offenbar immer finanziell gut gestellt, obwohl ihr Schmuckgeschäft offiziell nicht gut gelaufen ist.

Die Nato- und US-Militärangehörigen waren zu ihrer Geburtstagsfeier eingeladen, sie war in einer Beziehung mit einem US-Soldaten. 2018 soll sie als Olga K. wieder in Moskau aufgetaucht sein. Ob und wie viele geheime Informationen sie an Russland lieferte, konnten die Rechercheure nicht herausfinden.

Spione mit diplomatischer Akkreditierung

Insgesamt 70 Menschen, die jahrelang unter Decknamen für den GRU und SWR in westlichen Staaten leben, soll es laut "Spiegel"-Recherchen geben. "Illegale" werden sie genannt. Doch die weitaus größere Zahl ist für die Botschaften und Konsulate Russlands tätig. In Deutschland sollen es 150 Spione sein, die eine diplomatische Akkreditierung haben. Sie zapfen das Wissen um sensible Informationen von Personen an, die in Deutschland in Schlüsselpositionen, etwa an Universitäten in der Forschung oder in der deutschen Bundeswehr, tätig sind.

Russische Hacker werden gleichzeitig zunehmend zur größten Gefahr für westliche Regierungen und Behörden. So installieren sie Schadcodes in sensiblen Bereichen von Infrastrukturunternehmen oder anderen großen Firmen. Auf Knopfdruck können diese aktiviert werden und etwa Steuer- oder Kontrollsysteme lahmlegen. Laut US-Ermittlern soll es der russischen Gruppierung Berserk Bear gelungen sein, in 17.000 Fällen solch eine Software zu installieren. Auch bei der Tochter des deutschen Energieriesen EnBW waren Spuren der Gruppe entdeckt worden.

Spionage in Deutschland

Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine soll Russland seine Bemühungen noch einmal intensiviert haben. Als Großbritannien und Deutschland ankündigten, ukrainische Armeeangehörige in ihren Ländern an gespendeten Waffensystemen auszubilden, registrierte der deutsche Militärische Abschirmdienst einige verdächtige Fahrzeuge rund um die Einrichtungen in Grafenwähr und Idar-Oberstein, wo die Ausbildungen stattfinden sollten.

Deutschland hat laut Fachleuten zu spät auf die russische Spionagebedrohung reagiert, wie der Recherchezusammenschluss konstatiert. Doch gewinnt das Thema immer mehr an Bedeutung. Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden im vergangenen Jahr 350 neue Stellen bewilligt. Unter anderem, um fremde Spione abzuwehren. (red, 26.8.2022)