So richtig gefallen hat ihr die Lehre zur zahnärztlichen Assistentin nicht. Als dann fünf Monate nach Beginn der Lehre ihre Mutter plötzlich verstarb, verfiel Manuela Videk in eine Schockstarre. Sie brach die Lehre ab und landete als lehrstellensuchend beim Arbeitsmarktservice (AMS). Dort erfuhr sie zum ersten Mal von der Möglichkeit der Überbetrieblichen Ausbildung (ÜBA). Dieses Angebot gibt es für Jugendliche, die trotz intensiver Bemühungen keine Lehrstelle in einem Lehrbetrieb finden können und die Schulpflicht abgeschlossen haben. Sie können in dementsprechenden Schulungseinrichtungen eine Berufsausbildung starten. Ziel ist es, schon während der Überbetrieblichen Ausbildung in einen Lehrbetrieb zu wechseln, es ist aber auch möglich, die gesamte Lehrzeit in einer außerbetrieblichen Einrichtung zu absolvieren.

Manuela Videk entschied sich für den Lehrberuf zur bautechnischen Assistenz in einer Einrichtung des BFI Wien. Und nach einem Lehrjahr hat sie den Wechsel geschafft. Ab September kann sie ihre Berufsausbildung beim Baukonzern Porr weitermachen. "Ich wollte unbedingt in einer Firma meine Lehre weitermachen und habe dafür jeden Tag Bewerbungen verschickt, auch an Porr mehrere", sagt sie. Eine Woche konnte sie dann im Unternehmen schnuppern, bevor sie übernommen wurde. Über die Möglichkeit, im Rahmen einer ÜBA die Berufsausbildung starten zu können, ist sie dankbar. "Die Leute helfen bei der Lehrstellensuche. Ich kann es nur weiterempfehlen", ergänzt sie. Jetzt freut sie sich aber schon auf die weitere Lehrzeit bei Porr.

Auch Porr ist zufrieden, einen Lehrling mit Vorbildung gefunden zu haben. "Von einer Lehrlingsverantwortlichen des BFI wurde uns Manuela Videk empfohlen", sagt Petra Karacs, Leiterin Lehrlingsmanagement der Porr. Die Zusammenarbeit mit den Ausbildungseinrichtungen des BFI bestehe schon seit Jahren. Die Porr habe in den vergangenen vier Jahren rund 40 ÜBA-Lehrlinge des BFI übernommen, darunter auch Erik Bilek, der bei den Austrian Skills 2021 gemeinsam mit Mathias Sieder den dritten Platz im Betonbau erzielen konnte, ergänzt sie. Für Karacs eine Win-win-Situation. "Denn Bewerbungsgespräche oder Aufnahmetests sind immer nur Momentaufnahmen, die Lehrlingsausbildner des BFI kennen ihre Lehrlinge besser."

In den überbetrieblichen Ausbildungsstätten des BFI Wien werden die praktischen Fertigkeiten gelernt, für die Theorie geht es an die Berufsschulen.
Foto: BFI/Sebastian Freiler

Zukunftsperspektive

Für das BFI Wien, das mit seinen überbetrieblichen Ausbildungsstätten zu den größten Lehrlingsausbildnern zählt, ist die ÜBA ein wichtiges Qualifizierungsinstrument für Jugendliche. "Im Juli kamen in Wien rund vier Jugendliche auf eine offene Lehrstelle. Die überbetriebliche Lehre kann einem Teil der Jugendlichen eine Zukunftsperspektive geben", sagt Franz-Josef Lackinger, Geschäftsführer des BFI Wien.

Mehr als die Hälfte der ÜBA-Lehrlinge sind in Wien. Ein Grund dafür: In den anderen Bundesländern hat sich der Lehrstellenmarkt gedreht, und es gibt mehr offene Lehrstellen als potenzielle Lehrlinge. Rein rechnerisch kommt laut den Zahlen des AMS auf zwei offenen Lehrstellen im Schnitt ein Bewerber. Dass sich diese offenen Lehrstellen nicht unbedingt mit den Berufswünschen der Jugendlichen decken, spiegelt sich auch in den Ausbildungsplätzen der ÜBA wider. Österreichweit lernten 728 Jugendliche dort einen Beruf aus dem Bereich Mechanik, 731 lernten im Berufsfeld Handel und 633 den Beruf Elektriker. Diese Berufe gehören schon seit Jahren zu den beliebtesten Lehrberufen aller Lehrstellensuchenden.

Theorie und Praxis

Rechtlich gesehen sind ÜBA-Lehrlinge allen anderen Lehrlingen gleichgestellt. Für die Praxis ist die überbetriebliche Bildungseinrichtung zuständig, die Theorie wird an den Berufsschulen vermittelt. Darüber hinaus sollen die Bildungseinrichtungen ihre Lehrlinge auch bei der Suche nach einem passenden Lehrbetrieb unterstützen. Und laut den Zahlen des AMS schaffen mehr als die Hälfte im Laufe der überbetrieblichen Ausbildung auch einen Übertritt in einen Lehrlingsbetrieb. Rechnet man die Zahlen derer heraus, die auch den Anforderungen der überbetrieblichen Ausbildung nicht gewachsen sind und die Ausbildung abbrechen, schafften im vergangenen Jahr gut 67 Prozent den Übertritt.

Kritikern, die behaupten, über diese Ausbildungsschiene würden potenzielle Lehrlinge dem Markt entzogen, hält der BFI-Wien-Geschäftsführer entgegen, dass zahlreiche junge Menschen nur deshalb in diesen Programmen landen, weil sie von den Unternehmen als "nicht lehrfit" erachtet werden. "Die Firmen stehen im permanenten wirtschaftlichen Wettbewerb und brauchen jede verfügbare Arbeitskraft, um konkurrenzfähig zu bleiben. Aktuell mehr denn je. Daher ist es auch nachvollziehbar, dass sie nicht die Zeit oder Mittel haben, um Jugendliche auf ein bestimmtes Einstiegsniveau zu heben oder die tatsächlich in den jungen Menschen schlummernden Talente entdecken zu können", so Lackinger. "Mit der überbetrieblichen Lehre haben wir ein erprobtes Vehikel, das diese Funktion übernimmt. Sehr erfolgreich, wie nicht nur die Ergebnisse bei Berufsmeisterschaften zeigen."

Die Kosten

Im Ausbildungsjahr 2022/2023 kostet ein durchschnittlicher Ausbildungsplatz in der Überbetrieblichen Lehrausbildung 17.532 Euro pro Jahr. Dafür sind für die überbetriebliche Lehrausbildung insgesamt bis zu 203,4 Millionen Euro budgetiert, heißt es aus dem Büro von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP). Dass sich diese verhältnismäßig hohen Ausbildungskosten rechnen, zeigt eine 2018 erstellte Studie im Auftrag des BFI Wien. Bereits nach vier Jahren hätten sich die Ausbildungskosten amortisiert. Dafür wurden die Berufslaufbahnen von Jugendlichen, die 2008/09 in eine ÜBA eintraten, mit beruflichen Werdegängen gleichaltriger Jugendlicher, die nur über einen Pflichtschulabschluss verfügten, verglichen. Neben einem höheren Einkommen waren ÜBA-Lehrling deutlich seltener arbeitslos gemeldet. (Gudrun Ostermann, 27.8.2022)