"Dreißig", brüllt Zinat in die Richtung ihrer Lehrerin: "Äh nein, thirty mein ich natürlich", bessert sie sich selbst schnell aus. "That is correct", lobt Radojka Radić und drückt dem Mädchen einen kleinen, schwarz-weiß karierten Ball in die Hand. Jetzt muss die Elfjährige nur noch in den Plastikeimer treffen, dann hat sie für ihr Team einen Punkt im "Math-Game" geholt. Verschossen. Verdammt. Die Gruppe auf der anderen Seite des Klassenzimmers jubelt. Kein Punkt für die Konkurrenz. Sie sind noch im Spiel, auch wenn sie hinten liegen.

Zinat besucht mit 100 anderen Kindern seit einer Woche die Sommerschule in der Neuen Mittelschule Enkplatz 4/1 im elften Bezirk in Wien. In der Bundeshauptstadt, in Niederösterreich sowie im Burgenland ist für rund 17.550 Kinder der Unterricht bereits angelaufen. Im Rest des Landes startet die Sommerschule am Montag. Insgesamt sind laut den Zahlen des Bildungsministeriums 36.689 Kinder für einen Ferienlernplatz angemeldet.

Zwei Fächer zu je zwei Stunden absolvieren die Kinder und Jugendlichen pro Tag in der Sommerschule am Enkplatz. In ihrer großen Hofpause können sie sich austoben.
Foto: Christian Fischer

Die Schülerinnen und Schüler, die zwei Wochen vor dem eigentlichen Unterrichtsbeginn bereits die Schulbank drücken müssen, haben Defizite in Mathe, Englisch oder Deutsch. Ziel des 2020 von der türkis-grünen Bundesregierung gestarteten Projekts ist die Wiederholung und Vertiefung von Lerninhalten eines oder mehrerer vergangener Schuljahre und damit die Vorbereitung auf den Herbst. Ursprünglich waren 120 der 450 Kinder in der Schule am Enkplatz dafür angemeldet. Ein paar sind aber nicht aufgetaucht, wie Direktorin Martina Vogel-Waldhütter erzählt.

Förderung in Englisch

In Zinats mittlerweile zweiter Englischeinheit werden an diesem Vormittag die Zahlen wiederholt. Nachdem Pädagogin Radić und die Kinder, die im vergangenen Schuljahr eine erste Klasse besucht haben, gemeinsam auf der Tafel und in ihren Heften die englischen Begriffe aufgeschrieben haben, wird wiederholt und an der korrekten Aussprache gearbeitet – mit einem Spiel.

Radić stellt den Kindern dafür Matheaufgaben: Die Teams treten in Plus- und Minusrechnungen, Multiplikationen und Divisionen gegeneinander an. Die Fragen sind auf Englisch, auch das Ergebnis muss – möglichst schnell – in der Fremdsprache kundgetan werden.

Generell spricht Radić während der gesamten Einheit fast nur Englisch mit ihren Schülerinnen und Schülern. Wenn etwas unklar ist oder neue Wörter hinzukommen, übersetzt sie ins Deutsche: "Am Anfang waren sie überfordert. Aber sie gewöhnen sich wirklich rasch daran, heute hat es schon super funktioniert. Sie antworten mir auch bereits auf Englisch."

Freude am Lernen

Der Grund für die Zahlenspiele in ihrem Unterricht: In ihrer ersten Einheit mussten sich die Kinder per Brief vorstellen, viele hätten bei den Zahlen Probleme gehabt. "Ich wollte es aber nicht nur trocken an der Tafel durchgehen, sondern auch etwas Interaktives mit den Kindern machen – etwas, woran sie Freude haben", sagt Radić.

"Numbers" übt Lehrerin Radojka Radić mit ihrer Gruppe.
Foto: Christian Fischer

Das ist aber auch aufwendiger – und vor allem langwieriger – als einfach nur ab- und aufzuschreiben. "Der Unterricht in der Sommerschule sollte dafür genutzt werden, Dinge mit den Kindern zu machen, für die man im Regelunterricht einfach keine Zeit hat", sagt die Lehrerin.

"Kein Zeitstress", das sei der große Unterschied zur normalen Schule, sagt auch Direktorin Vogel-Waldhütter – und natürlich die kleineren Gruppen. Täglich von acht bis zwölf Uhr wird gelernt. Die Einheiten dauern doppelt so lange wie sonst. Zwei Fächer zu je zwei Stunden gehen sich so pro Tag aus. In der ersten Einheit wird das Level gecheckt.

Pandemie verschärfte Probleme

Bereits zum Schulschluss sei allerdings mit den Kindern und deren Eltern besprochen worden, wem die zusätzlichen zwei Wochen Unterricht guttun würden, erklärt Direktorin Vogel-Waldhütter. In ganz Österreich stehen ab kommender Woche je 1449 Lehrende sowie Studierende verfrüht in den Klassen. In der Schule am Enkplatz sind für zwölf Lehrerinnen und Lehrer die großen Ferien schon vorbei. Für diese sei die Gruppe der Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache die größte Herausforderung, sagt Vogel-Walhütter, da unter ihnen die Wissensstände so unterschiedlich seien. "Das Spektrum reicht von Kindern, die erst im Mai gekommen sind, bis zu denen, die knapp an der Grenze sind, als ordentliche Schüler am Unterricht teilzunehmen", sagt Vogel-Waldhütter. Die vergangenen zweieinhalb Jahre Pandemie hätten vor allem bei diesen Kindern ihre Spuren hinterlassen. Im Unterricht hätten die Lehrenden erkannt, dass manche Kinder, die mit Deutsch als Zweitsprache bis dahin eigentlich gut zurechtgekommen seien, nach dem Homeschooling plötzlich mehr Schwierigkeiten mit der Sprache gehabt hätten. So hätten sie vermehrt Worte in ihren Muttersprachen in Gespräche gemischt oder sich bei der mündlichen Mitarbeit zurückgezogen.

Nachprüfung

Auch Arbeitsblätter müssen ausgefüllt werden.
Foto: Christian Fischer

Während im Erdgeschoß beim Mathe-Quiz Bälle durch das Klassenzimmer fliegen, müssen im ersten Stock Arbeitsblätter ausgefüllt werden. Die Jugendlichen, die in zwei Wochen in die dritte Klasse aufsteigen, müssen erst Adjektive in einem Text, dann deren Steigerungsformen finden.

Eine Gruppe Buben hat sich dafür in der ersten Reihe zusammengesetzt. Die drei geben einander Hinweise, was wohl in das Arbeitsblatt gehören könnte. Deutsch sei gar nicht das große Problem, sagt einer von ihnen. Bei dem 13-jährige Saman sei es in Englisch nicht ganz rund gelaufen, erzählt er. Einen Vierer habe er schlussendlich im Zeugnis gehabt. "Zum Glück – es war knapp", sagt er. Denn sonst hätte er eine Prüfung "über den Stoff vom ganzen Jahr" machen müssen.

Bei rund 15 Kindern und Jugendlichen der Mittelschule am Enkplatz hat es jedoch nicht gereicht. Sie müssen bei der Nachprüfung vor dem Schulstart noch einmal ihr Wissen unter Beweis stellen, um in die nächste Schulstufe aufsteigen zu können. Alle von ihnen bereiten sich derzeit in der Sommerschule darauf vor.

Spielend strebern

Der Unterricht darf auch spielerisch sein.
Foto: Christian Fischer

Die Schülerinnen und Schüler, die gerade Deutsch büffeln, haben es alle geschafft. Wiederholen müssen sie den Stoff trotzdem. Auch wenn sie es nicht immer mitbekommen würden, erzählt Deutschlehrerin Natalia Detkova.

Am Vortag hätten sie im Unterricht Stadt, Land, Fluss gespielt, allerdings war man auf der Suche nach Nomen, Adjektiven und Verben. "Wir haben auch viele Sprachförderübungen, wo sie gar nicht erkennen, dass sie gerade lernen. Sondern es als Spielen wahrnehmen – trotzdem wiederholen sie Worte und festigen sie." Die meisten Mängel hätten die Kinder nämlich im Wortschatz.

Während der Spiele würden die Kinder richtig "aufblühen", sagt Detkova. Sie würden dann die Zeit gar nicht als Schule wahrnehmen. Auch für Saman ist es "okay", dass seine Ferien kürzer sind als die von anderen aus seiner Klasse. "Es dauert ja nur bis zwölf, dann können wir noch immer etwas anderes machen."

Kurz vor der Hofpause hat Zinats Team im Erdgeschoß das Spiel für sich entschieden. Auch wenn es knapp war. Die Elfjährige freut sich. Warum sie im Sommer in der Schule ist? "Wegen meiner Mutter und wegen Mathe", sagt sie knapp. Die Rechenaufgaben im Englischunterricht seien aber leicht gewesen. Ihre Teamkollegin und Freundin Armita hat das gleiche Problem. Die Zwölfjährige sei aber freiwillig früher in die Schule gekommen, sagt sie. Am Montag werden die Gruppen noch einmal die Zahlen durchgehen. Lehrerin Radić will eine Runde Bingo mit ihnen spielen. (Oona Kroisleitner, 27.8.2022)