Die Personalnot in der Gastronomie wundert Norina Puffer, die in Wien als Kellnerin arbeitet, nicht. In ihrem Gastkommentar nennt sie mögliche Ursachen.

Wirtshäuser haben unfreiwillige Schließtage oder beschränkten Service, weil sie kein Servierpersonal mehr finden. Wer durch die Stadt geht, entdeckt in zahlreichen Lokalen "Kellner/in gesucht!"-Schilder.

Die Situation der Gastronomie ist seit der Pandemie überall Thema: Zu wenig Personal, alle Wirtshäuser suchen nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, es gibt unangenehme Teildienste, bezahlt wird ein viel zu geringer Mindestlohn und lange Arbeitszeiten sind nur einige Schlagworte. Dass dieses Problem aber schon lange vor der Pandemie bestand, ist nur wenigen klar. Der Ruf einer weiblichen Servicekraft ist sowieso längst im Keller – im Gegensatz zum "Fräulein" hat der "Herr Ober" ja zumindest eine Zeitlang einen gewissen Respekt bekommen.

Foto: Fatih Aydogdu

Ich arbeite seit mehr als 15 Jahren in der Gastronomie. Eigentlich kam auch ich mit einer ganz anderen Ausbildung in die Branche, bin aber dann aus Leidenschaft "hängen" geblieben. Mein Beruf macht mir Spaß, doch immer wieder treffe ich auf enttäuschte Blicke, wenn ich sage: "Ich bin Kellnerin." Antworten wie "Oh, hast du nichts Besseres gefunden" sind leider Alltag. Dass ich in meiner Arbeit aber mehrere Bereiche zugleich abdecke und sie mehr ist, als ein Dutzend Bierkrüge zu transportieren, sieben heiße Teller auf einmal zu balancieren und zu wissen, ob die Trauben für den Wein biologisch angebaut wurden, sehen die wenigsten.

Soziale Kompetenz

Soziale Kompetenz, organisatorisches Talent und nicht zuletzt psychologisches Einfühlungsvermögen sind zum Job gehörende Eigenschaften, die sich der allgemeinen Wahrnehmung entziehen. Man ist Sozialarbeiterin, Lebensberaterin, Gute-Laune-Animateurin und braucht nicht nur das Zeug zum Rechnen, Tischeverschieben und die Kraft, schwere Tabletts zu tragen, sondern auch ein selbstbewusstes Auftreten. Man muss sich flexibel den unterschiedlichsten Herausforderungen stellen können, belastbar und stressresistent sein.

Aber lassen wir einmal das gesellschaftlich schlechte Image beiseite und kommen zu einem nicht unwesentlichen Punkt, nämlich zu der geringen Entlohnung: Zahlreiche Gastronomiebetriebe zahlen immer weniger und verzichten auf Können und Erfahrung. Gerechtfertigt wird dies damit, "dass es ja eh Trinkgeld gibt". Dass dies jedoch der Freiwilligenbonus für einen guten Service sein soll, gerät dabei in Vergessenheit. Mittlerweile ist das Trinkgeld für die meisten von uns zwingend notwendig, um überhaupt einmal die Fixkosten zahlen zu können.

Der Kollektivvertragslohn ist alles andere als üppig. Trinkgelder sollten nicht als Lohnersatz herhalten müssen. Aber viele Betriebe haben sich über Jahre auf diese Weise schlicht einen schlechten Service und einen Mangel an motivierten Lehrlingen anerzogen – nicht weil die Jugend faul ist oder nicht mehr arbeiten will, sondern weil Qualität auch einen Wert hat. Man bekommt das, was man bezahlt – eine Faustregel, die auch überall sonst ihre Gültigkeit hat.

Hohe Fluktuation

Mir wurden zum Beispiel Arbeitsmöglichkeiten für einen Stundenlohn von vier Euro und Umsatzbeteiligung angeboten. Ja, das kann gutgehen, wenn mal viel los ist, aber damit kann sich niemand eine Zukunft aufbauen. Die Fluktuation in unserer Branche war deshalb schon vor der Pandemie sehr hoch – den meisten Betreiberinnen und Betreibern war es vor allem wichtig, billige Arbeitskräfte anzustellen – Erfahrung und Leidenschaft sind da Nebensache. So braucht man sich nicht zu wundern, dass eine ganze Berufsgruppe zu einem Nebenjob verkommen ist und die allerwenigsten jungen Menschen ihre hauptberufliche Zukunft in der Gastronomie attraktiv finden.

Dann sind da noch die Arbeitszeiten, die sich oft schlecht mit Familie und Alter vereinbaren lassen – seien es Sonn- und/oder Feiertagsdienste oder unbezahlte Bereitschaftsdienste. Nicht selten werden ausgemachte Arbeitszeiten überschritten, eine Arbeitswoche in der Gastronomie hat oft weit mehr als 40 Stunden.

In der Gastronomie arbeiten bedeutet körperlichen Einsatz, stets volle Konzentration und obendrauf immer ein Lächeln auf den Lippen. Wenn sich dann der eine oder andere Gast im Ton vergreift, fällt es oft schwer, Letzteres professionell und vor allem ehrlich umzusetzen.

Berufsbild aufwerten

Wir sollten das Licht eines Berufes, der in unserer Gesellschaft eigentlich eine wesentliche Rolle spielt, nicht länger unter den Scheffel stellen. Nicht zuletzt, weil es uns alle etwas angeht. Wer von uns geht nicht gern in ein Wirtshaus und freut sich neben guter Küche auch über freundliches und kompetentes Personal? Ist es nicht sogar so, dass die aufmerksame Kellnerin, der aufmerksame Kellner uns immer wieder ins selbe Restaurant gehen lässt oder auch im Umkehrschluss der schlechte Service, der einem den Tag vermiest, uns wegtreibt? Wir sollten dieser Berufsgruppe nicht so wenig Respekt entgegenbringen. Wenn wir dieser Tätigkeit weiter den Stempel "billiger Nebenjob" aufdrücken, werden wir genau das und nicht mehr dafür bekommen.

Dabei könnte Kellnerin und Kellner ein Traumberuf sein. Es ist eine abwechslungsreiche und anspruchsvolle Arbeit, die wesentlich mehr beinhaltet, als nur ein Glas abzustellen. Wenn wir endlich anfangen wollen, das Berufsbild entsprechend wertzuschätzen, müssen wir als Gesellschaft bereit dazu sein, es auch entsprechend zu entlohnen. Ein bisschen Trinkgeld ist zu wenig. (Norina Puffer, 28.8.2022)