Durch das neue Mikrodatenzentrum an der Statistik Austria sollen Wissenschafterinnen und Wissenschafter Zugang zu von der öffentlichen Hand erhobenen Daten bekommen.
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Es ist eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Digitalisierung, dass von jedem und jeder von uns eine Unmenge an Daten gesammelt und gespeichert werden. Auch die Digitalisierung der Verwaltung schreitet zunehmend voran, wodurch sich die Datenschatzkammern der Behörden immer mehr füllen. Während dieser Schatz in vielen anderen Ländern schon längst gehoben wird, indem wissenschaftliche Einrichtungen Zugang zu diesen Daten erhalten, wurde die Verwendung für Forschungszwecke in Österreich lange restriktiv gehandhabt.

Bedenken von Datenschützern zum Trotz und nach internationalen Vorbildern ausgerichtet, nahm mit 1. Juli schließlich das österreichische Mikrodatenzentrum (Austrian Micro Data Center, AMDC) seinen Betrieb auf, das an der Statistik Austria angesiedelt ist. Ausgewiesene Forschungseinrichtungen können unter strengen Datenschutzauflagen Zugang zu sogenannten Mikrodaten bekommen. Bei Mikrodaten handelt sich um anonymisierte Daten, die sich auf Einzelpersonen beziehen und nicht etwa auf Gruppen. Die Anonymisierung dient dazu, Rückschlüsse auf Einzelpersonen zu verhindern.

Martin Polaschek präsentierte in Alpbach ein neues Förderprogramm für Mikrodatenforschung.
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"Wichtigste Reform der letzten Jahre"

Der Forschungsgemeinschaft über das AMDC Zugang zu Mikrodaten zu ermöglichen, ist für Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP) "die wichtigste Reform der letzten Jahre in diesem Bereich", wie er am Rande der dieswöchigen Technologiegespräche im Zuge des Europäischen Forums Alpbach betonte. "In anderen Ländern gibt es das schon, wir schließen mit dem Austrian Micro Data Center jetzt zum internationalen Standard auf." In Alpbach präsentierte der Minister auch ein neues Förderprogramm, das mit neun Millionen Euro dotiert ist und die Datenforschung in Österreich gezielt fördern soll.

Laut dem Generaldirektor der Statistik Austria Tobias Thomas finden sich im Mikrodatenzentrum inzwischen 59 Datensätze, darunter etwa Mikrodaten zu den Volkszählungen, Daten zu Einkommen und Lebensbedingungen in Privathaushalten oder eine europäische Erhebung über den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in österreichischen Haushalten. Im Fall des Österreichischen Krebsregisters reichen diese bis ins Jahr 1983 zurück, in der Konsumerhebung sind beispielsweise Informationen zu ganzen 1.186 einzelnen Variablen – vulgo Produkten – enthalten. Die Informationen betreffen Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Steuer- und Unternehmensdaten, demografische Kennwerte sowie Informationen zur Migration oder Binnenwanderung und sozioökonomischen Erhebungen.

Tobias Thomas ist Generalsekretär der Statistik Austria.
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Große Zusammenhänge erforschen

Bei der Registerforschung gehe es keineswegs um Fallstudien zu einzelnen Individuen oder Firmen, hier biete sich vielmehr die Chance, größere gesellschaftlich-wirtschaftliche Fragestellungen derart zu beantworten, dass Ursachen und Auswirkungen miteinander verknüpft werden können, sagte Thomas in Alpbach. So etwa die oft diskutierte Frage, wie sich Bildungserfolg auf den Erfolg am Arbeitsmarkt auswirkt oder welche Wirkungen Unternehmensförderungen erzielen. Die neuen Möglichkeiten "werden dem Wissenschaftsstandort sehr gut tun" und voraussichtlich zu vielen hochkarätigen wissenschaftlichen Publikationen führen, zeigte sich Thomas überzeugt.

Zugriffsberechtigt sind nach vorangegangener Akkreditierung ausgewiesene Forschungseinrichtungen – das sind etwa im Gesetz definierte Institutionen wie zum Beispiel Universitäten, die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) oder das Austrian Institute of Technology (AIT). Die strengen Voraussetzungen zum Zugang zu Daten, wie etwa pseudonymisierten Informationen aus dem Melderegister oder dem Bildungsstandregister, definiert das Bundesstatistikgesetz.

Forschung im "virtuellen Arbeitszimmer"

Wird eine Forschungsfrage formuliert, können die dafür notwendigen Informationen beantragt werden. Dazu bracht es eine Begründung. Der dann eigens erstellte "Forschungsdatenkörper" wird nach einer Prüfung aufgesetzt. In einem "virtuellen Arbeitszimmer" können Forschende dann Berechnungen durchführen. Die Daten bleiben immer bei der Statistik Austria, Zugang haben nur die speziellen Forschungseinrichtungen. Bevor Publikationen basierend auf diesen Daten veröffentlicht werden, kontrolliert die Statistik Austria, ob Datenschutzverstöße vorliegen.

Das AMDC "gehört befüllt", sagte Polaschek. Sein Ressort hat nun eine Verordnung auf Basis des Forschungsorganisationsgesetzes in Begutachtung geschickt, das den Zugang zu Daten des Bildungsministeriums regelt. Darin enthalten sind etwa Informationen zur Prüfungsaktivität an Hochschulen oder das Schulformenregister. Noch im Herbst könnten damit erste Mikrodaten aus der Bundesverwaltung im AMDC angeboten werden.

Stärkung für evidenzbasierte Politik

Polaschek geht davon aus, dass das Zentrum auch dazu beitragen wird, in der Politik evidenzbasierter entscheiden zu können. Für Aufbau und Betrieb stellt das Bildungsministerium zu Beginn jährlich 500.000 Euro zur Verfügung. Dazu kommen Gelder von den Forschungsinstitutionen für die Nutzung der Services.

Da es sich hier um "aufwendige Forschung" handle, arbeite die ÖAW aktuell an der Umsetzung eines neuen Förderprogrammes für "datengetriebene Forschung über die Gesellschaft". Dotiert ist dieses mit neun Millionen Euro aus dem neu eingerichteten Fonds Zukunft Österreich (FZÖ), erklärte Polaschek.

Startschuss für österreichisches Haushalts-Panel

Im kommenden Jahr soll auch der Startschuss für das "ASEP – Austrian Socio-Economic Panel" erfolgen. Dafür stellt das Bildungsministerium der Statistik Austria bis zum Jahr 2026 fünf Millionen Euro bereit. Dahinter verbirgt sich eine umfassende, repräsentative Stichproben-Befragung von im Vollausbau rund 5.000 Haushalten jährlich. Diese umfasst die Bereiche Familie, Migration, Bildung und die wirtschaftliche Situation im Haushalt.

Hier ergeben sich Möglichkeiten für langfristige Vergleiche und neue Einsichten in die Gesellschaft. Anhand der Daten können Forschende gewissermaßen einen Einblick in den Verlauf des Lebens der Menschen in Österreich erhalten.

Die Pilot-Befragungswelle startet im kommenden Jahr. Erfassen könne man so zum Beispiel, wie es um die gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten hierzulande bestellt ist oder wie sehr beruflicher Erfolg mit dem sozioökonomischen Hintergrund des Elternhauses zusammenhängt. Das Haushaltspanel sei für Österreich ein "Meilenstein", zeigte sich Thomas überzeugt. Immerhin gibt es in den USA ein solches seit 1968 und in Deutschland seit 1984. Auf Basis der Umfrage entstünden alleine in Deutschland pro Jahr mehr als 400 wissenschaftliche Publikationen. (trat, Apa, 28.8.2022)