Die Gamescom 2022: Abgespeckt und weniger BesucherInnen

Foto: Koelnmesse GmbH, Harald Fleissner

Als ich Ende August 2019 nach einer aufregenden Gamescom meinen Rückflug aus Köln antrat, hätte ich nicht gedacht, dass ich erst drei Jahre später wieder vor Ort bin. Die Corona-Pandemie kam für die Organisatoren der Messe zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Mit 373.000 BesucherInnen erzielte der Verband der deutschen Games-Branche bei der bis dato letzten Auflage einen neuen Besucherrekord, Tickets für alle Tage waren bereits vor Beginn des mehrtägigen Events ausverkauft.

Was hat sich seither getan? Die Gamescom fand 2020 und 2021 zwar statt, jedoch nur digital und daher auch mit deutlich weniger Aufmerksamkeit. Ein Lichtblick bei beiden Online-Ausgaben war immerhin die Opening Night Live (ONL) – eine im Jahr 2019 eingeführte knapp zweistündige Show, bei der neue Spiele und Updates zu bereits angekündigten Games vorgestellt werden.

Die ausverkaufte Halle 6 bei der Gamescom Opening Night Live am Dienstag
Foto: Koelnmesse GmbH, Oliver Wachenfel

Hohe Kosten, viele Absagen

Blicken wir auf die diesjährige Ausgabe der Gamescom, so stand die Messe von Anfang an unter keinem wirklich guten Stern. Die Ticketpreise stiegen um bis zu 100 Prozent an, gleichzeitig verkündeten große Publisher wie Sony, Nintendo, EA oder Activision Blizzard, dass sie aus verschiedenen Gründen diesmal nicht dabei sein konnten bzw. wollten. Inwieweit diese Absagen lediglich eine einmalige Ausnahme waren und womöglich auch einfach mit dem Faktor "Pandemie" zusammenhingen, wird sich 2023 zeigen, sie sollten jedoch zumindest als Alarmsignal gesehen werden.

Immerhin: Bei der Opening Night Live war man mit 2.000 Gästen ausverkauft, die Tickets für die Show kosteten aber stolze 29 Euro. Für die Besuchertage Donnerstag bis Sonntag wurden im Vorfeld von den Organisatoren lediglich 60.000 verkaufte Tickets binnen einer Woche nach Vorverkaufs-Start angegeben, weitere Wasserstandsmeldungen blieben jedoch aus und deuteten auf einen verhältnismäßig schlechten Ticketverkauf hin. Ausverkauft war bis auf die ONL heuer kein Besuchertag.

Indies regieren

Die Gründe für das Ausbleiben der Zuschauermassen liegen auf der Hand: Bekam man als Privatbesucher im Jahr 2019 am Gamescom-Samstag noch Spiele wie "Borderlands 3" (2K), "Call of Duty: Modern Warfare" (Sony PlayStation), "Luigis Mansion 3" (Nintendo) oder "FIFA 20" (EA) um 19,50 Euro zu sehen, so kostete das Samstags-Ticket heuer 30,50 Euro – und das bei deutlich weniger anwesenden Publishern und damit auch gleichzeitig weniger Anspiel-Möglichkeiten.

Eine gesamte Entertainment-Halle, die 2019 noch mit riesigen Ständen gefüllt war, blieb heuer leer. Das flächenmäßig größte Areal der Gamescom 2022 stellte die Indie Arena Booth – ein Bereich, in dem die "kleinsten" Entwickler die Möglichkeit zur Präsentation bekommen. Für mich, der seit jeher auch ein Faible für kleine, meist unentdeckte Perlen, hat, war das selbstverständlich kein Problem, die größte Videospielmesse der Welt braucht aber dennoch auch die Zusage der Big-Player – und die blieb heuer aus.

So viel Platz am Hauptgang einer Entertainment-Halle suchte man 2019 vergeblich.
Foto: DB Photography / David Bitzan

Videospielmesse ohne Videospiele?

Doch was soll’s? Für viele BesucherInnen stehen die Videospiele bei einer Videospielmesse aber scheinbar ohnehin nicht mehr im Vordergrund. Klingt absurd, ist aber so. Hierfür folgendes Zitat aus der öffentlichen Facebook-Gruppe "Gamescom 2022": "Anscheinend bleiben doch nicht alle Streamer fern?! Die Messe wird immer besser!" Die Qualität der Gamescom wurde in diesem konkreten Beispiel also anhand der vor Ort anwesenden InfluencerInnen beurteilt, ohne dass die Messe überhaupt begonnen hatte.

StreamerInnen bzw. InfluencerInnen, durften und wollten beim Höhepunkt des Gaming-Jahres selbstverständlich nicht fehlen. Und genau diese Szene ist es auch, die seit der letzten Gamescom wohl am meisten gewachsen ist. Speziell in der Anfangsphase der Corona-Pandemie erlangten Twitch-Streams eine unglaublich hohe Aufmerksamkeit, Spiele wie "Among Us" oder "Gartic Phone" brachten InfluencerInnen zusammen, die zuvor eher alleine gestreamt haben. Heuer gab es für die Viewer der Streams zum ersten Mal wieder die Möglichkeit, die "Stars" live zu treffen und Fotos bzw. Autogramme zu ergattern.

Nicht selten war die Schlange der Autogramm-Zonen heuer länger als jene praktisch aller Spiel-Bühnen. Das ist natürlich per se kein Problem, jede/r hat seine/ihre eigenen Motive und Ziele für den Messebesuch. Ich selbst bin auch ein begeisterter Zuschauer zahlreicher StreamerInnen. Das Problem ist nur: Für Meet and Greets mit InfluencerInnen braucht es "leider" keine Gamescom. Rücken bei einer Videospiel-Messe die Videospiele in den Hintergrund, ist das kein gutes Zeichen.

Streamer-Star "Montanablack88" (bis zu 60.000 Live-ZuschauerInnen auf Twitch) konnte die Gamescom am Samstag nur in Begleitung von zahlreichen Securities betreten.
Foto: Stefan Srauss

In Zukunft eher digital statt analog?

Dass eine rein-digitale Version eines Gaming-Festivals ebenfalls funktioniert, zeigt das Summer Game Fest, das ebenfalls von Geoff Keighley ins Leben gerufen wurde. Dieses bündelt jährlich im Juni die Präsentationen zahlreicher Publisher, sämtliche Ankündigungen finden aber lediglich digital und in eigens gebrandeten Showcases statt. Die Begründung der größten Publisher, eigene Präsentationen á la "Sony State of Play" oder "Xbox Showcase" abzuhalten, ist logisch: Immerhin bekommt man auf diese Weise die maximale Aufmerksamkeit der Fans.

Ich persönlich hoffe stark, dass die Gamescom auch in Zukunft bestehen bleibt, wenngleich digitale Varianten wie das Summer Game Fest mittlerweile ebenfalls sehr gut funktionieren und für Publisher immer attraktiver werden. Auch bin ich der Überzeugung, dass die Videospiel-Kultur eine analoge Convention braucht. Die Messe ist immerhin auch dazu da, um eine Woche lang das große Hobby "Gaming" hochleben zu lassen, sich mit "Gleichgesinnten" auszutauschen und gleichzeitig einen Blick in die Zukunft der Branche zu werfen.

Kreatives und hochwertiges Cosplay durfte auf der Gamescom nicht fehlen.
Foto: DB Photography / David Bitzan

Die gute Nachricht zum Schluss: Mit dem Termin 23. bis 27. August 2023 ist die nächste Gamescom bereits bestätigt worden. Hoffen wir, dass es nicht die letzte wird. (Stefan Strauss, 28.8.2022)