Sly Stallone verdingt sich als Superheld außer Dienst bei der Müllabfuhr. Javon Walton als Sam motiviert ihn, sich wieder seiner Kräfte zu bedienen.

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Welchen Beruf würde ein über 70-jähriger Superheld ausüben, der inkognito bleiben möchte? Müllmann – wo sonst kann er seine übermenschlichen Kräfte einsetzen und seinen Dienst an der Gesellschaft tun? An Pension ist im sozial ausgebluteten Granite City nicht zu denken, und das würde der von Sylvester Stallone gespielte Superheld mit dem Decknamen Joe Smith auch nicht wollen. Sein Job kommt seinem Hobby zugute, denn er stierlt gern im Mist, um weggeworfene Geräte wieder zu reparieren.

Der 13-jährige Sam (Javon Walton) wohnt im selben Block wie Joe und interessiert sich für Granite Citys mythische Superhelden Samaritan und Nemesis. In einem spektakulären Kampf sollen die ungleichen Brüder ums Leben gekommen sein. Doch es kursieren Gerüchte, dass Samaritan noch lebt. Der "gute Samariter", der die Probleme Sams, seiner als Krankenschwester dauerschuftenden Mutter (Dascha Polanko) und der Stadt lösen kann, ist das Wunschbild der Halbwaise Sam.

Granite City brodelt nur so von sozialen Konflikten und gleicht damit Gotham City, wie wir es aus The Joker kennen. Doch Samaritan auf Amazon erzählt nicht aus der Perspektive eines größenwahnsinnigen psychisch Kranken, sondern aus der kindlichen Sicht Sams, der keineswegs blind für die Gefahren seines Umfelds ist, ihnen aber auch nicht auskommt.

Symbolik der 1980er

Denn da seine ehrlichen Versuche, Geld zu verdienen, nicht fruchten, lässt er sich auf dubiose Jobs ein und kommt mit echten Bösewichten in Kontakt, die, hier endet der Kinderfilm, vor krasser Gewalt nicht zurückschrecken. Ihr Anführer Cyrus (Pilou Asbæk) ist Nemesis-Fan. Sein Rudel besteht aus tätowierten Punks, sein Ziel ist, einen sagenumwobenen Plan Nemesis’ umzusetzen und die bestehende Ordnung zu stürzen.

Nemesis, so erklärt er Sam, habe nie nach unten, nur nach oben getreten. Und wo Samaritan für den Erhalt des Status quo eingetreten sei, wollte Nemesis eine Revolution auslösen. Dass Samaritan blau, Nemesis rot und mit einem Hammer bewaffnet ist, bedient wissentlich die ideologische Symbolik der 1980er-Jahre.

Ronald-Reagan Ära

Diese sind dem Film nicht nur wegen Stallone anzusehen, dessen jüngeres Ich mittels verschwommenen Deep Fakes im Rückblick zu sehen ist. Die weitgehend generische Ästhetik schwelgt in Bezügen auf Filme der beginnenden Ronald-Reagan-Ära und des DC-Universums: dunkel, dreckig, Armut, Gewalt, eine gute Mutter, ein neugieriges Kind, böse Punks und einer, der aufräumt. Stallone spielt Joe mit großväterlicher Ruppigkeit, harte Schale, weicher Kern: Uhren reparieren kann er genauso wie seine Kräfte für actionreiche Kampfszenen reaktivieren.

Ein Charakter-Twist am Ende destabilisiert die brüchigen Kategorien von Gut und Böse, und man erfährt: Gut oder böse sein ist keine Wesenheit, sondern zeigt sich im Handeln. Und ein Superheld ist auch kein Garant für soziale Gerechtigkeit. (Valerie Dirk, 29.8.2022)