Das ÖFB-Team von Ralf Rangnick soll bei großen Turnieren nicht nur dabei sein, sondern "eine Rolle spielen". Ob die Kickergeneration eine goldene ist, werde die Zukunft zeigen.

Foto: IMAGO/Steffen Proessdorf

Am Sonntag weilte Österreichs Fußballteamchef Ralf Rangnick in Wien. Seine Ära hatte im Juni mit einem 3:0 in Kroatien begonnen, es folgten ein 1:2 und 0:2 gegen Dänemark, dazwischen lag ein 1:1 gegen Weltmeister Frankreich.

Am 22. September gastiert die ÖFB-Auswahl in Paris, drei Tage später wird die Nations League in Wien gegen Kroatien finalisiert. Das Interview war ein Gruppengespräch, neben dem STANDARD nahmen die "Presse" und laola1.at teil.

STANDARD: Wir leben in Zeiten von Krieg, Pandemie, Teuerung, Energiekrise. Gleichzeitig vermeldet die Premier League einen neuen Transferrekord, 1,8 Milliarden Euro wurden ausgegeben. Was fällt Ihnen dazu ein?

Rangnick: Dass diese Schere zwischen dem Profifußball und den Fans, die das Ganze finanzieren, auseinandergeht, ist schon länger ein Thema. Es liegt an den einzelnen Vereinen und Verbänden, dass man gegenüber dem Zuschauer weiterhin greifbar und nahbar bleibt. Es wird nicht passieren, dass wir das Rad zurückdrehen, auch wenn wir zwei Stunden diskutieren, wo der Fußball vielleicht ein bisschen falsch abgebogen ist. Für mich ist als Nationaltrainer wichtig: Welchen Beitrag können wir leisten?

STANDARD: Ihre ersten vier Spiele als Teamchef haben eine kleine Euphoriewelle ausgelöst. War die Zufriedenheit der Fans und Medien größer als Ihre eigene?

Rangnick: Ja, vielleicht. Ich denke, dass drei dieser ersten vier Spiele von der Leistung her wirklich gut waren. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir zwei oder drei Punkte mehr hätten haben können. Im letzten Spiel war es eine Kombination daraus, dass vier oder fünf wichtige Spieler nicht mehr zur Verfügung standen und der Tank leer war. Da ist es dann schwierig, in dieser Atmosphäre auswärts noch mal die PS auf die Straße zu bringen. Dass die Mannschaft wie in den Heimspielen proaktiv auftritt, das Heft in die Hand nehmen möchte – das ist der Anspruch, den wir auch für die Quali-Spiele haben. Diese Art des Fußballs wollen wir spielen.

STANDARD: Auch für Sie ist dieser Teamchefjob eine neue Erfahrung. Haben Sie das Gefühl, ein bisschen unterfordert zu sein?

Rangnick: Nein. Ich bin durchaus froh, dass es auch mal Zeit für andere Dinge gibt, was nicht heißt, dass der Job zu kurz kommt. Wir haben einen regelmäßigen Austausch und nutzen die Zeit, um Spiele anzuschauen – im Stadion oder auf Video. Aber natürlich ist es etwas anderes, wenn du als Trainer oder Sportdirektor jeden Tag Training hast oder so wie jetzt das Ende der Transferzeit. Das sind Dinge, die vermisse ich im Moment nicht, das sage ich ganz ehrlich.

STANDARD: Es gibt den Spruch, man lerne aus Niederlagen mehr als aus Siegen. Stimmt der?

Rangnick: Glaube ich nicht. Es geht als Trainer oder Sportdirektor darum, Dinge entwickeln zu können, auch den Faktor Zufall möglichst zu minimieren. Dass du eine Mannschaft in eine Richtung entwickelst, wo du über Spielkontrolle und eine bestimmte Art Fußball deutlich mehr Chancen herausspielst, als du sie dem Gegner zulässt. Dazu hätte es jetzt die sechs Monate Manchester United nicht gebraucht. Da war mir schon nach zwei Wochen klar, wo die Probleme sind, was zu tun wäre, um die zu beheben – aber die Frage ist, ob man die Möglichkeit hat, diese Dinge auch zu ändern.

STANDARD: Wäre Cristiano Ronaldo ein Österreicher, würden Sie ihn einberufen?

Rangnick: Er ist kein Österreicher.

STANDARD: In Österreich wurde in den vergangenen Jahren viel über eine goldene Generation gesprochen. Sehen Sie das auch so?

Rangnick: Das wird die Zukunft zeigen. Eine goldene Generation ist eine, die bei großen Turnieren auch eine Rolle spielt. In Belgien spricht man seit zehn Jahren von einer goldenen Generation, gewonnen haben sie bisher noch gar nichts.

STANDARD: Sehen Sie zumindest auf dem Papier eine Mannschaft, die zu sehr viel Höherem fähig wäre?

Rangnick: Es gibt Mannschaftsteile, da ist Österreich überdurchschnittlich gut besetzt. Im zentralen Abwehrbereich haben wir genug gute Spieler, auch im zentralen Mittelfeld sehe ich Spieler mit internationalem Format. Aber es gibt auch Positionen wie die Außenverteidiger, wo wir nicht so üppig besetzt sind.

STANDARD: Sie haben Konrad Laimer unlängst als den besten Balleroberer der Welt bezeichnet.

Rangnick: Der Meinung bin ich immer noch. Ich sehe den im Moment sogar vor N'Golo Kanté. Aber er ist ein zentraler Mittelfeldspieler, ein Achter. Ich sehe ihn nicht so sehr als Sechser, sondern als Spieler, der dann an Wert gewinnt, wenn du diese Umschaltmomente hast. Die Vorbereitung des Tors gegen Frankreich war ein Musterbeispiel.

STANDARD: Können Sie die Gründe für Martin Hintereggers Rücktritt nachvollziehen?

Rangnick: Wenn ein Spieler seine Karriere mit 29 beendet, wenn sein Verein erstmals Champions League spielt, dann wird das seine Gründe haben. Die gilt es zu respektieren. Ich war mit Martin im Austausch, entscheidend ist, dass er sich mit der Entscheidung wohlfühlt. Das scheint der Fall zu sein.

STANDARD: Gibt es den perfekten Fußball, den perfekten Fußballer?

Rangnick: Der Fußball entwickelt sich weiter, auch Spieler. Bei einer Nationalmannschaft ist es auch so: Entscheidend ist, wie die Verfassung von Spielern im Moment des Wettbewerbs ist. Wenn die Euro losgeht, ist egal, was vor zwei Jahren war. Du musst eine Turniermannschaft entwickeln, die funktioniert. Bei der WM 2014 ist Deutschland mit vier Innenverteidigern in der Viererkette Weltmeister geworden.

STANDARD: Die Mannschaft wurde in ihren ersten Spielen für ihren Mut gelobt. Mussten Sie den einimpfen?

Rangnick: Es gab Spieler, die diesen Spielstil schon kannten und sich den auch gewünscht haben. Wenn wir in Frankreich sagen "Gehts raus und spüts Fußball", dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Qualität ihrer Spieler in vielen Bereichen höher ist. Um das zu kompensieren, müssen wir uns in gewissen Bereichen Vorteile verschaffen. Wir müssen das Spiel so intensiv gestalten, dass die sagen: Hey, so spielt gegen uns normalerweise keiner.

STANDARD: Sagen Sie, dass Österreich bei der EM 2024 nicht nur dabei sein will, sondern muss? Und dort auch eine Rolle spielt?

Rangnick: Für mich ist es ein Muss, aber trotzdem müssen wir es erst einmal schaffen. (Christian Hackl, 29.8.2022)