Die Orientierung der Kristallmoleküle lässt sich als Bit-Zustand zur Speicherung und Manipulation von Daten nutzen.

Foto: Science Advances/MIT

Herkömmliche Computerchips sitzen auf Silizium-Wafern. Und Transistoren kennen nur zwei Zustände: an und aus, in Maschinensprache übersetzt sind das Bits, die entweder 1 oder 0 anzeigen. Forscher des renommierten Massachusetts Institute of Technology schicken sich nun an, beide Konzepte über den Haufen zu werfen.

Žiga Kos und Jörn Dunkel haben ein Konzept für einen neuartigen Rechner vorgestellt. Statt Siliziumplatten soll dieser auf Flüssigkristalle setzen, wie man sie aus vielen Bildschirmen (LCDs) kennt. Dies bietet das Potenzial, insbesondere komplexere Berechnungen viel schneller durchzuführen.

Mehrere Bit-Zustände

Erzeugt werden LCD-Panels, indem auf einer Fläche in einem flüssigen Substrat Kristalle gezüchtet werden, die als optische Schalter fungieren. Sie bestehen wiederum aus stabförmigen Molekülen. Diese reihen sich annähernd parallel aneinander. Die Verschiebungen sind so gering, dass sie die wahrgenommene Bildschärfe am Ende nicht beeinträchtigen. Die Abweichungen ließen sich laut Kos und Dunkel aber nutzen, um sich einen neuen Weg zu erschließen, um Daten zu speichern und zu manipulieren.

Vereinfacht erklärt: Die unterschiedlichen möglichen Ausrichtungen der Kristallmoleküle (genannt Nematic bits bzw. Nbits) können dabei als Bit-Zustände dienen, was die Anzahl der Möglichkeiten weit über 1 und 0 hinausgehen lässt. Wie schnell ein solcher Flüssigkristall-Chip letztlich Berechnungen durchführen könnte, hängt maßgeblich davon ab, wie flott die Ausrichtung der Moleküle geändert werden kann. Zur Manipulation ihrer Zeigrichtung schlagen die Forscher den Einsatz eines elektrischen Magnetfelds vor.

Auch die Qubits von Quantencomputern zeichnen sich dadurch aus, dank Quanteneffekten über mehr als zwei Zustände zu verfügen – allerdings gleichzeitig. Um die Bedingungen dafür zu schaffen, ist allerdings hoher Energieaufwand notwendig, da die Qubits auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius) gekühlt werden müssen. Forscher arbeiten allerdings an der Entwicklung von Qubits, die auch unter höheren Temperaturen zuverlässig funktionieren.

Techniker gesucht

Ein Flüssigkristallsystem könnte hingegen unter üblichen Temperaturen arbeiten. Berechnungen lassen sich über übliche logische Gatter durchführen. Die Ausführung logischer Operationen würde auf dem Chip wie Wellenschläge aussehen, sagen die MIT-Wissenschafter.

Nach zahlreichen Berechnungen haben sie ein System mit vier Nbits mithilfe zweier Arten logischer Gatter (NOR und NAND, die jeweils die Ausführung beliebiger logischer Operationen ermöglichen) getestet und den Ansatz für tauglich befunden. Nun sucht man interessierte Techniker, um eine Realumsetzung erproben zu können.

Ihre Erkenntnisse haben Kos und Dunkel im Journal "Science Advances" veröffentlicht. (gpi, 29.8.2022)