Das Trio Muse pflegt auf seinem Album weiter seinen Hang zur Übertreibung. Damit übertreiben sie es langsam.

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Beim Song Liberation fällt einem auf, dass man die Queen-Schutzimpfung auffrischen sollte. Nicht immer nur an Corona denken, es gibt auch Queen. Oder Muse, die so etwas wie Queen für Spätgeborene sind. Mit Queen ist nicht die alte Dame auf dem britischen Thron gemeint, sondern die gleichnamige englische Band. Deren Sänger war Freddie Mercury, der ist aber 1991 mit 45 Jahren an einer Aids geschuldeten Erkrankung gestorben und zum Mythos geworden.

Queen waren dafür bekannt, dass sie aus dem Glam der 1970er den Bombast der 1980er machten. Mit Pathos und Hang zum Größenwahn, sodass ihre Musik oft operettenhaft überzeichnet wirkte. Dabei fielen ein paar Songs ab, die man heute der Ewigkeit zurechnet.

Muse

Muse sind strebsame Erben, ebenfalls Briten und haben gerade ihr neuntes Studioalbum veröffentlicht. Es heißt straßennah Will of the People und ist erneut ein Werk der Übertreibung. Selbst wenn Matt Bellamy eine Pianoballade kredenzt – Ghosts (How Can I Move On) –, fühlt es sich an, als würden einem zehn Knödel auf einmal reingestopft.

Muse, gegründet 1994, sind Vertreter der Ideologie "Mehr ist mehr". Ein Solo geht immer noch. Wäre das mit Science-Fiction oder Fantasy erklärbar, wäre die Musik immer noch nicht toll, aber als Auswurf einer gebeutelten Fantasie besser nachvollziehbar. Doch Muse wollen das Übel auf der Welt entlarven. Warnen, mahnen.

Intervallfasten

Wenn der Bandchef Matt Bellamy über die Verhältnisse nachdenkt, kommen ihm Erkenntnisse die er so formuliert: We Are Fucking Fucked. Das klingt wie die Überschrift eines Beamtenmaturaaufsatzes im staatlichen US-Schulsystem, ist aber der Titel des letzten Songs des Albums. Wenn Bellamy ein großer Denker ist, zeigen tut er es nicht.

Muse

Das Album ist eine wüste Anhäufung abgegriffener Riffs mit Elton-John-Piano und aufwühlenden Schlagwörtern wie "Crisis" und "World War", es soll ein Abbild unserer Zeit ergeben. Es war 2020 im Spital, als Bellamys Frau mit einer Tochter niederkam, als der Knödeltenor aus dem Fenster blickte und eine gerade außer Kontrolle geratende Black-Lives-Matter-Demo erblickte. Für ihn ein Erweckungserlebnis und eine Metapher für das, was in der Welt alles falsch läuft.

Bruce Willis im Unterhemd

Als der Chronist, als der er sich wähnt, hat er dieses apokalyptische Werk veröffentlicht. Dabei klingen Muse wie das akustische Pendant eines B-Movies, in dem Bruce Willis im Unterhemd die Welt rettet. Alles ist arg, wenn nicht gar toxisch, weil nur dann ist es echt arg.

Muse hetzen, meucheln und tirilieren durch den Untergang, klingen wie Nine Inch Nails beim Mittagsschläfchen oder wie Limahl im Abspann der Never Ending Story. Oder Freddie Mercury. Am Ende möchte man einen Entschlackungstee und googelt Intervallfasten – und muss sich bei Bruce Willis entschuldigen, dass man ihn da reingezogen hat. (Karl Fluch, 30.8.2022)