Dirigent Kirill Petrenko bringt Mahlers Musik zum Leuchten.

Foto: Monika Rittershaus

Unendliche Weiten und zerklüftete Felsmassen, dunkle Gewitterwolken und pastorales Vogelgezwitscher, Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit, Sentimentalität und Sarkasmus – wie kein anderer zelebriert Gustav Mahler das Brüchige, Gegensätzliche. Die Zerrissenheit macht den Großteil der Faszination der Mahler’schen Symphonik aus. Weil sie zutiefst menschlich ist. Mit Mahlers 7. Symphonie neigen sich die diesjährigen Salzburger Festspiele ihrem Ende zu. Die Berliner Philharmoniker spielen sie unter Chefdirigent Kirill Petrenko im Großen Festspielhaus, das unter dem Fortissimo-Rausch erbebte. Für Petrenko war es kein leichter Auftritt. Nach einer Fußverletzung, die er sich im Sommer zugezogen hatte, musste er auf ärztlichen Rat hin die Hälfte seiner Auftritte absagen. Diesen nicht.

Grotesk, humoristisch

Mahler bescheinigte der Siebten einen "vorwiegend heiteren" Tonfall. Grotesk-humoristisch trifft es viel eher. Schon zu Beginn des ersten Satzes braut sich ein Unwetter zusammen, das Petrenko und die Berliner in ein monumentales Klanggemälde gießen: Unter die unerbittlichen Schläge der tiefen Streicher und Holzbläser mischen sich Tenorhorn, Trompeten, Pauken und Posaunen – volle Kraft voraus! Überhaupt suchen Holz, Blech und Schlagwerk hier ihresgleichen.

Was folgt, ist ein emotionales Wechselbad zwischen pastoralen Nachtmusiken (mit Kuhglocken, Vogelgezwitscher, Gitarre und Mandoline), verlorener Walzerseligkeit und martialischen Märschen. Es ist bemerkenswert, mit welcher Detailverliebtheit Petrenko die Einzelstimmen umsorgt und mit welcher Hingabe das Kollektiv ihm folgt. Ein Wahnsinnswerk wie Mahlers Siebte lebt auch von der Energie zwischen Dirigent und Orchester, dem wortlosen Verständnis über die Musik. Petrenko und die Berliner sind dafür ein Idealbeispiel. Sie tanzen, rasen und atmen miteinander. Sie kosten die tonalen Grenzen aus, stürzen sich gemeinsam in den Abgrund und erheben sich in kosmische Höhen – mit einem Urknall zum Schluss. Jubel. (mda, 30.8.2022)