Am Samstagvormittag platzte die Wien-Energie-Bombe – noch unbemerkt von der Öffentlichkeit. Da habe der Hauptstadt-Energieversorger in Gesprächen mit der Bundesregierung Stück für Stück eingeräumt, durch die stetig steigenden Strompreise an riesigen Geldschwierigkeiten zu laborieren. Die Angaben seien noch "wild und unübersichtlich" gewesen, wie in türkis-grünen Regierungskreisen erzählt wird. Wie ernst die Lage tatsächlich ist, habe sich in der Nacht konkretisiert, so richtig aber erst bei einem kurzfristig einberufenen Energiegipfel mit Vertretern aus Politik und Energiewirtschaft am Sonntagabend im Kanzleramt. Da wurde deutlich: Dem Tochterunternehmen der stadteigenen Wiener Stadtwerke fehle ein Milliardenbetrag zur Besicherung von Lieferverträgen, es brauche Hilfe vom Bund – damit die Energielieferungen weiterhin gesichert sein können.
Als Michael Strebl, Chef der Wien Energie, seine missliche Lage beim Gipfel darlegte, soll er in verwunderte Gesichter von Kanzler Karl Nehammer, Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) und Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) geblickt haben. Auf politischer Seite habe sich diese Krise alles andere als abgezeichnet – man sei davon schlicht überrumpelt worden, heißt es. Ebenso von der Dringlichkeit des Problems: Am Samstag soll die Wien Energie in Aussicht gestellt haben, dass es bereits am Montag finanziell eng werden könnte und die Verträge von zwei Millionen Kundinnen und Kunden auf der Kippe stünden, erzählt ein Insider. Später sei der Zeithorizont auf Mitte der Woche korrigiert worden.
Sechs Milliarden Akutbedarf
Seither wird im Finanzministerium in Absprache mit der Stadt Wien eilig daran gearbeitet, den Energieversorger finanziell einigermaßen aufzufangen. Geld soll in jedem Fall fließen, wurde von ÖVP und Grünen versichert. Am Montagnachmittag gab es schließlich erste Informationen darüber, wie die Lösung konkret aussehen könnte.
Auch wenn die Kommunikation wieder etwas unübersichtlich ist: Die Überlegungen gehen in Richtung eines Kredits in Milliardenhöhe, der über die Bundesfinanzierungsagentur abgewickelt wird, teilte Finanzminister Brunner per Aussendung mit. Der zuständige Wiener Stadtrat Peter Hanke (SPÖ) präferiert hingegen einen generellen "Schutzschirm" für die heimischen Versorger – und habe Brunner auch darum gebeten. Davon will wiederum Brunner nichts wissen. Hanke argumentiert die Notwendigkeit eines Schutzschirms mit den "Mondpreisen", die derzeit an der Börse für Strom verlangt würden. Davon sei die Wien Energie besonders betroffen, da die Eigenproduktion geringer sei als bei anderen Landesversorgern.
1,75 Milliarden Euro könne die Wien Energie mit der Stadt noch aufbringen, um bereits getätigte Geschäfte für die Zukunft abzusichern, hieß es. Für weitere Finanzierungserfordernisse brauche es aber Hilfe vom Bund. Von Hanke (SPÖ) sei der "akute Finanzierungsbedarf" der Wien Energie in einem Brief mit sechs Milliarden Euro beziffert worden.
Eine Eskalation auf politischer Ebene dürfte fürs Erste abgewendet sein. Dennoch bleiben viele Fragen offen. Die wohl wichtigste: Seit wann zeichnen sich die Probleme der Wien Energie ab – und wer wusste davon?
Geheimniskrämerei in der Not
Für die Bürgermeisterpartei SPÖ dürfte die Nachricht wohl am wenigsten überraschend gewesen sein. Laut Brunner hat die Stadt bereits mehrmals Sicherheiten für die Wien Energie übernommen – das habe er von Stadtrat Hanke bestätigt bekommen. In Summe handle es sich um einen Milliardenbetrag, dem Vernehmen nach aufgeteilt in drei Tranchen zu je 700 Millionen Euro. Ab wann diese Unterstützung nötig wurde, ist allerdings nicht bekannt.
Hintergrund der Vorgehensweise ist, dass die Wien Energie – wie andere Börsenteilnehmer auch – bei Geschäften für künftige Energielieferungen, sogenannten Termingeschäfte oder Futures, Sicherheiten hinterlegt. Aufgrund der in der vergangenen Woche stark gestiegenen Gas- und Strompreise muss das Unternehmen diese Sicherheiten nun kurzfristig kräftig aufstocken, also Geld nachschießen. Genau diese Mittel fehlen der Wien Energie, die die Sicherheiten nach Abschluss des Geschäfts wieder zurückerhalten würde.
Dass die Übernahme der Sicherheiten weitgehend unbemerkt blieb, liegt daran, dass Stadtchef Michael Ludwig von einem besonderen Vehikel gebraucht gemacht haben dürfte. Er habe sich seiner Notkompetenz bedient, ist vonseiten der Wiener Neos, ihres Zeichens kleiner Koalitionspartner der SPÖ, zu hören. Ein Beschluss im Stadtsenat, in dem alle Gemeinderatsfraktionen vertreten sind, war somit obsolet. Die Neos, die eigenen Angaben zufolge über die Causa informiert waren, finden daran nichts Verwerfliches: "Es ging darum, im Sinne der Versorgungssicherheit rasch zu reagieren und die Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten", sagt ein Pinker.
Mit ihrer Geheimniskrämerei hat sich die Stadtregierung jedenfalls weder in der Rathaus-Opposition noch in der Bundesregierung Freunde gemacht. ÖVP und Grüne zeigen sich da wie dort verärgert, dass ausgerechnet Ludwig und Hanke nicht beim Energiegipfel auftauchten.
Der Bürgermeister schweigt (noch)
Wobei das Hanke zumindest vorgehabt haben soll: Er habe, wie Gipfelteilnehmer erzählen, eine Teilnahme per Videocall erst zu- und dann wieder abgesagt. Gemunkelt wird, dass Ludwig seinen Stadtrat zurückgepfiffen habe: Hankes Plan sei es gewesen, die Engpässe der Wien Energie deutlich offensiver an den Bund zu kommunizieren, als der Bürgermeister es gewollt habe, heißt es. Dass es Ludwig besonders unangenehm sein könnte, bei Türkis-Grün um Geld zu betteln, wäre jedenfalls einleuchtend. Immerhin stört dies seine Erzählung von seinem eigenständigen "Wiener Weg", mit dem sich der rote Stadtchef seit Pandemie-Beginn vom Bund abgrenzt.
In Hankes Büro dementiert man diese Darstellung: "Das Treffen war immer als technisches Gespräch geplant", sagt eine Sprecherin. Eine Teilnahme des Stadtrats sei nicht vorgesehen gewesen, er habe aber "alles inhaltlich mitbestimmt". Mit dem Argument, der Energiegipfel sei lediglich eine Expertenrunde gewesen, erklärt man im Büro des Bürgermeisters auch dessen Abwesenheit. Womöglich wird sich Ludwig am Dienstag äußern.
Weitaus auskunftsfreudiger waren Wiens ÖVP und Grüne, die in die Kritik aus dem Bund am roten Wien einstimmten. Der türkise Klubchef Markus Wölbitsch und der nicht amtsführende grüne Stadtrat Peter Kraus urgieren Aufklärung und Transparenz. Man werde dazu alle parlamentarischen Mittel nutzen, kündigte Wölbitsch an. Und Kraus versprach: "Die Wiener müssen keine Angst haben, die Bundesregierung springt ein."
Hanke fordert Schutzschirm für Unternehmen
In einem Interview mit Puls24 am Montag Abend betont Hanke, morgen müsse noch kein Geld hinterlegt werden, denn wie er soeben erfahren habe, gäbe es derzeit eine Gutschrift. Es gehe weiters um ein reines Sicherheitsvolumen und nicht um eine Verlustabdeckung. Man könnte demnächst allerdings in eine schwierige Phase kommen, daher habe man den Bund zusätzlich um eine Unterstützung gebeten – diese stelle aber eine reine Kreditlinie dar, betonte Hanke, das Geld werde also auch wieder zurückfließen. Er fordere außerdem vom Bund einen Schutzschirm, wie ihn auch andere Länder – etwa Schweiz, Frankreich oder Deutschland – hätten, um Unternehmen zu unterstützen.
In einem darauffolgenden Interview in der ZIB 2 bekräftigt Hanke erneut, die Versorgungssicherheit für Kundinnen und Kunden sei gegeben. Aufgrund von "völlig verrückten" Gas- und Strommärkten, brauche man allerdings einen Spielraum, um die Versorgungssicherheit zu generieren. Auf explizite Nachfrage von Moderator Armin Wolf sagte Hanke, angesichts der aktuellen Entwicklungen brauche man bis morgen Mittag doch keine fehlenden zwei Milliarden Euro – vielleicht brauche man sie aber in naher Zukunft. Es gehe daher darum, weiterhin Liquidität sicherzustellen. (Jan Michael Marchart, Stefanie Rachbauer, 30.8.2022)