Adolf Johann Mayer im Garten seines ehemaligen Heurigenbetriebs. In seinem Arm trägt er sein Keramikobjekt "Schosskrokodog".

Foto: Mafalda Rakoš

Wenn Schönheit im Auge des Betrachters liegt und der Betrachter Adolf Johann Mayer heißt, sieht die Sache so aus: "Ob etwas ästhetisch ist, spürt man. Oder eben nicht." Basta. Wenn der pensionierte Weinbauer und Wirt in der Laube im Garten seines ehemaligen Heurigen sitzt und erzählt, hat hochgestochenes Artsy-Geschwätz Lokalverbot.

Der Ort, an dem er frei von der Leber weg parliert, spielt eine Menge Stückln. Man könnte ihn einen kleinen Märchenwald nennen. Libellen surren über Goldfische hinweg und lassen sich auf den Blättern eines stattlichen Feigenbaumes nieder. Neben der Laube stehen Tische, auf denen sich siebzig fein zurechtgestutzte Bonsais zu einem Wald zusammentun. In den Blättern der Kastanienbäume, die sich auf der Straße vor dem einstigen Wirtshaus zu einer Allee auffädeln, spielt das himmlische Kind. Eigentlich fehlen nur die Gartenzwerge, den großen Auftritt haben hier aber andere, nämlich seine Keramikobjekte.

Statt Heurigengäste versammeln sich in der einstigen Gaststube freakige Wandmasken, wilde Fratzen und archaisch anmutende Tonfigürchen in Körperposen, die ihr Erschaffer zum Beispiel Bauchfleck nennt.
Foto: Mafalda Rakoš

Geduldiges Material

Fad ist Herrn Mayer ganz offensichtlich auch seit seiner Pensionierung vor eineinhalb Jahren keineswegs. Er töpfert, was das Zeug hält. Wüste Fratzen, Flussgötter als Wandmasken, Vasen in Form von Fischen, Fabelwesen, Janusköpfe, Affen mit Pinseln im Maul.

Ein Werk nennt Mayer den Nasenbeißer, und der ist definitiv albtraumtauglich. Motivtechnisch kennt der Mann weder Scheu noch Grenzen. "Ein Freund hat einen Elch bestellt. Bei dem Auftrag hab’ ich mich derart mit dem depperten Geweih geplagt, dass daraus ein kristallförmiges, geometrisches Objekt wurde. Gibt’s halt keinen Elch", sagt er.

Wie die Skulptur mit den vielen Ecken und Kanten heißt? "Elch natürlich." "Ich mach’ schon viel", meint Mayer. "Fernsehen ist nicht meins, ich hab’ lieber was in der Hand, und Umrisse einer Skulptur sind schnell gemacht. Außerdem handelt es sich bei Ton um ein geduldiges Material."

Janusköpfe.
Foto: Michael Hausenblas

Berührungsangst

Initialzündung für seine Beschäftigung mit Keramik waren die vielen Bonsais im Garten, die ihre Wurzeln in Behältnissen aus Ton schlagen. "Die Töpfe sind ziemlich kostspielig. Also dachte ich mir, das bringe ich auch zusammen." Gesagt, getan. Bald schon folgte auch das erste Keramikköpfchen.

Dabei hatte der Keramiker ursprünglich große Berührungsangst vor diesem Werkstoff. Mayer erzählt von einem Erlebnis: Einst musste er derbe Flüche eines Flohmarktstandlers miterleben, nachdem diesem die Stoßzähne eines Elefanten aus Keramik abgebrochen seien. "Die Schimpferei war nicht auszuhalten", erinnert er sich. Daher sei er skeptisch gegenüber dem Material geworden.

Früher hatte es Adolf Johann Mayer deshalb die weniger schadensanfällige Malerei angetan. Auch in diesem Gefilde war er Autodidakt und kann auf einige Ausstellungen in seinem Portfolio verweisen. "Ich war mit 14 bei den Pfadfindern und schon damals mit meinen Händen beim Basteln geschickter als manch anderer", berichtete er von den Anfängen seiner kreativen Karriere.

Tradition

Seinen Ton bezieht Mayer bei einer Firma in Vöslau. Er hat keine Ahnung, wie das Material, mit dem er arbeitet, exakt genannt wird. "Die Verkäufer dort wissen schon, was ich brauche", winkt er zufrieden ab. Der Werkstoff hat es ihm auch deshalb angetan, weil ihm etwas "Ewiges" innewohne. "Was rauskommt, ist relativ wurscht, Hauptsache, man kann etwas mit seinen Händen schaffen", erklärt der Niederösterreicher, der mit hochgezogenen Augenbrauen auf die jahrtausendealte Tradition dieser Handwerkstechnik hinweist.

Flussgötter als Wandmasken.
Foto: Michael Hausenblas

Eines ist klar: Die Objekte des 64-Jährigen sind keine klassischen Schönheiten, sie schöpfen ihre Ausdruckskraft aus einer ordentlichen Portion Skurrilität und dem Drang, machen zu wollen. Vielleicht sogar zu müssen.

An der Definition von Kunst haben sich schon viele die Zähne ausgebissen, ob Mayer seine Objekte als Kunst oder Handwerk bezeichnen würde? "Das sollen die Leute entscheiden, die es sich anschauen." Wie meinte schon Picasso? "Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es für mich behalten." Apropos Picasso: Auch von ihm fertigte Mayer eine Büste. "Das Formen seiner Mundwinkel hat mich sehr viel Nerven gekostet", erinnert er sich an die Arbeit am Kopf seines Kollegen.

Sicher ist, dass dieser Mann süchtig nach seinem Ton ist. "Wenn sich bei mir die Vorräte dem Ende zuneigen, geht es mir wie einem Raucher, dem die Tschick ausgehen", erklärt Mayer und verschränkt seine kräftigen Arme. Hinter ihm steht ein hölzerner Bär, der das Maul aufgerissen hat, daneben hängt eine Wandmaske in Form eines schweineartigen Wesens mit feuerroten Augen.

Unorthodoxe Art von Galerie

"Wenn man für etwas brennt, dann kniet man sich in die Sache rein", ist er sich sicher und meint, das mit der Ausbildung sei so eine Sache. "Heute findet man doch eh alles auf Youtube." Seine Inspiration erfährt Mayer ebenfalls im Netz, Namen merke er sich allerdings nicht so gut. Aber auch in Ausstellungen, zum Beispiel in der Kunsthalle Krems, lässt er sich gern von den Musen küssen.

Dass Mayer bei seinen Entwürfen auch immer einen Schalk im Nacken sitzen hat, beweist auch jener Tisch in der Gaststube, auf dem sich ein ganzer Stamm archaisch anmutender Tonfigürchen versammelt hat.
Foto: Mafalda Rakoš

Die wahren Schätze Mayers befinden sich im Inneren der langgezogenen, verglasten Gaststube, die sich im Handumdrehen wieder zum Heurigen umfunktionieren ließe. Der Holzkühlschrank, ein Modell, wie man ihn nur mehr in sehr alten Wirtshäusern findet, die leere Vitrine, die Tische und Stühle, all das wirkt, als wären hier gestern noch Stelzen verputzt, Heurigengläser geleert und Karten gespielt worden. Irgendwie traurig und auch wieder nicht.

Jetzt herrscht hier Stille, zumindest akustisch. Das Auge hat ganz schön zu tun. Flugs entpuppt sich der Ort als eine sehr unorthodoxe Art von Galerie. Auf einem Tisch steht die Büste einer Frau, die ihr Erschaffer "die Afrikanerin" nennt. Bei der Frage, wie seine Frau zu seiner großen Leidenschaft steht, zögert Mayer. Schließlich antwortet er verschmitzt, "Da kann es schon mal Wickel geben, wegen schmutzigem G’wand oder so. Aber es gefällt ihr schon. Durch mein Werken hat sie außerdem ihre Ruh’."

Versteigerung

Gleich neben der Afrikanerin taucht ein sehr exotischer Flaschenkühler auf. Er hat die Form eines weiblichen Oberkörpers samt Bluse und einem Lutscher, den das sogenannte Schosskrokodog in der Klaue hält. Wie er zu der Idee dazukam? "Keine Ahnung!" Das Viech erinnert an eine Kreuzung des Drachen Dagobert aus dem Betthupferl und Tom Turbo.

Die wahren Schätze Mayers befinden sich im Inneren der langgezogenen, verglasten Gaststube.
Foto: Mafalda Rakoš

Immerhin schaffte es dieses Objekt vor wenigen Monaten als Exponat in eine Versteigerung in Wien, die von Spitzenkoch Lukas Mraz moderiert wurde und deren Erlös an die Ärzte ohne Grenzen ging. Insgesamt waren 39 Kulturschaffende mit Objekten vertreten. Mit dabei unter anderem Felix Schellhorn, Eva Beresin, Maša Stanić und – oho – DJ Bobo.

Dass Mayer bei seinen Entwürfen auch immer einen Schalk im Nacken sitzen hat, beweist auch jener Tisch in der Gaststube, auf dem sich ein ganzer Stamm archaisch anmutender Tonfigürchen versammelt hat. Die Vorlage zu diesen fand er ebenso im Netz. Mayer kupferte sie jedoch nicht einfach eins zu eins ab, sondern formt sie in Körperposen, die er zum Beispiel "Bauchfleck" nennt. Die Figur "Arschbombe" hält sich sogar die tönerne Nase zu. Ob er sich schon einmal an einer Interpretation der Venus von Willendorf versucht hat? "Nein, die kommt mir nicht ins Haus."

"Eine Idee ist schnell da", setzt er nach, und man glaubt ihm. Bevor diesem Mann die Inspiration ausgeht, sind wahrscheinlich seine Tonvorräte am Ende. Und das darf stark bezweifelt werden. Dazu muss man kein Raucher sein. (Michael Hausenblas, RONDO, 1.9.2022)