Florian Tanzers Objekte spiegeln die Laune ihres Machers wider.

Foto: Gregor Hofbauer

Auf dem Deckel der Tajine sitzt eine Schlange und streckt die Zunge raus. Das mit rosa, weißen, roten Tarnflecken lasierte Schmorgefäß wirkt nahezu gefährlich. Das ist gewollt. "Ich übersetze frühere Machtsymbole in die Popkultur", erklärt Designerin Maria Scharl alias "Betonmädchen".

Sie hat schon mit vielen Materialien gearbeitet, bei der Keramik aber ist sie hängengeblieben. Was Scharl an ihr schätzt? Wenn man wolle, könne man Ton selbst sammeln und verarbeiten, das Material sei außerdem extrem standhaft, meint die Künstlerin, die zum "Burggarten 98", einem jungen Wiener Netzwerk von Kunst- und Designschaffenden, gehört.

Maria Scharl will mit ihren Keramikstücken die Farbe Pink umkodieren.
Foto: Eva-Lena Gagern

Boom

Wie Maria Scharl haben sich in den vergangenen Jahren viele für das Material begeistern können. Das lässt sich auf den Social-Media-Plattformen Instagram oder Tiktok entdecken, Zeitungen wie der Guardian orteten selbst in Australien einen Boom "handgemachter Keramik".

Denn ja, ausgerechnet jene Generation, die stundenlang am Handy wischt und surft, hat eine Schwäche für Stücke, die nicht nur handgefertigt werden, sondern auch so aussehen: Auf Tiktok drehen sich die Töpferscheiben, und in den durchdesignten Bilderbuch-Wohnungen auf Instagram stehen die schrägen, bunten Keramikobjekte auf Tischen und in Regalen herum, die übergroßen Vasen einer Alice Gavalet zum Beispiel, aber auch die Stücke der in Wien lebenden Designerinnen Anna Riess und Onka Allmayer-Beck.

Die Londoner Künstlerin Alma Berrow hat ihre surrealen Keramikobjekte, Aschenbecher, voll mit ausgedrückten Zigaretten, über den Luxusmodeshop Moda Operandi verkauft, ihr US-amerikanischer Kollege Nick Weddell zeigt auf Instagram regelmäßig seine farbenfrohen, vermeintlich kindlich gestalteten Keramiktassen, 10.000 Fans gefällt das.

Kontraste

Auch Scharl hat sich schon im Internet inspirieren lassen, zum Beispiel von den pastellfarbenen handgebildeten Stücken von Ojo Ceramics aus Russland. Deren Teekannen und Tassen sehen aus, als stammten sie geradewegs aus Alice im Wunderland. Schätzen gelernt hat Maria Scharl die Keramik allerdings auf Bali.

Nach einem einwöchigen Keramikworkshop war die Österreicherin angefixt und belegte neben ihrem Studium Design, Handwerk und materielle Kultur an der New Design University weitere Keramikkurse. Scharl setzt in ihren Stücken auf Kontraste: "Gedrehte Keramik ist mir oft zu fad, in Kombination mit etwas Handgebildetem werden die Stücke spannender."

Florian Tanzer fertigt seine Stücke frei von Hand, auch er nahm anfangs die unförmigen Objekte auf Pinterest und Instagram wahr. Heute klappt der Videokünstler immer häufiger den Laptop zu. Seine größte Leidenschaft ist neben Blumen mittlerweile die Keramik, die im Ofen eines Wiener Gemeinschaftsateliers gebrannt wird.

Die bunten Blumenvasen, die er produziert, haben ausdrucksstarke Gesichter. Manche zeigen ihre Zähne, andere reißen die Augen weit auf. Jeden Tag fertigt der Autodidakt ein Objekt. Die Vasen spiegelten seine Stimmung wider, sagt Tanzer – ob wohl an jenem Tag, an dem er das zähnefletschende Behältnis geformt hat, ein Zahnarzttermin anstand? Wohl eher nicht, inspiriert seien seine Stücke von "naiver Kunst" und dem Malen mit Kindern, erklärt er. Die Objekte kommen an: Im Moment sind sie im Palmenhaus im Wiener Burggarten zu sehen und zu kaufen, während der Vienna Design Week auch in einer der Festivalzentralen.

Gaudi haben

Absichtlich verformte Keramik aus Scheibbs: Fabeltier als Lampenfuß von Walter Bosse, 1925.
Foto: Keramikmuseum Scheibbs / Hans Hagen Hottenroth

In Österreich hat schräge Keramik durchaus Tradition. Davon zeugt das Keramikmuseum Scheibbs, gegründet und geleitet von Hans Hagen Hottenroth. "Die Kunstkeramik aus Scheibbs ist witzig, absichtlich verformt, nicht kitschig, nicht g’schert." Ihre Hochzeit erlebte sie in den 1920er- und 1930er-Jahren. Dass sie fast hundert Jahre alt sind, sieht man Stücken wie Walter Bosses schrägem Fabeltier von 1925 (siehe Bild) nicht an.

"Ihre Protagonisten und Protagonistinnen hatten eine exzellente Ausbildung, waren jung, hatten hier eine Gaudi." Sie seien stark beeinflusst von der Wiener Werkstätte, "die Entwürfe waren aber wilder, hemmungsloser und gröber in Form und Farbe", sagt Hottenroth und betont: "Die Keramik aus Scheibbs wurde zwar in der Provinz gefertigt, war aber nicht provinziell." Unter den Objekten: viele tierische Motive wie Fische, Frösche, Esel, Hunde, Pferde, sie alle alles andere als handzahme, liebliche Staubfänger.

Den eigensinnigen Charakter der seriell gefertigten, aber individuell lasierten Keramiken aus Scheibbs wusste bereits in den Zwanzigerjahren eine kunstaffine, avantgardistische Kundschaft in New York zu schätzen – Hottenroth ist den Objekten in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach in den Big Apple hinterhergereist. Einige hat er aufgekauft und wieder zurückgebracht ins niederösterreichische Scheibbs. Dort stehen sie im Museum, dicht an dicht und breit grinsend in den Glasvitrinen. (Anne Feldkamp, RONDO, 11.9.2022)