Pop-up-Versuch in Sachen Gutbürgerlichkeit: Otto Wagners Schützenhaus am Donaukanal ist jetzt einmal ein Fischlokal.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wer über die zugehörige Außenstiege des Schützenhauses zum Donaukanal herunterkommt, der steht vor dem Gastgarten – und vor einer recht massiven Kettenabsperrung. Sich einfach so hinzusetzen wäre angesichts mehrerer freier Tische kein Problem, man muss halt die Kette abschreiten und das Loch im Zaun finden.

Die Abgrenzung zum entspannten Treiben am Kanal scheint ganz eindeutig "Achtung, wir sind hier ein ordentliches Restaurant" zu rufen. Nackerte, wettergegerbte Wackeltische mit umgedrehten Aschenbechern, die einen dahinter erwarten, lösen das halt nicht ganz ein. Aber gut, das neue Liebfisch im Schützenhaus ist offiziell ein Pop-up, da gelten Diskrepanzen zwischen Schein und Sein gemeinhin als gewollt.

Pop-up-Lokal mit Fragezeichen

Nach dem Hinsetzen darf man eine gute Viertelstunde auf den Service warten, geht irgendwann auf die Suche und wird nach hartnäckigem Herumirren tatsächlich eines Mitarbeiters habhaft. Den muss man dann beim Plaudern mit dem Küchenpersonal stören. Solche Nonchalance will nicht ganz zur wichtigen Ketteninstallation passen. Was ist das jetzt? Ein relaxtes Donaukanal-Pop-up wie andere auch – oder doch die gutbürgerliche Kanal-Option für gesetztes Publikum, die auf Dining mit Otto-Wagner-Hintergrund stehen?

Preise und Speisekarte weisen auf Letzteres, die Getränkekarte mit Konzernbräu (Gösser-Heineken) und gerade einmal vier Weiß- und zwei Rotweinen, aber jeder Menge bunter Spritzdrinks, eher in Richtung Partymeile. Auch im Innenbereich, wo die angeranzte Biedermann-Einrichtung des Vorgängerlokals in grellpinkes Neonlicht getaucht wird, scheint das Prinzip "Schauma mal" zu gelten.

Ein bissl schade ist so ein Umgang mit zentralen Bau-Ikonen der Hauptstadt schon, noch dazu mit solchen, die an der sonnigsten Biegung des Donaukanals liegen. Warum aus dem Otto-Wagner-Juwel nach fortgesetzt uninspirierten Pachtvergaben noch immer keine begehrenswerte Adresse werden darf, wissen wohl nur Verantwortlichen in der Burghauptmannschaft des Wirtschaftsministeriums.

Hiesig mediterran

Knusprig angegrillter Oktopus mit eine Art Erdäpfelgröstl.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Die Küche arbeitet sich – mit gar nicht schlechten Grundprodukten – an dem ab, was hierzulande als mediterrane Fischküche gelten darf: Fischsuppe ist eine angedickte Tomatensauce mit reichlich Branzino, TK-Garnele und ein paar Miesmuscheln drin, die großzügige Beigabe von Trockenkräutern der Provence sorgt für die geografische Verortung des Gerichts.

Gewalt am Fisch

Wolfsbarsch-Ceviche klingt nach einem Ausflug ins lateinamerikanische Fach, tatsächlich werden die kraftvoll eingesalzenen Fischwürfel aber auf bittersüße Paprikacreme einerseits und richtig viel Mayo anderseits gebettet, dazu gibt es Scheibchen vom angeschrumpelten Radieschen, zart oxidierte Frühlingszwiebel und, richtig seltsam, esslöffelweise Gewürzöl obendrauf. Limettensaft oder sonst eine frische Säure (die eigentliche Existenzberechtigung von Ceviche) darf man sich nicht erwarten. Die öltriefende Gewalt, die dem Fisch hier angetan wird, sorgt aber dessen ungeachtet für Schweratmung.

Branzino, offenbar der Lieblingsfisch des Liebfisch, gibt es auch sehr ordentlich im Ganzen gebraten, die dazu angekündigte "cremige Polenta" erweist sich aber als dick angerührter Gelb-Mörtel, der auch durch kännchenweise beigegebene braune Butter nicht ins Fließen zu bringen ist.

Oktopus wird nach – leider zu knapp bemessener Garzeit – knusprig angegrillt (siehe Bild), die gefürchtete Hartgummi-Konsistenz kann so nur optisch verschleiert werden. Dazu gibt’s eine Art Erdäpfelgröstl mit rohen Paprikastreifen, auch hier kommen Trockenkräuter in medizinisch anmutender Schüttung zum Einsatz. Tintenfischgummi und Erdäpfelgröstl mit Hustensaft-Aromatik: Was gibt es Besseres, um sich ganz mediterran auf den Herbst einzustimmen? (Severin Corti, RONDO, 2.9.2022)

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