Der deutsche Kanzler Olaf Scholz will, dass die EU bei ihrer Verteidigung besser zusammenarbeitet und so stärker wird (Archivbild Juni 2022).

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Am Dienstag, muss Olaf Scholz ins brandenburgische Meseberg. Eine Klausur mit seinem Kabinett steht für den deutschen Kanzler auf dem Programm. Einfach wird das nicht.

Da war sein Auftritt am Montag in Prag geradezu erholsam. Aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer, keine lästigen Zwischenfragen – Scholz hielt seine erste europapolitische Grundsatzrede an der 1348 gegründeten Karls-Universität in jenem Land, das gerade den EU-Ratsvorsitz innehat.

"Wir müssen das Gewicht des geeinten Europa noch viel stärker zur Geltung bringen", so lautete seine Botschaft. Und daher schlägt er auch für die EU so etwas wie eine Zeitenwende vor.

Diesen Begriff hatte Scholz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar mit Blick auf die deutsche Sicherheitspolitik verwendet, als er die Aufrüstung der Bundeswehr ankündigte.

Auch jetzt sprach er wieder von einer "Zeitenwende". Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, so Scholz, sei das vereinte Europa "ein Dorn im Auge". Umso wichtiger sei der Zusammenhalt.

Scholz plädiert daher für den Aufbau eines neuen Luftverteidigungssystems. Dieses wäre ein "Sicherheitsgewinn für ganz Europa", zudem kostengünstiger und leistungsfähiger, als wenn jeder seine eigene teure und hochkomplexe Luftverteidigung aufbaue.

Hilfe für die Ukraine

Um die europäischen Werte zu verteidigen, versprach Scholz: "Daher unterstützen wir die angegriffene Ukraine: wirtschaftlich, finanziell, politisch, humanitär und auch militärisch." Und dies, solange es nötig sei. Für den 25. Oktober plant er eine Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine in Berlin.

Doch der deutsche Kanzler will die EU nicht nur militärisch stärken. Erneut erklärte er, die sechs Westbalkan-Staaten, die Ukraine, die Republik Moldau und "perspektivisch" Georgien gehörten in die EU. Diese Erweiterung sei im Interesse der Europäer. Denn, so Scholz: "In diesen Tagen stellt sich erneut die Frage, wo künftig die Trennlinie verläuft zwischen diesem freien Europa und einer neoimperialen Autokratie."

Man müsse aber die EU "fit machen für diese große Erweiterung", die EU würde dann ja von 27 auf 36 Staaten anwachsen. Scholz schlägt vor, künftig auch in der Finanz- und Außenpolitik Mehrheitsentscheidungen einzuführen. "Denn: "Die Bürgerinnen und Bürger erwarten eine EU, die liefert." Dies erklärte er mit Blick auf oft langwierige Abstimmungsprozesse. Er brachte eine "konstruktive Enthaltung" statt eines Vetorechts ins Spiel.

Ungarn und Polen im Blick

Mit Blick auf Polen und Ungarn erklärte Scholz: "Sinnvoll scheint mir, Zahlungen konsequent an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards zu knüpfen." Auch in Ungarn und Polen, so der Kanzler, "wünscht sich eine große Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ein stärkeres Engagement der EU für Freiheit und Demokratie in ihrem Land".

Scholz’ Rede erinnerte an jene Ansprache, die der französische Präsident Emmanuel Macron 2017 an der Pariser Sorbonne gehalten und darin die "Neugründung" eines souveränen, demokratischen und vereinigten Europa gefordert hatte.

Macron, damals erst kurz im Amt, sprach sich für ein gemeinsames Budget für die Euroländer, einen gemeinsamen EU-Verteidigungsetat sowie eine europäische Interventionstruppe und einheitliche Regeln für Auslandseinsätze aus. In Paris jedoch war man danach enttäuscht, dass die ehemalige deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf Macrons Vorschläge nicht wirklich einging.

Und so meint mancher in Berlin, Scholz’ Rede könnte nun die späte Antwort auf Macron und seine "Renaissance" Europas sein. Ins Detail allerdings ging Scholz nicht, er sprach lieber von "Denkanstößen" und betonte eigens, es handle sich nicht um "fertige deutsche Lösungen". Denn einen Eindruck möchte Scholz nicht erwecken: dass die Deutschen Vorschläge haben – und der Rest der EU das Gefühl, man solle bloß noch abnicken. (Birgit Baumann, 29.8.2022)