Wien Energie ist wegen Termingeschäften in arge finanzielle Schieflage geraten und braucht Hilfe vom Staat.

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Frage: Wien Energie braucht Milliarden vom Staat. Warum?

Antwort: Österreichs größter Landesenergieversorger ist mit Nachschusspflichten konfrontiert, die im Zusammenhang mit Termingeschäften stehen.

Frage: Was sind Termingeschäfte?

Antwort: Ein Termingeschäft ist ein Verkauf in der Zukunft, um Planungssicherheit zu haben und nicht anfällig zu sein für sofortige Änderungen am Markt. Die Energieversorger kaufen Strom quartalsweise meist zwei Jahre im Voraus ein und erreichen so einen gleitenden Durchschnittspreis über diesen Zeitraum. Dieses Hedging ist im Sinne des Kunden und auch des Unternehmens, das andernfalls keine Sicherheit hätte, den Preis halten zu können, der dem Kunden vertraglich zugesichert wurde.

Frage: Und die Margin-Calls?

Antwort: Die entstehen dadurch, dass ein Unternehmen für die Kunden diese Absicherung macht. Wenn der Marktpreis über das Niveau hinaus steigt, was im Terminkontrakt vereinbart wurde, sind Besicherungen zu liefern. So dramatische Preisausschläge wie zuletzt gab es noch nie, und das hat bei vielen Energieversorgern, nicht nur bei Wien Energie, für Stress gesorgt.

Frage: Um wie viel Geld geht es bei Wien Energie?

Antwort: Kurzfristig um zwei Milliarden Euro. Das hat Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) wissen lassen. 1,75 Milliarden Euro, die Wien Energie kurzfristig an Sicherheiten beibringen musste, konnte die Stadt Wien gerade noch aufbringen, nachdem bereits zweimal je 700 Millionen Euro dem stadteigenen Unternehmen zur Verfügung gestellt worden sind. Im Endeffekt geht es aber um sechs bis zehn Milliarden Euro, um die eingegangenen Termingeschäfte von Wien Energie nachhaltig abzusichern, sagte Hanke.

Frage: Wann muss das Geld da sein?

Antwort: Ursprünglich hieß es, die zwei Milliarden Euro an Kurzfristhilfe müssten bis heute, Dienstagmittag, zur Verfügung stehen; Montagabend relativierte Finanzstadtrat Hanke diese Aussage unter dem Hinweis darauf, dass zwischenzeitlich der Strompreis wieder etwas gesunken sei und Wien Energie eine Gutschrift von rund 700 Millionen bekomme.

Frage: Was genau hat Wien Energie bei diesen Geschäften gemacht?

Antwort: Man muss unterscheiden zwischen der Stromproduktion und dem Strombedarf, den Wien Energie zur Belieferung seiner Kunden hat. Die erwartete Produktion haben sie verkauft – und aus diesem Verkauf kommt offensichtlich die Nachschussverpflichtung, die sogenannten Margin-Calls. Das ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich. Sie verkaufen die Produktion aus den Kraftwerken und kaufen ein, was sie an Strom brauchen, wie das die meisten anderen Energieversorger auch machen.

Frage: Warum verkaufen Wien Energie und andere Energieversorger Strom an der Börse, den sie doch für ihre eigenen Kunden brauchen?

Antwort: Das ist so üblich. Energieversorger verkaufen ihre gesamte Produktion am Terminmarkt, sichern damit den Preis – und kaufen dann ein komplett anderes, zur Versorgung ihrer Kunden passendes Stromprofil ein. Das sind zwei unterschiedliche Positionen.

Frage: Warum aber verkauft Wien Energie dreimal so viel Strom an der Börse wie sie selbst produziert?

Antworten: Wien Energie produziert etwa sechs Terawattstunden (TWh) Strom in eigenen Kraftwerken und hat anscheinend an die 18 TWh an der Börse verkauft. Das ist dadurch erklärbar, dass nicht nur eine Jahresmenge verkauft wird, sondern oftmals Strom für mehr als ein Jahr, sagen Insider. Zehn TWh seien "nicht überraschend", 18 TWh aber schon "viel" und erklärungsbedürftig. Es könnte Teil der Hedging-Strategie sein, aber Wien Energie hüllt sich dazu bisher in Schweigen.

Frage: War Spekulation im Spiel?

Antwort: Von Spekulation ist die Rede, wenn ich etwas nicht habe und es trotzdem verkaufe. Ob das bei den Geschäften der Wien Energie der Fall war, kann noch nicht gesagt werden. Nur wenn jemand einen Überhang auf der Verkaufsseite hat, muss das noch keine Spekulation sein.

Frage: Kommt das Geld, kommen die hinterlegten Sicherheiten wieder zurück?

Antwort: Ja, aber nur dann, wenn die Positionen nicht vorzeitig aufgelöst werden.

Frage: Was wäre, wenn der Staat nicht einspringen würde?

Antwort: Dann müsste Wien Energie die Geschäfte auflösen und die Verluste realisieren.

Frage: Und was wäre mit den Lieferverpflichtungen gegenüber den Kunden?

Antwort: Die fehlenden Mengen müssten dann höchstwahrscheinlich sehr teuer am Spotmarkt eingekauft werden, was die Kunden über kurz oder lang wohl auch bei ihrer Energierechnung spüren würden.

Frage: Warum sind andere Energieversorger weniger betroffen von den Märkten außer Rand und Band?

Antwort: Dazu gibt es mehrere Erklärungsansätze. Erstens: Wien Energie hat im Gegensatz zu anderen Energieversorgern tatsächlich übermäßige Verkäufe getätigt, die sie nun aufgrund der massiven Preissteigerungen teuer besichern muss. Zweite Möglichkeit: Andere haben dasselbe Problem, es ist nur nicht so sichtbar. Klarer wird man voraussichtlich erst in den kommenden Wochen sehen. (Frage und Antwort, Günther Strobl, 30.8.2022)