Kabul/Teheran/Ankara – Afghaninnen und Afghanen, die die Grenze zum Iran oder zur Türkei überqueren wollen, werden Berichten zufolge immer wieder inhaftiert, misshandelt und zurückgedrängt. Ein neuer Report der NGO Amnesty International dokumentiert nun, wie iranische und türkische Sicherheitskräfte sogar mit scharfer Munition auf Geflüchtete schießen. Dutzende von Menschen wurden demnach durch den Beschuss bereits verletzt und getötet.

An der iranisch-afghanischen Grenze dürfte die Lage für Flüchtlinge besonders gefährlich sein. Amnesty berichtet von zahlreichen Fällen, in denen iranische Sicherheitskräfte direkt auf Geflüchtete zielen, wenn diese über Mauern klettern oder unter Zäunen hindurchkriechen. Wiederholt würden außerdem voll besetzte Autos ins Visier genommen. Auch türkische Grenzbeamte hätten bereits Schusswaffen eingesetzt, um Menschen zurückzudrängen. Meist würde dabei in die Luft geschossen, in einigen Fällen aber direkt auf die Geflüchteten. Auch der Beschuss von Minderjährigen wird dokumentiert.

Iranische Geflüchtete an der Grenze zum Iran bei Nimruz.
Foto: APA/AFP/WAKIL KOHSAR

Laut dem internationalen Prinzip der Nichtzurückweisung dürfen Staaten Geflüchtete nicht in ein Gebiet zurückschicken, in dem ihnen Verfolgung und andere schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Amnesty fordert die türkischen und iranischen Behörden in einer Presseaussendung vom Dienstag auf, sich an diese Verpflichtung zu halten und die Menschen nicht mehr nach Afghanistan zurückzuschicken.

Appell für Unterstützung

Die NGO appelliert außerdem an die internationale Gemeinschaft, den Iran, die Türkei und andere Aufnahmeländer finanziell und materiell zu unterstützen. Sie müsse auch "die Möglichkeiten von Evakuierung und Resettlement von gefährdeten Afghaninnen und Afghanen stärken und mit einer koordinierten Aktion Verantwortung für die Aufnahme afghanischer Geflüchtete teilen", so Marie Forestier, eine Vertreterin von Amnesty. Die NGO fordert zudem das Ende des rechtswidrigen Einsatzes von Schusswaffen gegen die Flüchtlinge an den Grenzen und dass die Täter für die begangenen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen werden.

Ein Takibankämpfer vor der Grenze zum Iran.
Foto: Wakil KOHSAR / AFP

Amnesty kritisiert auch konkret die EU, die den Bau von sechs Abschiebezentren in der Türkei mitfinanziert hat: "Die Europäische Kommission muss sicherstellen, dass die migrations- und asylbezogene Finanzierung der Türkei nicht zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt."

Verheerende Menschenrechtslage

Seit der Machtübernahme durch die Taliban nach dem chaotischen Abzug von Nato und US-Truppen im August 2021 sind hunderttausende Menschen aus Afghanistan geflohen. Die Menschenrechtslage im Land ist verheerend. Von Massenvergewaltigungen an Frauen war zuletzt ebenso die Rede wie von Listen, mit deren Hilfe die Taliban Oppositionelle aufspüren und verschleppen. Die versprochenen Rechte und die angeblich mildere Art der radikalislamistischen Taliban sind nicht eingetreten.

Die Nachbarländer Afghanistans haben ihre Grenzen für afghanische Staatsangehörige ohne Reisedokumente geschlossen, sodass viele Menschen keine andere Wahl haben, als ohne Papiere zu reisen und informelle Grenzübergänge zu benützen. Sowohl an der afghanisch-iranischen als auch an der türkisch-iranischen Grenze werden afghanische Flüchtlinge unter Einsatz von Gewalt rechtswidrig zurückgeschoben – vom Iran zurück nach Afghanistan oder von der Türkei in den Iran. (APA, red, 31.8.2022)