Der Donauabschnitt zwischen Melk und Krems – das Weltkulturerbe Wachau – gehört zu den beliebtesten Ausflugszielen Österreichs. Unsere Redakteure Jakob Pflügl und Stefan Weiss sind in der Region aufgewachsen, der eine am Nord-, der andere am Südufer – zwei Seiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zum Auftakt ihrer VOR|ORT-Berichterstattung ergreifen sie augenzwinkernd Partei für "ihre" jeweilige Seite. In der Folge werden die Seiten getauscht, um die Vorurteile zu überprüfen.

Weißenkirchen ist eines der bekannteren Städtchen am belebten Nordufer. Aber auch das Südufer hat viel zu bieten.
Foto: imago images/UIG

Nordufer: Highlights der Wachau

Woran denken Sie beim Wort "Wachau"? Richtig. Sie denken an Dürnstein mit seiner blauen Stiftskirche und der Burgruine, die majestätisch über dem Städtchen thront. Sie denken auch ans malerische Weißenkirchen und an Spitz mit seinem berühmten Tausendeimerberg. Und wo befindet sich das alles? Wieder richtig. Am Nordufer der Wachau.

Die nächste Frage haben Sie vielleicht schon erraten. Was ist eigentlich am Südufer? Schwierig. Das weiß auch ich, der 20 Jahre lang im nördlichen Krems gelebt hat, nicht so genau. Die Burgruine Aggstein ist mir ein Begriff, aber sonst? So oft bin ich nicht rübergefahren auf die andere, geheimnisvolle Seite. Ein paar Mal war ich beim Heurigen. Von dort hat man einen schönen Blick auf die blaue Kirche im Norden.

Es stimmt schon, das nördliche ist das touristische Ufer. Dort legen die überdimensionierten Ausflugsboote an. Dort wälzen sich im Sommer überbordende Touristenmassen durch die Städtchen, brausen übermotivierte Radfahrer durch die Gässchen. Und Ruhe, die hat man in der Hauptsaison keineswegs. Aber dass die Touristen das Nordufer fluten, hat eben Gründe.

Wachau, das ist natürlich mehr als Sightseeing. Wachau ist, wenn man entspannt durch die Weinberge wandert und eine Abkürzung durch die Reben nimmt, die man später bereut. Wachau ist, wenn man mit Freunden gemütlich beim Heurigen sitzt und sich die schöne Donau blau trinkt.

Wachau ist aber auch ein Kampf um Platz und Wohnraum, den es im engen Tal nicht für jeden gibt. Und einer für besseren öffentlichen Verkehr, der abseits der Touristenpfade ein Schattendasein führt. All das werde ich mir nun genauer ansehen – ausnahmsweise vom Südufer aus. Ich habe gehört, dass es in Rossatz eine Donauinsel gibt. Vielleicht ein Kompromiss? (Jakob Pflügl, 31.8.2022)

Südufer: Chillen im Auwald

Vor 2000 Jahren war die Sache wohl genau umgekehrt: Drüben, am Nordufer, war nichts als Wildnis, herüben im Süden Zivilisation. Aber schon den alten Römern, die hier ihre nasse Grenze, den Limes entlang des Danuvius, errichteten, war klar, dass man nach drüben nur dann geht, wenn’s unbedingt sein muss.

Heute ist Wildnis eine Frage der Definition: Will man einen Hauch von Großstadtdschungel, also endlose Blechkolonnen, Touristenmassen in engen Gässchen, Preise, so saftig wie eine vor Julihitze platzende Marille? Dann ist man drüben, in Spitz, Weißenkirchen, Dürnstein gut aufgehoben.

Als Südwachauer weiß man aber andere Dinge zu schätzen: Die "sanfte Seite", wie sie seit einigen Jahren beworben wird, lockt mit einsamen Wanderwegen im Dunkelsteinerwald, auf denen man keine Menschenseele trifft; mit kilometerlangen Naturbadeplätzen entlang der relativ unberührten Auen; mit von der Schifffahrt verschonten Angel- und Ruheoasen; oder mit gut ausgebauten, durch Obst- und Weingärten führenden Radwegen, die drüben wegen der Platznot so schmal ausfallen, dass jeder Gegenverkehr zu akuten Schweißausbrüchen führt.

Mit Aggstein hat der Süden die schönste Burg, mit Melk das schönste Stift, und mit dem römischen Limes ist man seit 2021 hier sogar doppelt auf der Weltkulturerbeliste vertreten. Ja, selbst diejenigen, die auf Postkartenkulissen von Dürnstein und Co aus sind, sind auf der Südseite besser aufgehoben. Wenn nämlich drüben die Bühne ist, ist herüben der Zuschauerraum. Und wo säßen Sie lieber? Eben.

Um all diese seit Generationen kultivierten (Vor-)Urteile zu überprüfen, werde ich mich für eine Woche nach Weißenkirchen wagen. Lohnt es sich, die Ruhe gegen mehr urbane Hektik zu tauschen? Wir werden sehen. (Stefan Weiss, 31.8.2022)