Max-Jacob Ost: "Hoeneß hat den FC Bayern nie als Breitensportverein gesehen, sondern immer als Unternehmen. Wenn ihm jemand gesagt hat, der Klub sei wie der Daimler-Konzern, hat er das als Kompliment verstanden."

Foto: imago images/Steffen Kuttner

Inhalte des ballesterer #173 (September 2022) – Seit 26. August im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

Schwerpunkt: DEUTSCHE BUNDESLIGA

ABSTIEGSKAMPF
Die Bundesliga leidet unter fehlender Spannung und ungleicher Geldverteilung

IN BANN DES ZAUBERERS
Deutschland vor 40 Jahren

AKTUELLE FOLGE DES BALLESTERER PODCAST
Interview Lisa Makas & Schwerpunkt deutsche Bundesliga

Außerdem im neuen ballesterer

"ES WAR EINE HERRLICHE ZEIT"
Vaclav Danek über seine Innsbrucker Jahre

LIGAALLTAG NACH DER EM
Die Klubs und Stadien der Bundesliga der Frauen

IM WARTESAAL DER REPUBLIK
Ukrainische Nachwuchsfußballer in Österreich

BEI LUFTALARM SPIELABBRUCH
Die ukrainische Liga beginnt wieder

EIN KLUB ALS LEGIONÄR
Der FC Andorra in Spaniens zweiter Liga

AARGAUER CUPSIEGER
Lehrer und Trainer Michael Winsauer

BLACKPOOLS BESTE ZEIT
Als Stanley Matthews im Seebad kickte

PERFEKTIONISMUS UND PRESSING
Die ersten Spiele unter Teamchef Rangnick

GÖNNER UND FREUND
Investor Harreither über die Wiener Austria

EM UMAN SEE
Impressionen von der Europeada

Weniger als ein Klub
Ein Anstoß zum FC Barcelona

Groundhopping
Matchberichte aus Israel, Italien, Kanada und der Türkei

Cover: Ballesterer

Ob Flutlichtmatch am Freitag, Topspiel am Samstag oder ein Duell der Konzernklubs am Sonntag – Max-Jacob Ost schaut sich jedes Spiel der deutschen Bundesliga an und spricht darüber im "Rasenfunk". Mit seinem 2014 gegründeten Podcast analysiert er den Fußball gemeinsam mit Gästen sportlich, aber auch gesellschaftspolitisch. In der rund 30-stündigen Biografie "11 Leben. Die Welt des Uli Hoeneß" hat er sich mit dem langjährigen Präsidenten des FC Bayern beschäftigt. Obwohl der Fußball einen großen Raum in Osts Leben einnimmt, spricht er über ihn mit einer Mischung aus Liebe und Resignation. "Manchmal frage ich mich, ob wir uns nicht öfter über den Fußball lustig machen sollten", sagt er im ballesterer-Interview zur Lage der deutschen Bundesliga.

ballesterer: Worauf freuen Sie sich in der neuen Bundesliga-Saison?

Max-Jacob Ost: Interessant wird, wie sich die Europacupteilnehmer schlagen. Und damit meine ich nicht Bayern, Dortmund, Leverkusen und Leipzig, sondern Union, Freiburg, Frankfurt und Köln, falls sie sich qualifizieren. Für sie ist der Europacup etwas Besonderes.

ballesterer: Erwarten Sie auch in der Meisterschaft etwas Besonderes, oder können wir dem FC Bayern schon zum elften Titel in Folge gratulieren?

Ost: Die Meisterschaft wird wohl nicht spannend werden. Aber mich stört es, wenn so getan wird, als würde es reichen, wenn der FC Bayern einmal nicht Meister wird. Denn wer könnte es sonst werden? Dortmund und RB Leipzig. Es wäre sicher erfrischend, wieder einmal jemanden in Gelb mit der Schale zu sehen. Aber ist das so viel spannender, wenn der Verein mit dem zweithöchsten Personalaufwand Meister wird? Die Idee, dass die anderen einfach besser arbeiten müssen, ist Unsinn. Der SC Freiburg kann die beste Arbeit machen, er wird nie Meister werden.

ballesterer: Wie ist diese Situation entstanden? Und welche Rolle spielen dabei der FC Bayern und Uli Hoeneß?

Ost: Wenn man auf die Bayern schaut, darf man die Goldene Generation der 1970er Jahre mit Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Gerd Müller nicht vergessen. Diese Ausnahmespieler haben den Grundstock gelegt. Wirtschaftlich haben sie damals noch keinen Vorsprung gehabt, aber sportlich. Sie haben dreimal den Cup der Landesmeister gewonnen. Hoeneß war Teil dieser Generation, er hat als Spieler verkörpert, was den Klub stark gemacht hat: eine Mischung aus Athletik, Arroganz und Schlitzohrigkeit.

ballesterer: Was hat ihn dann als Manager ausgezeichnet?

Ost: Hoeneß hat die Bedeutung von Merchandising und TV-Geldern als Einnahmequellen schon in den 1980er Jahren erkannt. Merchandising hat er mit einer Konsequenz umgesetzt wie kein anderer. Er ist aus der gemeinsamen Fanartikelvermarktung der Vereine ausgestiegen, was ein riskanter Schritt war. Das ist typisch Hoeneß, er war überzeugt, dass er es besser hinbekommt – und er hat recht gehabt. Er hat gewusst, was für ein Produkt er mit dem FC Bayern hat, und es vermarktet. Er hat gewusst, es braucht den Erfolg in der Bundesliga, um sich fürs internationale Geschäft zu qualifizieren. Es war ihm aber nie wichtig, dass alle Leute den FC Bayern mögen, sondern dass sie eine Meinung zum Klub haben.

ballesterer: Anfang der 1990er Jahre ist das große Geld in den deutschen Fußball gekommen. Haben die Bayern die Weichen dafür besser gestellt?

Ost: Hoeneß hat den FC Bayern nie als Breitensportverein gesehen, sondern immer als Unternehmen. Wenn ihm jemand gesagt hat, der Klub sei wie der Daimler-Konzern, hat er das als Kompliment verstanden. Bayern war schon sehr professionell aufgestellt, als andere Anfang der 1990er noch nicht einmal einen Manager gehabt haben. Durch diese Strukturen haben sie in einer Zeit großer Veränderungen einen Vorsprung gehabt. Egal, welche Schublade die Bundesliga-Vereine damals aufgemacht haben, es ist immer Geld drin gewesen, aber zugleich ist immer ein Spielerberater oder Vermarkter davor gestanden, der gesagt hat: "Wir wollen auch etwas von dem Geld."

ballesterer: Andere Vereine haben ab Ende der 1990er Jahre Anteile verkauft und sind wie der BVB an die Börse gegangen. Was hat der FC Bayern gemacht?

Ost: Er hat sein Kerngeschäft, den Fußball, immer von äußeren Einflüssen freigehalten. Hoeneß ist nie einen Deal mit einem Vermarkter eingegangen. Meine Erklärung dafür geht ins Psychologische: Hoeneß, Rummenigge und Beckenbauer hegen als ehemalige Leistungssportler ein gewisses Misstrauen gegenüber sportfremden Menschen. Partner haben sich wichtig fühlen und ein bisschen mitreden dürfen, aber der FC Bayern hat nie für Geldgeber den Trainer entlassen oder Spieler verpflichtet.

ballesterer: Eine weitere wichtige Einnahmequelle ist das Stadion. Zunächst das Olympiastadion, dann die Arena, die für die WM 2006 gebaut worden ist.

Ost: Neben der Goldenen Spielergeneration hat das Olympiastadion die Bayern in den 1970er Jahren herausgehoben. Und das ist ihnen durch die Olympischen Spiele in den Schoß gefallen. Der Unterschied war enorm: von 350.000 Mark Einnahmen im ausverkauften Grünwalder Stadion zu 1,2 Millionen, und das bei einem Jahresumsatz von zwölf Millionen. Später haben sie gesehen, welche Vermarktungsmöglichkeiten andere gehabt haben, die das Olympiastadion nicht geboten hat.

ballesterer: Nämlich?

Ost: Andere Vereine haben Logen gehabt, die ersten hat Werder Bremen 1992 eingeführt. Die haben sich noch teurer verkaufen lassen. Und in überdachte Stadien sind die Leute auch bei Regen gekommen. Die Bayern haben sich immer umgeschaut und gesehen "Oh, die haben etwas, das noch besser ist als bei uns." Dann haben sie das auch gewollt. Sie sind die besten Ideenklauer der Liga.

ballesterer: Hoeneß und die Bayern haben schlau und strategisch gehandelt. Ist das aber nicht nur ein Teil der Wahrheit, haben sie die anderen Vereine nicht auch übervorteilt?

Ost: Ein Begriff, der beides vereint, ist die Schlitzohrigkeit. Man kann ihnen formal keinen Vorwurf machen, aber der FC Bayern hat nicht nur wegen richtiger Entscheidungen die Bundesliga quasi unterjocht, sondern weil er im Zweifel auch Dinge getan hat, die anderen geschadet haben. Eine Weichenstellung war die Einführung des Leistungsprinzips Ende der 1990er Jahre.

ballesterer: Also die Entscheidung, das Fernsehgeld nicht gleich, sondern zum Teil nach sportlicher Leistung zu verteilen.

Ost: Das haben die Bayern, Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen durchgesetzt. Es war klar, wer davon am meisten profitieren würde. Fünf Jahre später haben die drei den Rest der Liga komplett abgehängt. Der FC Bayern ist der perfekte Ausdruck unserer Gesellschaft, in der Armut mit Schwäche gleichgesetzt wird und Reichtum mit Leistung. Deswegen ist er vielleicht der deutscheste aller Vereine. Wir haben keine Vermögenssteuer und keine richtige Erbschaftssteuer, und der FC Bayern wird immer Meister – das steht für mich auf derselben Stufe. Und sobald es darum geht, ein bisschen Geld anders zu verteilen, schreit Uli Hoeneß gleich: "Sozialismus!"

ballesterer: Gleichzeitig wird oft von der Liga als Solidargemeinschaft geredet. Das ist etwas, worauf sich auch der FC Bayern beruft – und sich als größten Wohltäter dieser Gemeinschaft darstellt.

Ost: Das ist nicht einmal komplett falsch, das ist ja typisch für unsere Welt voller Ambivalenzen. Der FC Bayern hat vielen Vereinen geholfen. Und der FC Bayern hat auch in Zeiten der Krise, zum Beispiel nach der Kirch-Insolvenz 2002, gesagt: "Bevor Vereine pleitegehen, geben wir etwas von unseren TV-Geldern ab."

ballesterer: Welche Rolle hat das Fernsehen für den Erfolg der Bayern gespielt?

Ost: Hoeneß hat schon Mitte der 1980er Jahre erkannt, dass der Fußball eine TV-Sportart wird. Fernsehen hat nicht nur die Reichweite vergrößert, sondern war ein riesiger Werbemarkt, erst recht als die Privatsender gekommen sind. Hoeneß hat gesehen, welche Beträge in England, Italien und Spanien gezahlt werden, und war nie zufrieden mit den deutschen TV-Verträgen. Die anderen Klubs haben in den 1990er Jahren gesagt: "Toll, wir kriegen 80 Prozent mehr", Hoeneß hat gesagt: "Wir verkaufen uns unter Wert."

ballesterer: Kommt deswegen auch immer wieder der Verweis, dass man sich eben doch für Investoren öffnen müsste?

Ost: Diese Haltung betrifft ja den gesamten deutschen Männerfußball. Er benimmt sich wie jemand, der einen Waldbrand mit einem löchrigen Kübel löschen will. Und dabei die ganze Zeit sagt "Wenn ich nur mehr Wasser hätte." Nein, du musst die Löcher schließen. Ich bezweifle die These, dass es mehr Geld bräuchte, um mithalten zu können. Die Klubs kriegen eine Milliarde Euro im Jahr. Gibt es so wenige gute Fußballer, dass man wirklich zwei Milliarden bräuchte, um sich noch bessere zu kaufen? Kann es nicht sein, dass der Fußball zu viel Geld ausgibt? Die Vereine haben nie an ihren Kosten geschraubt, außer nach der Kirch-Pleite und während Corona. In beiden Situationen haben sie aber auch nach Geld geschrien. Die besten Spieler der Welt haben ohnehin nie in Deutschland gespielt, warum laufen wir der Idee hinterher, mit der Premier League mithalten zu müssen? Ihr habt wahnsinnig viel Geld, macht etwas daraus.

ballesterer: Welche Auswirkung hat die Pandemie gehabt?

Ost: Sie hat offengelegt, was der Fußball ist: eine reine Zaubershow. Die schauen wir uns gerne an, dafür geben wir viel Geld aus. Aber wenn du dem Fußball diese Bühne nimmst, hat er nichts. Vereine stellen nichts her, sie machen nichts Staatstragendes. Sie sollen Fußball spielen, uns eine gute Zeit bieten. Die Einnahmen sind bei allen Klubs gesunken. Nicht gesunken ist der Personalaufwand für die Profis, der für andere Angestellte teilweise schon.

ballesterer: Im Gegenteil, bei den Bayern ist gerade wieder eine Hochtransferzeit.

Ost: Wenn die Bayern viel Geld ausgeben, ist es immer eine Fehlerkorrektur. Was sie für ihre Abwehrspieler ausgegeben haben, ist krass. Auch ohne Corona hätten sie den Personalaufwand wesentlich erhöht, weil Neuverpflichtungen gute Verträge bekommen und dann auch die Spieler, die verlängern, mehr haben wollen. Dann kommt aber noch eine Pointe dazu: Die Bayern haben die Bundesliga zu einem uninteressanten Wettbewerb gemacht, der international nicht anerkannt wird. Deswegen verlässt auch jemand wie Robert Lewandowski den Klub, das Level deutscher Fußball hat er durchgespielt.

ballesterer: Wie gehen Sie mit dieser Situation um? Sie sind Bayern-Fan – oder waren es zumindest einmal.

Ost: Ich habe den Fanblick eigentlich fast gar nicht mehr. Ich stehe auf guten Fußball, und ich habe eine Beziehung zu diesen Spielern, weil sie bei dem Verein spielen, den ich als Kind toll gefunden habe. Ich werde mich also nie ärgern, wenn der FC Bayern ein Tor schießt. Das Problem ist aber ein anderes: Die Liga hat noch nicht verstanden, wie dramatisch es ist, dass der Fußball großteils nicht mehr spannend ist. Wolfsburg wird nicht absteigen, zur Not holen sie in der Winterpause Max Kruse. Hoffenheim wird das internationale Geschäft nicht noch einmal verpassen. Das interessiert aber außerhalb von Wolfsburg und Hoffenheim niemanden. Und das Dramatischste, das einem Wettbewerb passieren kann, ist, dass er den Leuten gleichgültig wird. Uli Hoeneß wollte nie, dass der FC Bayern den Menschen egal ist. Der deutsche Fußball müsste alles dafür tun, dass er den Menschen nicht egal wird. (Nicole Selmer, 31.8.2022)