Bürgermeister Michael Ludwig kann weitreichende Entscheidungen allein treffen – und muss den Gemeinderat erst nachher informieren.

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Es ist eine weitreichende Ermächtigung. Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hat insgesamt 1,4 Milliarden Euro an Notkrediten für die Wien Energie genehmigt, und zwar im Alleingang. Das Unternehmen braucht das Geld, weil der Strompreis so stark gestiegen ist und Käufer von Strom zusätzliche Sicherheiten verlangt haben.

Die Vorgänge bei der Wien Energie sind nun Gegenstand einer hitzigen Debatte und werden auch vom Rechnungshof beleuchtet werden. Aber ebenso drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass ein Bürgermeister solche Summen ohne Information der Öffentlichkeit oder verpflichtende Konsultation des Gemeinderates freigeben kann?

Rechtlich sieht alles danach aus, als wäre der Vorgang gedeckt. Die konkrete Ermächtigung ist in der Wiener Stadtverfassung festgelegt. Dort heißt es, dass der Wiener Bürgermeister in "dringenden Fällen" allein Verfügungen treffen kann, für die er eigentlich die Zustimmung des Wiener Gemeinderats bräuchte. Erlaubt ist das laut Gesetz, wenn jedes weitere Zuwarten einen Schaden brächte. Genau auf diese Bestimmung beruft sich Bürgermeister Ludwig, um zu rechtfertigen, dass er Mitte Juli und diese Woche noch einmal zwei Notkredite an die Wien Energie über je 700 Millionen Euro genehmigt hat. Der Bürgermeister muss die Sache laut Stadtverfassung "unverzüglich" dem Gemeinderat zur nachträglichen Genehmigung vorlegen. Geschehen wird das im September, bei der nächsten Sitzung des Gemeinderats.

Ermächtigung in dieser Dimension wohl einmalig

Warum die Öffentlichkeit nicht schon im Juli informiert wurde, konnte Ludwig bei einem Pressetermin am Dienstag allerdings nicht erklären – verboten wäre das natürlich nicht gewesen. Es geht aber um viel Geld, der gesamte Schuldenberg der Stadt beläuft sich auf rund neun Milliarden Euro. Sollte der Kredit der Stadt verlorengehen, würden sich die Schulden der Stadt schlagartig stark erhöhen.

Und da stellt sich auch noch die Frage, warum es diese weitreichende Kompetenz für den Bürgermeister überhaupt gibt und ob die Regelung nicht problematisch ist?

In dieser Dimension gibt es jedenfalls kein weiteres Bundesland, in dem ein Landeshauptmann eine solche Ermächtigung hätte, sagt der Innsbrucker Professor und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger. In Tirol etwa ist fixiert, dass sogar "unumgänglich notwendige" Ausgaben nicht allein vom Landeshauptmann zugesagt werden dürfen, sondern dazu zumindest ein Beschluss der Landesregierung notwendig ist. Selbst dort ist der Betrag auf maximal 80 Millionen Euro begrenzt – alles andere muss vorher durch den Landtag.

In Wien gibt es diese Sonderregel, weil die Stadt nicht nur Bundesland, sondern auch Gemeinde ist, erklärt Bußjäger. Und auf Gemeindeebene seien solche Regelungen üblich.

Allerdings geht es dabei meist um völlig andere Dimensionen. Bußjäger gibt ein Beispiel: Etwa wenn eine Gemeinde schon lang ein Auge auf ein Grundstück geworfen habe, dieses dann plötzlich tatsächlich zum Verkauf stehe und alles sehr rasch gehen müsse. Dann könne der Bürgermeister zuschlagen und sich die Genehmigung für das Geschäft nachträglich holen. Aber dabei stehen natürlich nicht hunderte Millionen Euro auf dem Spiel.

Mehr Kontrolle in Unternehmen

Wie ist das in Privatunternehmen? Auch dort gilt in Aktiengesellschaften und GmbHs, dass Geschäftsführer Geschäfte in dieser Dimension keinesfalls allein treffen dürfen. In einer Aktiengesellschaft müsste ein solcher Kredit vom Vorstand an den Aufsichtsrat im Vorhinein zur Genehmigung vorgelegt werden, sagt der Unternehmensrechtler Friedrich Rüffler. In einer GmbH wären Generalversammlung und Aufsichtsrat zu konsultieren.

Bei welchen Wertgrenzen diese Vorlagepflicht besteht, sei im Gesetz nicht festgelegt und hänge vom Unternehmen ab, sagt der Jurist. Aber: Bei höheren Millionenbeträgen sei eine Vorlagepflicht immer gegeben.

Gehört die Wiener Regelung also reformiert?

Jurist Bußjäger bejaht das. So sei zwar vorstellbar, dass in sehr dringenden Fällen nicht abgewartet werden könne, bis der Gemeinderat zusammenkommt, um diesen dann zu informieren und sich einen Beschluss vorher zu holen. Einen kleinen Ausschuss einzurichten, der immer im Vorhinein zu informieren ist, sei aber wohl zumutbar, so Bußjäger, damit wäre für ein Mindestmaß an Transparenz gesorgt. (András Szigetvari, Steffen Arora, 31.8.2022)