Auch wenn am Strom- oder Gaszähler alles wie zuvor aussieht, bei der nächsten Rechnung der Wien Energie wird es zu deutlichen Preissprüngen kommen.

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Für die hunderttausenden Privat- und Firmenkunden von Wien Energie haben die aktuellen Geldnöte ihres Stromversorgers, dem derzeit Milliarden fehlen, zunächst keine direkten Auswirkungen. Dies wäre wohl erst der Fall, wenn der Energiekonzern seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können sollte. Genau dies soll durch den Hilferuf an die Bundespolitik abgewendet werden. Möglicherweise versucht der Versorger jüngst erlittene Verluste später an die Kundschaft weiterzureichen. Allerdings sollte der Wettbewerb am heimischen Strommarkt dazu nur beschränkten Spielraum bieten.

Auch dass ohne Garantien oder Hilfskredite des Bundes an die zwei Millionen Kunden über Nacht ohne Strom- und Gaslieferverträge dastehen würden, wie Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) am Dienstag in den Raum stellte, scheint einigermaßen übertrieben. Denn in dem Fall müsste Wien den Bedarf an Energie an den Spotmärkten zukaufen, was mit Sicherheit eine gewaltige zusätzliche finanzielle Belastung darstellen würde. Im Fall eines Totalausfalls müssten andere Lieferanten oder Versorger einspringen, denn die Wiener Strom- und Fernwärmenetze bestehen ja weiterhin und können auch genutzt werden.

Neuer Tarif macht unentspannt

Abseits der aufgrund der Strompreisexplosionen in Schieflage geratenen Stromhandelsaktivitäten hat Wien Energie allerdings eine weitere Flanke offen. Am Donnerstag, dem 1. September, werden Preiserhöhungen bei Strom wirksam, die bereits im Juni angekündigt wurden. Vorgeblich, um diese saftigen Preissteigerungen im Standard-Privatkundentarif Optima von 14,56 auf 36,31 Cent pro Kilowattstunde (kWh) zu dämpfen, werden die Endverbraucher automatisch in einen neuen Tarif, Optima entspannt, migriert, in dem die kWh "nur" 28,91 Cent kostet. Letzteres ist vor allem den 60 Gratistagen geschuldet, die den Kunden zuteilwerden, sofern sie sich ein Jahr an den neuen Tarif binden. Wer online umsteigt, bekommt 20 Frei-Tage zusätzlich. Besitzer einer Jahreskarte der Wiener Linien erhalten weitere 20 Tage Gratisstrom, womit die Kunden in Summe maximal 100 kostenlose Stromtage lukrieren können.

Dieses Informationsschreiben von Wien Energie schlägt hohe Wellen. Verein für Konsumenteninformation (VKI) und Verbraucherschutzverein kritisieren, dass Wien Energie ohne explizite Zustimmung auf den Optima-entspannt-Tarif umstellen will. Vielmehr müssen Kundinnen und Kunden der Umstellung schriftlich widersprechen, wollen sie im alten Tarifmodell bleiben.

Laut Einschätzung des VKI ist Optima entspannt zwar günstiger als der Optima-Standardtarif nach der Preiserhöhung im September, macht aber doch nicht entspannt. Denn er ist kostspieliger als der herkömmliche Optima-Tarif (bis 31. August 2022). Denn der Optima-Standardtarif wird per September für einen durchschnittlichen Wiener Haushalt um 85 Prozent teurer. Bei Optima entspannt beträgt der Kostenanstieg im Mittel etwa 24 Prozent – allerdings nur unter Berücksichtigung der eingangs erwähnten 100 Tage Gratisstrom bei einem Jahr Bindung.

Umsteigen oder nicht?

Erschwert wird die Vergleichbarkeit beider Tarife dadurch, dass es andere Modalitäten für Preiserhöhungen gibt. Beim Entspannt-Modell erfolgen diese jährlich jeweils am Tag des Vertragsabschlusses, der sich an der Entwicklung des Österreichischen Strompreisindex (ÖSPI) orientiert. Bei Optima Standard erfolgt dies zweimal jährlich jeweils Anfang April und Anfang Oktober. Als Faustregel gilt: Entwickelt sich der ÖSPI konstant oder weiter nach oben, wird der neue Optima-entspannt-Tarif laut VKI auch nach der Preiserhöhung die günstigere Variante verglichen mit dem Standard-Modell bleiben. Sinken die Strompreise hingegen wieder signifikant, dreht sich dieses Verhältnis. Darauf deutet derzeit allerdings wenig hin: Solange Erdgas wegen des Ukraine-Krieges ein sehr knappes Gut bleibt und den Strompreis maßgeblich beeinflusst, werden die Preise tendenziell hoch bleiben. Allerdings gibt es auf EU-Ebene Bestrebungen, diesen Zusammenhang aufzulösen.

Der VKI prüft derzeit die Rechtslage und erwägt gegebenenfalls Klage gegen Wien Energie wegen Preiserhöhung und automatischen Tarifwechsels. Bis zu einem Urteil kann es Jahre dauern. Die Kunden des Wiener Energieanbieters müssen aber bis Ende September entscheiden, ob sie Widerspruch einlegen oder die Freitage in Anspruch nehmen sollen.

Vorbehaltlich zustimmen

Eine klare Empfehlung geben die Konsumentenschützer von VKI nicht, viel hänge von der Entwicklung des ÖSPI ab. Wer die Gratistage von Wien Strom nutzen will, sollte auf der Antwortkarte Vorbehalt anmelden bezüglich der Zulässigkeit der Preiserhöhung und Tarifumstellung. Wer nicht auf Optima entspannt wechseln will, sollte dies Wien Energie noch im August schriftlich mitteilen. (Alexander Hahn, Luise Ungerboeck, 31.8.2022)